CHAOZE ONE

 (c) Benjamin Hiller 2013
(c) Benjamin Hiller 2013

Der Rapper Chaoze One, mittlerweile Wahl-Mannheimer, ist schon seit über zehn Jahren als „Master of Ceremonies“ auf Antifa-Aktionen und politischen Kampagnen unterwegs und überzeugt allen voran ein Publikum, das eigentlich wenig mit HipHop am Hut hat, indem er seine eindeutigen Aussagen sehr direkt und zugänglich vermittelt. Scharfsinn beweist Chaoze One in seinen Ansagen gegen Missstände in der Asylpolitik, gegen Polizeigewalt, gegen den Kapitalismus und nicht zuletzt gegen den Rechtsextremismus. Am Anfang war er ein Autonomer, der Raptexte verfasste, ohne sich wirklich intensiv mit HipHop beschäftigt zu haben. Sein letztes Album liegt schon 5 Jahre zurück. Am Nachfolger arbeitet er schon seit zwei Jahren, bisher ist er mit den Ergebnissen unzufrieden. “Ein Mensch Projekt” ist der passende Ausdruck für einen der “autarksten Künstler der Szene”. Musik, Texte, Homepage, Cover, alles managt der junge Rapper selbst. Und das ganz bewusst. Denn Kompromissbereitschaft gehört, was seine künstlerische Tätigkeit angeht, nicht zu seinen Stärken. Der charismatische Rapper schafft es in seinen Live Shows in einer Symbiose aus Beat, Rap und Bühnenpräsenz selbst die letzten Skeptiker vor die Bühne zu ziehen.
Der gelernte Logopäde kann sich wegen eines Vollzeitjobs nur auf ausgewählte Projekte konzentrieren. Dazu gehört seine Unterstützung der Initiative Viva Con Agua. Die im Umfeld des Hamburger Fußballclubs St. Pauli gegründete Initiative engagiert sich seit 2006 für die Trinkwasserversorgung und Verfügbarkeit sanitärer Anlagen in Entwicklungsländern.
Obwohl es künstlerisch in diesem Jahr ziemlich ruhig zuging, sorgte ein TAZ-Artikel im April für heftige Reaktionen, in dem er als Nazi-Rapper diffamiert wurde(1). Die „TAZ“ hat sich für diesen Artikel zwischenzeitlich entschuldigt, und wir plaudern mit ihm über den Versuch der Einflussnahme der extremen Rechte auf die Hip Hop-Kultur...

„Anti-emanzipatorische, sexistische und homophobe Inhalte sind ein Spiegel der Gesellschaft, den ich im HipHop repräsentiert sehe.“

Hannes Loh (Ex-Anarchist Academy, INTRO-Redakteur) hat dich wie folgt beschrieben: “Er ist kein Autonomer, der rappt, er ist ein Rapper, der autonom denkt und reimt.” Ist das damals wie heute noch gültig?
    Ich denke schon. Aber ich muss gestehen, dass ich versuche, mich von all diesen Schubladen zu etablieren. Ich weiß nicht zu wie viel Prozent ich aus Rapper, Aktivist, Rocker oder Sänger bestehe. Ich habe lange versucht sehr angestrengt als Teil der HipHop Szene wahrgenommen zu werden und muss inzwischen einfach sagen, dass mir das egal ist. Was ich mache ist Ausdruck, mal so, mal so – über mehr mach ich mir keinen Kopf.

Warum war es dir von Anfang an wichtig, politische Themen und Botschaften zu rappen?
    Ich habe mir das nicht wirklich vorgenommen. Ich war einfach immer ein politischer Mensch und aktiv in politischen Zusammenhängen. Insofern war das einfach auch meine Realität. Wenn du meine Platten hörst findest du auch sehr persönliche Texte. Ich mache da wenig Unterschiede. Ich begreife das Persönliche tatsächlich auch als politisch und umgekehrt.

Die Extreme Rechte benutzt mittlerweile viele musikalische Subkulturen, um ihre Ideologie in diese zu transportieren. Neben Punk, HC dient auch Hip Hop als Tummelfeld für rechtes Gedankengut. Nicht verwunderlich, sind doch die Textinhalte von vielen Rappern durchaus anti-emanzipatorisch, homophob und gewaltverherrlichend. Welche Verknüpfungspunkte siehst du noch zwischen Hip Hop und der Extremen Rechte?
    Grundsätzlich erst mal keine. Die HipHop Kultur begreife ich in ihrem Grundsatz als sehr integrative Subkultur. Anti-emanzipatorische, sexistische und homophobe Inhalte sind ein Spiegel der Gesellschaft, den ich im HipHop repräsentiert sehe. Das alles schützt aber nicht vor rechten Inhalten, denn Rap ist inzwischen Pop-Musik und insofern genauso anfällig für Blutleere wie all die andern Dinge die irgendwann hip werden. Du brauchst nur Flow, Doppelreime und Baggy Pants und zunächst mal steht die Fassade vom Rapper. Auch wenn das nur die Hülle ist und dahinter nichts mehr vom HipHop übrig bleibt.
Ist Nazi Rap also nur eine Weiterentwicklung der Versatzstücke, die sowieso schon immer im Hip Hop präsent waren und ist in dieser Form und Präsentation eigentlich keine neue Musikrichtung?
    Für mich ist das ein gezieltes Querfront Projekt. Ähnlich wie die Übernahme der Szene Codes bei den Autonomen. Leider haben die Nazis begriffen, dass auch sie sehr viel subtiler aus der Mitte der Gesellschaft agieren können, viel leichter, als vom rechten Rand aus in die Mitte zu spucken.

