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Sexismus in der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung

Innerhalb der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung gibt es feministische Stimmen, die den Vorwurf erheben, Frauen würden in ihrer Community "wie Fleisch behandelt" werden. Die Kritik beinhaltet eine Objektivierung von Frauen.
Objektifizierung steht entgegen der Wahrnehmung anderer als Individuen mit komplexen Persönlichkeiten und eigenen Wünschen und Plänen. Dies geschieht, besonders in Bezug auf Frauen, indem nur über ihren Körper oder Teile ihres Körpers gedacht oder gesprochen wird.

Objektivierung, Fragmentierung und Konsum

Sexuelle Anziehung ist nicht das gleiche wie sexuelle Objektifizierung: Objektifizierung tritt nur auf, wenn die Individualität der begehrten Person nicht anerkannt wird. Pornographie, Prostitution, sexuelle Belästigung und die Darstellung von Frauen in Massenmedien und Kunst sind Beispiele für sexuelle Objektifizierung.
Das Konzept der Objektifizierung ist der Arbeit von Simone de Beauvoir(1)geschuldet. Sie sprach vom grundlegendem Dualismus des menschlichen Bewusstseins zwischen dem Selbst und dem Anderen: Der mentale Prozess, in dem Menschen die Welt in „wir“ und „die“ klassifizieren.

The sexuals politics of meat
The sexuals politics of meat

Frauen werden universell über alle Kulturen hinweg als „das Andere“ angesehen, eine Rolle die sowohl auferlegt als auch verinnerlicht ist und dazu führt, dass Frauen grundsätzlich nicht wirklich als vollwertige Menschen angesehen werden. Ein wichtiger Punkt von Beauvoir ist, dass der „die Anderen“-Effekt der selbe ist, unabhängig davon ob Frauen als minderwertig oder als mysteriös und moralisch überlegen angesehen werden: „Andersheit“ und volle Gleichwertigkeit kann es nicht nebeneinander geben.
Innerhalb der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung richten sich die kritische Stimmen aber auch gegen die Objektivierung der Tiere. Einer dieser Kritikerinnen ist Carol J. Adams, Autorin des Buches The sexuals politics of meat. Als es zum ersten Mal im Jahr 1990 erschien, nannte das Library Journal das Buch "eine wichtige und provokative Arbeit" und sagte voraus, dass es "die LeserInnen im gesamten politischen Spektrum inspirieren und wütend machen würde". Getreu der Voraussage des Library Journals wurde das Buch von CHOICE als "Bibel für feministische und progressive Tierrechtsaktivisten" gefeiert gleichermaßen beschimpft.
Die "Sexualpolitik des Fleisches" zeigt, wie ein Prozess der Vergegenständlichung, Fragmentierung und des Konsums die Unterdrückung von Tieren ermöglicht, so dass Tiere durch Technologie, Sprache und kulturelle Repräsentation seiend weniger werden. Die Objektivierung erlaubt es einer/m UnterdrückerIn, ein anderes Wesen als ein Objekt zu betrachten. Einmal objektiviert, kann ein Wesen fragmentiert werden. Einmal zerstückelt, entsteht der Konsum. Der Konsum eines Wesens und der Konsum der Bedeutung des Todes dieses Wesens, so dass sich der Bezugspunkt des Fleisches ändert.

Für Adams existiert eine Überlappung kultureller Bilder von sexueller Gewalt gegen Frauen und Fragmentierung und Zerstückelung von Natur und Körper in der westlichen Kultur. Dieser Zyklus von Objektivierung, Fragmentierung und Konsum verbindet sich mit der Darstellung und Realität sexueller Gewalt in westlichen Kulturen, die den sexuellen Konsum normalisiert. Diese Struktur schafft Anspruch auf Missbrauch; Mit der Struktur des abwesenden Referenten verschwinden die Vergegenständlichung und Fragmentierung und das konsumierte Objekt wird ohne Vergangenheit, ohne Geschichte, ohne Biographie, ohne Individualität erlebt.
Adams geht es nicht um „gender politics“ sondern um „sexual politics“, also nicht um die Rolle der Geschlechter in der Gesellschaft, sondern um die sexuelle Konotation von tierausbeuterischen Handlungen. Adams sieht in der Objektivierung von weiblichen Models zu Werbeaufnahmen und in der Objektivierung von Schweinen als Fleischlieferanten in Tierfabriken so starke Parallelen, dass sie meint, feministisch gesinnte Personen müssten deshalb vegetarisch leben. Hinter beidem stünde dieselbe Ursache: das Patriarchat. Sie nennt das eine „feministisch-vegetarische Theorie“. Im Feminismus gibt’s natürlich dazu auch Gegenstimmen, so kommt Kathryn Paxton George z.B. aus ihrer feministischen Gesellschaftsanalyse zum gegenteiligen Schluss: die Forderung nach Vegetarismus sei ein patriarchales Komplott von Männerbünden, die Frauen dadurch körperlich schwächen und beherrschbar machen wollen.
Adams spricht sich dagegen aus, den Begriff Holocaust im Kontext mit Gewalt gegen Tiere zu verwenden, da der Holocaust so eng mit der Gewalterfahrung einer bestimmten Gruppe verbunden ist und nicht auf andere übertragen werden könne.

