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Der Preis der Subkultur

Fotocredit: Bekky Bekks
Fotocredit: Bekky Bekks

Es drängt sich der Eindruck auf, dass in der Debatte um Subkultur oft nicht die Auseinandersetzung um inhaltliche Positionen im Vordergrund steht. Eher geht es darum, momentan relevante subkulturelle Phänomene entweder lautstark zu hypen oder möglichst gekonnt in die Pfanne zu hauen. Letztlich geht´s also nur um eines: Radikalität. Aktuell zu beobachten im gesellschaftlichen und medialen Umgang mit der Letzten Generation, deren Weltanschauungen in ein politisches extremes Milieu gerückt wird.

Um ihren Werten und der Identität Ausdruck zu verleihen, bedienen sich Subkulturen verschiedener Kunstformen. Neben Malerei, Performance und Graffiti spielt dabei vor allem die Musik eine große Rolle. Gerade bei der musikalischen Ausdrucksform sind neben dem Stil der Komposition und Instrumentierung in vielen Fällen auch die Texte von hoher Bedeutung. Durch sie können besonders klar Weltbilder und Werte ausgedrückt werden.
Ton Steine Scherben wollten mit ihrer Musik Menschen überzeugen, sich von ihren Unterdrücker*innen zu befreien. Der musikalische und kulturelle Klassenkampf hatte aber auch seinen Preis. Akteure aus der linken Community, der Hausbesetzer*innen-Szene, Punks wie Kulturrebell*innen erwarteten von TSS und später auch von SLIME, dass sie mit ihrer Musik kein Geld verdienen dürften. SLIME galten als Sprachrohr des links-politischen Widerstands gegen das System (sic!). Gleichzeitig wurden beide Bands zum Sprachrohr erkoren, ein subkultureller Motor, um die Stimmung im Konflikt zwischen Institutionen, Autoritäten, auf Solokundgebungen, Demos anzuheizen. „A.C.A.B“ und „Wir wollen keine Bullenschweine“ (SLIME), sowie „Keine Macht für Niemand“ und „Macht kaputt...“ (TSS) waren Songs mit einer Mischung aus Agitation und Propaganda, die in kürzester Zeit zu Hymnen und Schlachtrufen von oben erwähnten Subkulturen und gegenkulturellen Gruppen wurden.


TSS - Keine Macht...

Slime - A.C.A.B.



Die „Ausverkauf“- und „Verräter“-Vorwürfe aus diesen Reihen basierten auf Gerüchte. Es waren Stimmen aus der Punkszene, die behaupteten, SLIME würden fünfstellige Gagen kriegen und seien Millionäre. Und Rio Reiser hat SLIME-Sänger Dirk 1982 auf ihrer fünftägigen Deutschland-Tour gewarnt, dass bereits die Scherben 15 Jahre zuvor an den Verratsvorwürfen der eigenen Szene zerbrochen seien. Sie standen in der Kritik, mit ihren radikalen Ideen Geld verdient zu haben. Das Gegenteil war der Fall, TSS hatten hohe Schulden und waren bankrott. SLIME schmissen nach ihrer vierten LP „Live in Pankehallen“ genervt das Handtuch, weil sie die Anfeindungen und Angriffe satt hatten.


„Uns ging der Vorwurf, kommerziell geworden zu sein, furchtbar auf die Nerven. Leute, die keine Probleme hatten, zwanzig oder dreißig Mark für eine englische oder amerikanische Punkband zu zahlen, beschwerten sich bitter, wenn sie für ein Slime-Konzert einen Zehner löhnen sollten. Für die waren wir dann Kommerzschweine.“

Stephan Mahler (Schlagzeuger, SLIME)


Das zeigt ganz deutlich, dass sich TSS und auch SLIME als Teil einer linken politischen Szene sahen, selbst im Milieu der Widersprüche gefangen waren, wo Protestformen und Widerstand, Konsumverhalten und rebellische Aussagen eine grundlegende Problematik für die schöpferische, kreative Fähigkeit und eine Intervention der sozialen Gruppen darstellt. Da wo sich eine Protestform bildet und ein sozialer Ort entsteht, da häufen sich durch spezielle Verhaltensweisen Interessenkonflikte, Verarbeitungsformen und (Schein-) Lösungen, die von Subkultur gestifteten Gemeinsamkeiten und den Zusammenhalt bestritten und verdrängt werden können.

