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SANDOW

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SANDOW entwickeln seit den achtziger Jahren eine eigene Klangsprache mit einem in ihrem Kulturraum adäquaten und subversiven Gesamtausdruck. Zwei wesentliche Begriffe sind für diese Arbeit grundlegend und maßgeblich: Transformation und Entfesselung. Eine Vielzahl von künstlerischen Einflüssen, die gefiltert, gespiegelt und verformt werden, finden über viele Jahre hinweg Einzug in den Schmelztiegel der Bandarbeit SANDOWs.
Die expressive und subversive Artrock-Band war die vielleicht ungewöhnlichste der Bands in der DDR: wild und destruktiv, laut, verrückt. Eine Mischung aus Theater, Exzess, Desillusion und Visionen.

Die musikalischen Inspirationen sind so vielseitig wie konträr. Das begann mit Punkrock, Pink Floyd und Kurt Weill, absorbierte Werke der Klassik von Bruckner bis Orff, operierte mit Industrialsoundkonzepten von Throbbing Gristle bis Test Department, machte auch vor Pop nicht halt und erschuf über die Jahre einen autarken und selbstständigen Bandsound.
1982 gründeten Kai-Uwe Kohlschmidt und Chris Hinze im Alter von 13 Jahren SANDOW, benannt nach dem gleichnamigen Stadtteil von Cottbus. Es folgten inoffizielle Konzerte, abenteuerliche Zug- und Fahrradtourneen.
1987 waren sie Teil in „flüstern & SCHREIEN“, einem Protestfilm von Dieter Schumann über den DDR_Rock der 80er Jahre, den über 1 Million ZuschauerInnen im Kino sahen.

1988 performten SANDOW „Aufbruch&Aufruhr“, es folgten Proberaumrazzien, Verhaftung, Verbot des Stückes „born in the G.D.R.“. Es war ein Spottlied auf die DDR, ein Land, in dem mensch das Gefühl hatte, „in einem Kreisverkehr zu leben“, wie Sandow-Sänger Kai-Uwe Kohlschmidt sagte. 1988 entstanden, wurde Sandows „Born in the GDR“ zum ironisch-hymnischen Nachruf auf den untergehenden Staat. Der Songtitel selbst ist auch ein Reflex eines Bruce Springsteen-Liedes („Born in the USA“), das der damals 20-jährige Kai-Uwe-Kohlschmidt auf einem Springsteen-Konzert als einer von 160 000 offiziell gezählten BesucherInnen des von Katharina Witt moderierten Konzertes sah, als Refrain mit „Born in the GDR“ erwidert wurde. Kai-Uwe sang in dem Song die Zeile: „Wir können bis an unsere Grenzen geh’n, hast du schon mal drüber hingeseh’n?“ und war der Zeit voraus.

„Entfernte Welten“ lautet der Arbeitstitel für das neue Sandow-Album. Seit den ersten Monaten 2016 ist die Band immer wieder im Studio und arbeitet an neue Songs für das Album. „Sie werden nichts Fremdes, sondern eine klare Sandow-Angelegenheit sein“, sagt Kai-Uwe.

«Wir sind ein Labor, in dem noch nicht das Licht aus ist»

Foto: Stefan Müller
Kai-Uwe Kohlschmidt

Mit SANDOW habt ihr euch konzeptionell weiterentwickelt, lässt stärker denn je Aspekte der Kunst einfließen. Was war ausschlaggebend, dass ihr den einengenden Rahmen des Punk hinter euch gelassen habt?
    Nun ausschlaggebend (hübsches Wort) war, dass wir nie wirklich Punks waren. Wir begannen Anfang der Achtziger mit eher kindlichen, dann new-wave-artigen Pop, waren am Instrument allerdings so lausig, dass die Leute das dem Punk zuordneten. Sozialisiert waren wir in der Künstlerboheme. Dort spielten Maler, Free-Jazzer und Existenzialisten die vorbildwirksame Geige. Als unsere Spielkünste sich verbesserten, konnte man auch uns mehr der Kunst zuordnen.