Sex sells-Wie Sexismus unter dem Deckmantel des Tierschutzes funktioniert

Die Tierrechtsorganisation People for the Ethical Treatment of Animals ist bekannt für aufsehenerregende und polarisierende Kampagnen. PeTA setzt dabei auf Konfrontation, schockierende Bilder, Lifestyle und Prominente. Ob die Gleichsetzung der Tierausbeutung mit dem Holocaust, sexistische Bilder und Spots, die Glorifizierung sexualisierter Gewalt, Bodyshaming oder die Forderung der Todesstrafe(2).
PeTA versteht sich als Tierrechtsorganisation und beschreibt die Leitidee wie folgt: "PeTA handelt nach dem einfachen Prinzip, dass wir Menschen nicht das Recht haben, Tiere in irgendeiner Form auszubeuten, zu misshandeln oder zu verwerten."
Anzeigen und Spots betonen die Gemeinsamkeiten von Menschen und Tieren. Insbesondere die Visualisierung der Ähnlichkeiten soll dazu führen, die Anderen, also Tiere, nicht als Andere zu sehen. PeTA setzt dabei bewusst auf Emotionen und vermenschlicht Tiere, um deren Gleichwertigkeit zu betonen. Die Bilder sollen dem Betrachter vermitteln, dass Tiere Gefühle wie Menschen erleben, und ihn dazu bringen, sich in die Lage der Tiere zu versetzen. Dazu dient auch die Darstellung von Menschen als Tiere, zum Beispiel indem ein Mensch, bei PeTA-Kampagnen meist eine attraktive Frau, in einem Käfig abgebildet oder mit Fleischbezeichnungen bemalt wird. Auch bei diesen Kampagnenmotiven steht die Visualität im Mittelpunkt.
Eine weitere Kampagne von PeTA lautete "My boyfriend went vegan"(3). Das dazu promotete PeTA-Video soll ein wohl gehütetes Geheimnis veganer Männer aufdecken: Nach der Umstellung auf die pflanzenbasierte Ernährung berichten viele Männer über mehr Energie und Ausdauer im Schlafzimmer.

youtube-Screenshot von PeTa
youtube-Screenshot von PeTa

Die Darstellung von sexualisierter Gewalt ist laut PeTA „humorvoll“ und bringt „die Menschen zum Lachen“. Die Aufforderung, vegan zu werden und anderen Menschen Gewalt anzutun, bezeichnet PeTA als „starke Botschaft“. Die Tatsache, dass Tiere in unserer Gesellschaft in Massen ausgebeutet und ermordet werden, ist für die Leute von PeTA eine „weitaus schlimmere Information“ als die Tatsache, dass auch tagtäglich zahlreiche Frauen* von Gewalt und Diskriminierung betroffen sind.
 Die in dem Video gezeigte Frau ist nach der Auffassung von PeTA selber Schuld an ihren Verletzungen – wäre sie ebenfalls vegan, hätte sie mit ihrem Freund mithalten können. PeTA ist sich zwar bewusst, dass ihr Clip sexistisch und gewaltverherrlichend ist, nimmt dies aber („Für die Rechte der Tiere!“) in Kauf.