Warum können HipHops können keine Nazis sein?
    Ich bin mir sicher, das Ideal eines HipHop Heads ist weit weg von diskriminierenden, ausgrenzenden Mechanismen. Aber die Realität ist meist weit entfernt vom Ideal und insofern glaube ich nicht, dass es nicht zumindest rassistische oder nationalistische Tendenzen auch im HipHop geben kann.

„Rechte Positionen schocken, sie sind leicht eingängig, ignorieren alle Graustufen, die nötig sind, um wirklich zu verstehen wie die Welt tickt.“

Ich stelle immer wieder fest, dass in einer Gruppe von Jugendlichen gerade die extremen Worte und Sätze, die durchzogen sind von sexistischen, gewaltverherrlichenden Aussagen, laut(er) gehört und mitgesungen werden. Besteht deiner Meinung nach immer noch sehr viel Aufklärungs- und Informationsbedarf über Folgen der diskriminierenden Inhalte im Hip Hop? Wie engagierst du dich, um dieses Verhalten und Denkmuster entschieden entgegen zu wirken?
    Ich denke, es besteht die Notwendigkeit einer Gegenkultur, damit immer die Wahl bleibt. Mal abgesehen davon, dass das Alter, in dem heute Rap gehört wird, das Alter der pubertären Rebellion und Abgrenzung gegen Autoritäten ist und dementsprechend mit K.I.Z. auch gut geschockt werden kann. In meinen Workshops erlebe ich oft, dass einfach gar kein Bewusstsein dafür herrscht, was in den Texten jetzt der Unterdrückungsmoment sein soll. Aber natürlich müssen die KünstlerInnen sich den Vorwurf gefallen lassen, selbst wenn es wie bei K.I.Z. so oft beschrieben angeblich alles Ironie ist, dass das was sie schreiben für bare Münze gehalten wird und denen, die es konsumieren die nötigen Kompetenzen für einen Umgang mit ihren Texten fehlen.

Inwieweit haben Medien und Musikvideos eine indentitätsstiftende Wirkung für rechte Inhalte auf Jugendliche? Was macht diese deiner Meinung nach für Jugendliche so interessant?
    Medien verbreiten rechte Inhalte und den rechten Lifestyle auf massenkompatiblen Kanälen. Rechte Positionen schocken, sie sind leicht eingängig, ignorieren alle Graustufen, die nötig sind, um wirklich zu verstehen wie die Welt tickt. Und Gewalt fasziniert immer. Egal ob mit Bewunderung oder Ekel. Ich denke, das macht die Anziehungskraft aus

Du kritisierst in deiner erweiternden Stellungnahme zum taz Artikel "Nazi Rap", dass DISSAU CRIME offen aussprechen, "was viele Leute denken, sich aber nicht zu sagen trauen". Latenter und offener Faschismus ist in weiten Teilen der Gesellschaft weit verbreitet. Ein Grund mehr, warum es die Extreme Rechte einfach hat, ihre Ideologie in den Hip Hop zu transportieren?
    Ja.

„(...)Ich schieße mit der Flak, auf das ganze Judenpack(...)“;„Gestapo aus dem Osten“
„(...)Ich hab da noch was: Jedem das Seine! Denk an den Satz, auf dem Weg ins Gas, Gas meiner Stadt. Zyklon Dissau“; „Die Jagd ist eröffnet“ (DISSAU CRIME)

Es gibt auf indymedia Kommentare zu der Band DISSAU CRIME aus Dessau (2), dass sie keine Nazi Rapper sind, sondern ein "Tabu" gebrochen haben und in der "Hip Hip Hop Welt" alles gesagt werden darf. Sind rechte Gedanken ein Tabu, die im Hop Hop gerade deswegen Gehör und Gefallen finden?
    Ich glaube die einzige Qualifikation, die Rap das leichtere Verbreiten von rechtem Gedankengut möglich macht, ist sein Pop Status. Mackertendenzen haben alle Musikrichtungen und es wäre beim derzeitigen Status der Gesellschaft auch verwunderlich, wenn das nicht so wäre. Auch die Tabus fallen überall momentan. So unverkrampft stand man nie mit der deutschen Fahne in Polen und schrie „Hurra, hurra die Deutschen die sind da“ und „Sieg“ wie dieses Jahr bei der EM.