Und woher stammt das Interesse, mehr denn je die Ausdrucksformen zu ändern, weiter zu entwickeln und die Kultur des Performativen zu entdecken?
    Die Cottbusser Boheme um den Maler Hans Scheuerecker verortete sich in den 1920er Jahren der Pariser Boheme. In Cottbus herrschte ein rauer, elitärer, autarker Ton. Jede Form von Obrigkeit war nicht politischer Gegner, sondern eher stumpfe Machtinstanz, die man austanzt, aber nicht ernst nimmt. Es ging darum, „die Dinge zu tun“, wie Scheuerecker es benannte. Dass das Scherereien mit sich bringt, hat man auszuhalten. Aber „die Dinge“, also die Kunst an sich, steht über all dem und gehört, in Szene gesetzt zu werden. Dem Roten fehlt ohnedies das Rüstzeug, das auch nur zu verstehen. Er kann es verbieten oder bezahlen. Aber mit dem Funktionär zu reden, ist Zeitverschwendung für die Avantgarde. Der Künstler, der die Bezeichnung wert ist, hat Neues zu erschaffen und dies im Vergleich mit der Welt und nicht innerhalb der Russenkolonie. Der Bezugsrahmen in Cottbus war erstaunlich weit, dementsprechend auch die Erwartungen an uns junge Wilde. Wir wollten da natürlich mithalten.

Wer hat euch dabei wesentlich inspiriert und warum?
    Ich hatte als ich 16 Jahre alt war, den gesamten Brecht gelesen. Mit 18 Jahren ein erstes eigenes Stück geschrieben zu haben, erschien mir Pflicht. Später wurde Heiner Müller wichtig. Bei unserer Musik kann man Einflüsse von David Bowie, Nina Hagen, Sonic Youth, Dinosaur Jr., Einstürzende Neubauten und später auch Anton Bruckner und Carl Orff nachweisen. Auch viele Freejazzer haben uns beeindruckt, wie Dietmar Diesner, Sven Ake Johansen. Das Warum von Inspiration kann man als Täuschung beschreiben. Man meint sich im Spiegel zu sehen, obwohl da jemand anderes ist. Es ist Energie, die durch einen hindurch schießt. Man sieht genau den, der man selber sein will. Inspiration ist Klauen mit moralischer Rechtfertigung. Jeder gute Maler hatte seine Meister.

Durch die Performativität verlagert sich das Interesse auf die Tätigkeiten des Produzierens, Herstellens, Machens und auf die Handlungen, Austauschprozesse, Veränderungen und Dynamiken. Was hat dieser Perspektivwechsel auch bei dir bewirkt?
    Für die erste Performance mit Hans Scheuerecker 1988 entschlossen wir uns, eine Stunde lang nur einen Ton zu spielen. Diesen Ton wollten wir lediglich modellieren und in dynamische Wallung bringen. Wir saßen hinter der Leinwand, die Scheuerecker bemalte. Auch ein nacktes Model war im Einsatz. Es war eine Tranceerfahrung. Verabredet war auch noch, dass wir auf einen Wink von Scheuerecker, das Bild mit Messern zerstören, sobald er dieses vollendet hatte. Als wir zur Tat schritten, fühlte es sich an wie ein Auftragsmord unter Hypnose. Wir zersäbelten das riesige Bild mit wüsten Stichen. Ein Messer verfehlte knapp das ebenfalls bemalte Model.  

«Je länger man am Ball bleibt, desto rätselhafter wird man sich selbst»

SANDOW-Archivbild
SANDOW-Archivbild

Kai-Uwe, ihr charakterisiert SANDOW mit 2 wesentlichen Merkmalen, die eure eigene Klangsprache kennzeichnet: Transformation und Entfesselung. Ist das auch Ausdruck von Erfahrungswerten, einer gewohnheitlich geformten Attitüde?
    Wenn sich erste Töne zu einer musikalischen Textur formen, beginnt das Stück ein Eigenleben zu entwickeln. In einem Stadium, wo man das noch nicht mal ein Riff nennen kann, geschweige denn ein Lied, in dieser Phase kann man in das Stück hineinhören, was es denn selbst will. Wir formen dann eher behutsam daran herum, oder setzen Brüche ein, um zu sehen, wie der Fluss wieder in Gang kommt. Die Arbeit von Bibern. Etwas anstauen und dann langsam befreien, vorsichtig aufbrechen, entfesseln und von der Leine lassen. Ein gutes Stück Musik wird immer einen Verlauf haben, eine dramaturgische Linie entwickeln, wie in den Sinfonien von Mahler oder Terterjan. Bis heute weiß niemand, was Musik ist und wo sie herkommt. Terterjan sagte zu mir, dass sie von oben kommt. Er meinte dabei nicht Gott, eher den Weltraum, aber in einem unwissenschaftlichen Sinne.