Aufmerksamkeit erlangen und Menschen sensibilisieren. Für PeTA-Kampagnen haben sich immer auch gerne Promis nackt gemacht. Die wohl bekannteste Kampagne von PETA in diesem Bereich ist die Anti-Pelz-Kampagne "I'd Rather Go Naked Than Wear Fur" ("Lieber nackt als Pelz"). Seit 1991 wurde das Kampagnenmotiv(4)mit unterschiedlichen Prominenten, vor allem mit bekannten Models, und verschiedenen Slogans immer wieder neu aufgelegt. Später wurden ähnliche Motive mit halbnackten Models und Schauspielerinnen auch für Kampagnen gegen den Fleischverzehr eingesetzt. PeTA verknüpft in Kampagnen für vegetarische Ernährung die meist nur spärlich bekleideten Prominenten mit Argumenten hinsichtlich Gesundheit, Aussehen und Sex Appeal. Wenn jedoch Vegetarismus nur als ein gesunder und attraktiver Lebensstil dargestellt wird und mit perfekt aussehenden Models oder Schauspielerinnen in Verbindung gebracht wird, verliert der Aufruf dazu seine eigentliche Bedeutung. Die Botschaft, dass Tiere nicht genutzt werden dürfen, also die moralische Kernidee, könnte so verloren gehen. Zu der am häufigsten geäußerten Kritik gegenüber den PeTA-Kampagnen ist der Vorwurf des Sexismus, der sich in erster Linie darauf bezieht, dass PeTA in Kampagnen immer wieder nackte oder halbnackte Frauen zeigt. Dazu enthalten die Slogans häufig sexuelle Anspielungen und die Gestaltung der Motive erinnert nicht selten an softpornografische Bilder. KritikerInnen werfen der Organisation daher vor, Frauen zu Objekten zu machen, Geschlechterstereotypen zu reproduzieren und das gängige Schönheitsideal zu propagieren.
Ein weiterer Spot wurde von CBS nicht zum 50. Super Bowl zugelassen. Der Spot präsentiert zu Beginn zwei Sexszenen im Splitscreen, wobei jeweils die beiden Männer im Fokus stehen. In der linken Hälfte müht sich ein Fleischesser beim Liebesspiel, in der rechten findet dagegen ein Veganer sein Glück. Der Unterschied: Während der Steak-Freund zu früh zum Ende kommt und im Anschluss vom Pech verfolgt wird, zeigt sich der vegan lebende Protagonist wesentlich ausdauernder. Die Botschaft: "Last Longer. Go Vegan."

weibliche Reize und ein Energydrink
weibliche Reize und ein Energydrink

Auch Attila Hildmann tut alles, um mit sexistischer Werbung für seine Produkte aufzufallen. Dafür setzt er unter anderem auf Frauen, die neben dem Produkt – Hildmanns neuen Energy-Drink "Daisho" – auch ihrer weiblichen Reize offensiv in die Kamera zu halten. Mit „Vegangsta“ gibt es eine Clipreihe auf youtube, in denen der Kochbuchautor „Biceps Bullets“ oder „Big Ass Burger“ fabriziert. Dabei spricht der 34-jährige Berliner Sätze wie: „Bitches lick my icecream balls!“ oder „Fleischessen hat für viele Männer den Charme einer Schwanzverlängerung, aber vegan ist das neue Viagra.“ Die „Bitch“ erscheint dann am Ende jedes Clips, lässt ihre Zunge um das von Gangsta Attila Gekochte kreisen und haucht: „That’s Foodporn!“