Verharmlosung, Verdrängung sind gängige Methoden, um rechtes Gedankengut zu erklären, zu entschuldigen. Anstelle einer Selbstreflektion und Aufarbeitung werden KritikerInnen denunziert und als HetzerInnen kritisiert. Eine Methode, die erfolgreich ist und Kritik von Außen abschwächt. Ist eine inhaltlich kritische Auseinandersetzung vor allem deshalb wichtig, weil bei Jugendlichen die Aussage vorherrscht, dass „rechts“ nur sein könne, wer auch zur „Szene“ gehört?
    Hm. Ich weiß nicht. Ist das so? Herrscht diese Aussage vor? Da bin ich mir nicht sicher.

Reichen Boykottaufrufe und Aussagen wie "gegen Rassismus und Nationalismus" aus oder sollten nicht weitreichende Analysen stattfinden, um über Hintergründe zu informieren? Diese können auch für Veranstalter wichtig sein...
    Ich verstehe die Frage nicht. Du scheinst auf irgendwas bestimmtes abzuzielen, da fehlt mir das Vorwissen.

Du unterstützt auch das Netzwerk "Hip Hop Partisan" (3), welches "eine weitreichende Veränderung gesellschaftlicher Beziehungen" befürwortet. Was ist damit gemeint?
    Wir hatten den Eindruck, dass gesamtgesellschaftlich die soziale Kälte erheblich zugenommen hat mit allen Aspekten wie dem Sozialneid und dem Rassismus, fehlender Freiheit und totaler Überwachung. Für uns war die Lösung, zu versuchen, einen Bewusstseinprozess in Gang zu setzen, in unserem direkten Umfeld, der HipHop Szene.

Warum wurde das Netzwerk gegründet und was sind die Aufgaben?
    Das Netzwerk wurde vor allem gegründet als Reaktion auf das Buch ‚Fear of a kanak planet’ (4) von Hannes Loh und Murat Güngör. Wie gesagt empfanden wir es so als würde der soziale Aspekt von HipHop, z.b. das Zusammengehörigkeitsgefühl auf den Jams und der integrative Charakter langsam verloren gehen. Ich denke wir haben im kleinen ein paar Dinge erreicht, haben die Schwulenfeindlichkeit stark thematisiert, aber auch Flüchtlingsinitiativen und Kampagnen gegen Abschiebungen unterstützt.
Wir müssen unterscheiden zwischen Rappern, die rechte Inhalte propagieren und Neo-Nazis, die ihre Ideen und Gedanken in Hip Hop transportieren. Die Grenze verschwindet zunehmend. Wird das Thema Nazi Rap noch nicht weitreichend öffentlich gemacht und ist das auch deswegen notwendig, weil Nazi Rap keine Ausnahme mehr darstellt?

Wo genau siehst du da eine Grenze? Wer recht Inhalte propagiert ist ein Neonazi. Nein?

Was verbindest du mit St. Pauli? Mannheim und braun-weiß? Passt das zusammen?
    Sankt Pauli ist ein Stadtteil, dem ich mich sehr verbunden fühle und gleichzeitig der zu mir am besten passende Fußballverein, den ich kenne. Sankt Pauli ist eine Haltung zu Kommerz, Kultur und den immerwiederkehrenden Fragen zu Sexismus, Rassismus, Antisemitismus in den Stadien. Insofern fühle ich mich Sankt Pauli verbunden, solange ich daran arbeite, dass der Freiraum, der hier durch Fans erkämpft wurde, erhalten bleibt. Dankeswerteweise bewegen oder bewegten sich auch im Verein immer wieder Menschen wie Ippig(5), Pliquett(6) oder Marcel Eger(7), um nur ein paar zu nennen. Das alles macht Sankt Pauli zu etwas Besonderem, zur einzigen Möglichkeit. Und ja klar passt das zu Mannheim, siehste ja.

Sind von dir aktuell neue Aufnahmen und Projekte geplant?
    Ja. Ich arbeite durchgehend an neuem, möchte aber meinen Sound durch verschiedene Maßnahmen verändern und erweitern. Z.b. durch Gesangsunterricht, den ich seit einigen Jahren nehme. Und so lange das alles noch nicht so ist wie ich das gerne hätte, wird auch erst mal nicht viel neues zu hören sein. Aber: ich arbeite dran...

www.chaozeone.de

Anmerkungen:
(1) http://www.chaozeone.de/?p=517#more-517
(2) http://de.indymedia.org/2005/03/109151.shtml
(3) http://www.myspace.com/hiphoppartisan
(4) http://www.mediaculture-online.de/Jugendmedienschutz.1495+M5c48e0cba00.0.html
(5) Für die Fans des FC St.Pauli ist Volker Ippig eine Art Inbegriff des Kiezklubs. Linkspolitisch aktiv, zeitweise Entwicklungshelfer in Nicaragua, Hausbesetzer in der Hafenstraße und ganz nebenbei Bundesligatorwart. Der Keeper hat abseits des Platzes das Image des Hamburger Stadtteilvereins entscheidend mitgeprägt.
(6) http://de.wikipedia.org/wiki/Benedikt_Pliquett
(7) Immer wieder wird der sympathische Spieler des FC St. Pauli für die Trinkwasserinitiative Viva con Agua de Sankt Pauli e. V. aktiv.

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