Transformation kann auch mit einer Unerfüllbarkeit und einem Identitätswandel begründet sein. Welche konkreten Erfahrungen haben denn zu diesem Prozess geführt?
    Transformation bedeutet, dass man etwas Konkretes erlebt hat, aber diesem Konkreten in der Arbeit nicht erlaubt, konkret zu bleiben. Was auch immer ich als Erlebtes in Texte einfliessen lasse, wird meiner Transformation unterworfen, dass heißt auch oft einer Konfrontation. Wenn ein heftiges Ereignis es zu einer verdichteten Zeile schafft, kann darunter eine Zeile stehen, die aus einem völlig anderem Ereignis entstammt. Die dritte Zeile jedoch ist vielleicht gar nicht erlebt. Die entsteht, weil der Autor sie hinschreibt, nach dem er die ersten beiden in ihrem neuen Zusammenhang gelesen hat. Ein guter Text ist schlauer als sein Autor, wie Müller sagte. Das habe ich öfters erlebt, obwohl ich gar nicht so dumm bin.

Demgegenüber steht die Entfesselung, die in eurem Falle auch von körperlicher/musikalischer Expressivität, Performanzen und kulturell gebundene symbolische Bedeutsamkeit geprägt ist. Habt ihr damit auch einen Zugang zum Anderssein schaffen wollen?
    Je länger man am Ball bleibt, desto rätselhafter wird man sich selbst. Unser Anfang ist geprägt von der Boheme. Es verbot sich ja in der Zone von selbst, Klartext zu reden. Die Flucht in die Metapher war aus gesundheitlichen Gründen empfehlenswert, wollte man nicht bei der Stasi landen. Man codierte am Rand des Möglichen und hinter der Grenze des Erlaubten. Daraus entstand dann eine eigene Form. Im Performativen konnten die Roten außer Sauerei nichts erkennen. Das Subversive galt zwar als feindlich-negativ und dekadent, aber es war schwer nachzuweisen, dass das der Diktatur des Proletariats schadete. Es blieb bei derben Behinderungen. Doch was einen nicht umbringt, macht einen stärker. Wir fühlten uns auf dem richtigen Weg. Alles was dann in den Neunziger von uns produziert wurde, kann ich heute nicht mehr wirklich decodieren. Der Golem ist außer Haus.

Mit „Aufbruch und Aufruhr“ habt ihr 1988 eine Performance aufgeführt. Was sind die Hintergründe: eine Destabilisierung der politischen Ordnung oder eher Ausdruck von Gefühlen wie Sehnsucht?
    Das war eine Theaterperformance mit drei Charakteren, denen die Zone aufs Gemüt schlug. Jung, zügellos und komplett desillusioniert. Ein Prolet, ein Intellektueller und ein Freak, der Katzen fickte. Letzteres nahmen sie uns übel. Die anderen beiden hielt die Stasi nicht für gefährlich. Der Titel des Stückes war deutlich provokanter, als der gesamte doch recht unbeholfene Text. Es kam aber auch zu Missverständnissen. Im musikalischen Bereich gab es eine Version von Fehlfarbens „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt“. Die Funktionäre warfen uns vor, wir würden Bitterfeld und Schwarze Pumpe (ostdeutsche Chemiedreckschleudern) beklagen. Das war bemerkenswert. Tierschutz und Ökologie standen also im Wertekanon der Funktionäre unter besonderen Schutz. Da waren sie 1988 empfindlich. Den Verlust der kommunistischen Ideale hatten sie längst abgehakt. 

Die Performance ist auch Ausdruck einer konkreten Erfahrung, eine Artikulation der Gefühle. Was soll dadurch den ZuschauerInnen ermöglicht werden?
    Für uns waren die Performances kein Ausdruck von Erfahrung, sondern die Erfahrung selbst. Es gab immer einen verabredeten Rahmen. Sagen wir 6 Betonmischer, ein Riesenpendelgong, den und den Textstapel als Möglichkeit zum Vortragen und diverse Elektronik. Dazu gab es einen rahmenden Titel und auf ging die Reise. Das Prozesshafte war uns wichtig. Wenn es gut lief, ging die ZuschauerIn mit auf die Reise.

Rituelle Performance reflektiert auch Realitäten und Handeln, kann eine andere Realität zum Vorschein bringen. Ist euch das gelungen?
    Unsere NGOMA-Performances, bei dem das Publikum zum trommelnden Akteur wurde, war oft die massive Entfesselung kollektiver Energie. Eine ganze Halle voller Menschen, die Schrott betrommelt, darauf einschlägt, diesen zerstört. Ein amorphes Klanginferno erzeugend. Stundelang. Bis zur Trance. Für mich war damit eine Grenze erreicht. Dahinter war keine Kunst mehr. Nur noch Leere und Ohrenschmerzen.