Fazit

Die ausgewählten Beispiele von peTa und Attila Hildmann stehen stellvertretend für weitere Spots und Aktionen, in und bei denen eine Bagatellisierung des Anliegens durch Objektivierung stattfindet. Durch die Darstellung von nackter Haut rücken Menschen in den Vordergrund, die - stellvertretend für Tiere - ihre Ausbeutung und Unterdrückung thematisieren. Dafür werden Attribute wie Schönheit, Gesundheit, erfülltes Sexleben benutzt und das eigentliche Anliegen verharmlost/verdrängt. Die Message lautet: Verzicht auf Fleisch macht sexy! In einer gemeinsamen Erklärung einer Gruppe abolinistischer veganer Feministinnen zum internationalen Frauentag im Jahre 2010 hieß es, "Leider haben wir viele weibliche Aktivisten gesehen, die sagten, dass es nichts Falsches daran gibt, Sex als ein Werkzeug zu benutzen, um unsere Botschaft zu vermitteln, indem wir verschiedene Argumente verwenden, um diese Sichtweise zu rechtfertigen. Einige der AktivistInnen, die den Gebrauch von Sex verteidigen, glauben, dass das Zeigen unserer Sexualität die Aufmerksamkeit potentieller Veganer erregen wird, indem sie ihr eigenes Selbstbild ansprechen, was bedeutet, dass sie vegan werden wollen, wenn sie sehen, wie sexy Veganismus uns macht. Diese Vorstellung ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich für die eigentliche Botschaft, die wir vermitteln sollten. Beim Veganismus geht es um Tierrechte, nicht darum, sich sexy zu fühlen oder besseren Sex zu haben (Eigenschaften, von denen wir alle wissen, dass sie wenig mit vegan oder nicht zu tun haben, sondern mit dem Lebensstil und dem Wohlbefinden), als Menschen, die Fleisch essen...Veganismus als sexy zu fördern, der leider in unserer Gesellschaft fast immer mit abnehmen gleichgesetzt wird, verstärkt Vorurteile gegen größere oder übergewichtige Menschen, die sowohl Frauen als auch Männern in unserer Gesellschaft schaden, vor allem aber Frauen"(6).
Sexualisierte Werbung produziert also Vorurteile, stigmatisiert Menschen und fördert eher Diskriminierungsformen, weil hier nicht das Leid der Tiere in den Vordergrund gestellt wird, sondern menschliche Nacktheit. Das suggeriert, dass wir Frauen als Fleisch wahrnehmen, führt aber nicht dazu, Tiere als Fleisch zu betrachten. Damit wird also der Zusammenhang zwischen Sexismus und Speziesismus(7)hergeleitet. Frauen sind in der sexualisierten Darstellungsform im Verhältnis von Beherrschung und sexuelle Verfügbarkeit gefangen. Die Spots und Kampagnen von peTa erwecken den Eindruck, es war doch alles nur als ein Scherz bzw. so nicht gemeint. Es charakterisiert unser ideologisches und sexistisches und speziesistisches System in seinem Kern: JedeR hat eine bestimmte Rolle zu spielen. Und wer diese Rolle nicht erfüllt, verliert einen Teil seiner Identität. Der Mann muss am Grill stehen und Fleisch zubereiten, sonst ist er kein Mann. Die Frau muss in der Küche stehen und den Salat zubereiten, sonst ist sie keine Frau. Menschen können nackt auf der Straße demonstrieren und sich gegen Herrschaft und Unterdrückung auflehnen. Nicht-menschliche Tiere können sich jedoch nicht selbst von ihrem Eigentumsstatus und Abhängigkeitsverhältnis befreien, sondern sind auf fremde Hilfe angewiesen. Unterdrückte Menschengruppen können sich immer durch Sprache ausdrücken und müssen ihr Leid nicht unserer Vorstellungskraft überlassen. Nicht-menschliche Tiere können uns nicht direkt sagen, wie sie sich fühlen, wodurch sie uns erstens fremder vorkommen und zweitens unfähig sind, für sich selbst zu kämpfen. Im Gegensatz zu unterdrückten Menschen sind sie im Kampf für ihre Befreiung komplett auf das Mitgefühl und die Kampfbereitschaft ihrer UnterdrückerInnen angewiesen.

Fußnoten

(1) Simone de Beauvoir war französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin. Sie hat zusammen mit ihrem Lebensgefährten Sartre am politischen, gesellschaftlichen Geschehen ihrer Zeit aktiv teilgenommen und hat sich stark in der französischen Frauenbewegung engagiert.
(2) http://www.peta.org/media/news-releases/peta-statement-zimbabwes-beloved-lion-cecil-gunned-down-by-american-dentisthunter/
(3) https://youtu.be/m0vQOnHW0Kc
(4) https://youtu.be/d1rKxXbovIQ
(5) https://youtu.be/coANMLRMirQ
(6) http://my-face-is-on-fire.blogspot.de/2010/03/joint-statement-by-group-of.html
(7) „Speziesismus“ wird eine Haltung genannt, die erstens mindestens wesentliche Unterschiede zwischen Menschen und Tieren macht, zweitens aus diesen Unterschieden auf eine höhere Wertigkeit für die Menschen (und dementsprechend eine niedrigere für die Tiere) schließt ableitet und drittens aus dieser höheren Wertigkeit der Menschen eine Legitimation für Ausbeutung und Tötung tierischen Lebens ableitet.