Foto: Stefan Müller
Kai-Uwe Kohlschmidt mit SANDOW im AJZ Chemnitz, Oktober 2009

Ist SANDOW denn inzwischen auch ein Forschungsfeld, in dem energetische und emotionale Zustände des Menschen im Spannungsfeld gesellschaftlicher Systeme analysiert werden? Das klingt wissenschaftstheoretisch...wie werden diese Erkenntnisse denn musikalisch umgesetzt?
    Wer so was in die Welt setzt, darf sich nicht wundern, wenn ihm später so ein Satzungetüm wieder um die Ohren fliegt. Ich hatte schon vergessen, dass wir das mal in die Selbstbeschreibung hineingeheimnist haben. Ich würde es heute deutlich bescheidener formulieren. Wir sind ein Labor, in dem noch nicht das Licht aus ist. Hin und wieder schmeißen wir die alte Giftküche wieder an, weil hier die Freiheit wohnt und uns keiner in die Suppe spucken kann.

Du hast mit Seven Summits acts ein Konzept entwickelt. Was steckt dahinter und wie realistisch ist es, dass dieses Mammutprojekt umgesetzt wird?
    Die Seven Summits ist bei Extrembergsteigern ein Projekt, die sieben höchsten Gipfel der sieben Kontinente zu besteigen, wobei Süd-und Nordamerika extra zählen, deshalb sieben. Seven Summits acts  nimmt den Gedanken der sieben extremen Orte auf, an denen wir agieren wollen. Wir möchten mit Sandow und jeweils einem von uns ausgesuchten Künstler oder Band auf diesen sieben Kontinenten an jeweils sehr besonderen Orte Performances initiieren. Nicht für Publikum, sondern nur für Kameras. Diese Orte können ein Slum in Nairobi, der Wald von Treblinka oder das Raumobservatorium in der Hochwüste Atacama sein. Das Ganze wird ein Film fürs Kino oder Arte. Hängt alles davon ab, wer die anderen Künstler sind. Filmprojekte sind generell unrealistisch, aber mit Größenwahn kennen wir uns aus. Wir brauchen ja bloß noch eine Filmfirma, die das produziert. 

Kai-Uwe, in „Bastard“ fragst du, wo Gott war, als die (Arbeits)Lager blühten. Warum machst du Gott für menschliche Verbrechen verantwortlich? Ist das nicht naiv, zu glauben, es geht im Kontext des Holocausts um christliche Werte?
    Das ist gar nicht meine Frage, sondern eine nicht selten formulierte Frage von jüdischen Überlebenden der Shoa. Ich halte sie aus der Sicht der Gläubigen für angebracht. Wenn es Gott gibt, warum hat er dann Ausschwitz zugelassen? Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihn nicht gibt, ist demnach größer, als dass seine Grausamkeit ein solches Maß annehmen könnte. Ausschwitz stellt Gott massiv in Frage. Wenn es ihn gibt, hat er kein Gebet mehr verdient. Wenn es ihn nicht gibt, braucht es auch keine Gebete mehr. 

Du hast mehrere Expeditionen unternommen und bist viel gereist. Was hat das mit dir gemacht? Ging es auch um existentielle Fragen?
    Wenn ich reise, bin ich wach. Ich nehme die Welt in mich auf, unter dem Blickwinkel meines jeweiligen Stoffes oder Themas. Mein Nomadensein ist auch immer eine geistige Ausfahrt, nie Urlaub. Ich teile die inspirierende Schwarmintelligenz unserer Gruppe, Mangan25, mit der ich fast alle Expeditionen unternehme. Existenziell wurde es hin und wieder auch. Aber das sind keine Trophäen. Wer überlebt, hat dafür die Arbeit an der Backe.

Kai-Uwe. Du bist Autor, Komponist und Regisseur. Offensichtlich lernst du immer wieder bedeutsame Geschichten kennen oder bist aufgeschlossen für neue Erfahrungen....was weckt denn deine Neugier, was fasziniert dich?
    Das ist recht einfach. Mich weckt immer das Unbekannte, das Nichtgemachte, das Wenigwahrscheinliche und schließlich auch die Wildnis. Im Sommer geht es für ein Dokumentar-Filmprojekt und ein Hörspiel nach Papua Neuguinea, auf den Spuren eines sehr seltsamen Mannes. Hermann Detzner, Kolonialoffizier des Kaiserreiches, ein Don Quichote und Lügenbaron. Das wird Teil einer Serie von fünf Filmen. Mehr darf ich noch nicht verraten.

Wie bereitest du dich auf wichtige Entscheidungen oder Entwicklungsphasen in deinem Leben vor? Was hilft dir dabei?
    Die Intuition, die Erfahrung und meine Frau helfen bei Entscheidungen. Ansonsten heißt es, jederzeit gefechtsbereit.

http://www.sandow.de/
http://www.kaiuwekohlschmidt.de/

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