Was von der stilistischen Ausprägung einer Subkultur übrig bleibt, sind nach anfänglicher Provokation und Offensive drei Komponenten: Image, Attitüde, (Szene-)Jargon, die eine Subkultur festigt, aber auch einengt. Das kann dazu führen, dass kritische Argumentationslinien unreflektiert übernommen werden und wie im Falle von SLIME/TSS Stigmatisierung und Ausgrenzung zur Folge haben. Der Anspruch, mit Musik und Text eine radikale Form zu finden, um Kritik an Staat und Gesellschaft zu üben, die geprägt ist von Ablehnung bestehender Werte und Normen, scheitert an den Verhaltensweisen und -regeln, die in der Sub- und Gegenkultur von Trägergruppen aufgestellt werden, die zum Teil auf Gerüchte, Verleumdungen und Fehlinformationen basieren. Das lässt den Schluss zu, dass sofern ein gewisses Maß an Widerstand durch abweichendes Verhalten nicht feststellbar ist, die Interaktion, Kommunikation und Vermittlung von Inhalten stark geprägt ist von der konkreten Vorstellung, wie die „wahren“ Botschaften lauten und wie die „wahren“ Ideale zu bewahren sind. Der Ausverkauf von Idealen zugunsten von Erfolg, Ruhm oder Geld findet sich wohl in allen Subkulturen wieder. Im Begriff schwingt die Angst mit, die subkulturelle Bewegung könnte durch eine kommerzielle Öffnung zerstört werden.
Gleichzeitig gibt es im sozialen Wirkungskreis ein großes Potential, eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen, die neben stilistischen und lebensweltlichen Besonderheiten kollektiver Aktionismus im Sinne der gemeinsamen Motivationen (ökologische, beziehungsorientierte oder politisch radikale) möglich ist.


„Musik kann zur gemeinsamen Waffe werden, wenn du auf der Seite der Leute stehst, für die du Musik machst!“

Rio Reiser (Sänger, TSS)


Jeder Vorwurf eines Verrats oder eines Ausverkaufs, komme er von den Protagonist*innen eines Stils oder seinen Kritiker*innen, zielt daher ins Leere. Eine solche Verkürzung von Subkultur auf Stil geht an ihren eigentlichen Funktionen für soziale Gruppen vollkommen vorbei.

Subkulturkritik

Eine Subkulturkritik knüpft an einen reduzierten Politikbegriff an, wenn sie Bereiche, in denen es um die Ausbildung von Gruppenstilen (Mode, Musik etc.) geht, unter Hinweis auf die Kommerzialisierungstendenzen für korrumpierbar oder unpolitisch, ergo für systemkonform und damit politisch irrelevant erklärt. Hinter der lauten Kritik an der kapitalistischen Verwertung von Subkulturen scheint die abstruse Vorstellung auf, es gebe einen gesellschaftlichen Bereich im Kapitalismus, der dessen Spielregeln entgehen könne. Sie beinhaltet – trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse – die unterschwellige Forderung nach einer kulturellen Form, die den Mechanismen der Warengesellschaft enthoben ist. Aber es stellt sich die Frage, warum die Verwertungsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaft ausgerechnet vor der Subkultur haltmachen sollten. Die Beständigkeit und Macht des Kapitalismus liegt ja eben darin, dass er alle gesellschaftlichen Bereiche seiner Logik unterordnet und sich selbst die innovatorische Potenz von Dissidenz zunutze macht:
Wer glaubt, mensch könne unter den kapitalistischen Bedingungen einen strategischen Ort behaupten, hat schon verloren. Die Kritik richtet sich auch gegen die Auffassung, dass Subkulturen einheitlich und homogen sind. Auch wenn die Mitglieder einer Gruppe beispielsweise ein gemeinsames Interesse an Musik haben, können sie unterschiedliche soziale Hintergründe, unterschiedliche Werte und Lebensauffassungen haben usw. Der Punk-Stil zum Beispiel entwickelte sich aus den englischen Kunstschulen als eine Form des Avantgarde-Stils. Die geografische Zugehörigkeit ist für die Subkulturen allmählich nicht mehr charakteristisch. Viele der innerhalb einer Subkultur entstandenen Stilexpressionen wurden auch schnell aufgegriffen und kommerziell verfügbar gemacht. Auf diese Weise konnten sie nicht mehr als „authentische“ Stilausdrücke wahrgenommen werden, die mit einer spezifischen, auf der Straße entstandenen Lebenssituation verbunden waren. Solche neuen Trends auf dem Markt konnten von Jugendgruppen aufgegriffen/übernommen werden und wurden Teil ihres Repertoires und ihres eigenen authentischen Ausdrucks:

Die Revolution frisst ihre Kinder!

Kurzer Ausflug in queere Subkulturen

Die Vorstellung einer queeren Subkultur ist eine Konstruktion, die auf den ersten Blick nicht viel mit Subkulturformationen gemeinsam hat. Weder habenqueere Menschen einen durchgängig erkennbaren gemeinsamen Kleidungsstil, noch einen homogenen Musikgeschmack oder einheitlichen Klassenhintergrund. Zudem handelt es sich hier nicht um eine reine Jugendkultur, auch wenn die Präsenz in der Öffentlichkeit – sei es auf einer Gay Pride Parade oder im subkulturellen Nachtleben – häufig von Menschen dominiert wird, die relativ jung sind oder zumindest versuchen, durch ein jugendliches Erscheinungsbild ihre Zugehörigkeit zu demonstrieren. Folglich existiert keine singuläre und uniforme queere Subkultur, sondern vielmehr zahlreiche und vielfältige queere Szenen, die vor allem in urbanen Milieus aufzufinden sind.

Subkultur und die politische Streitfrage

Letztlich ist die Frage danach, ob Subkultur politisch sei oder nicht, von vornherein falsch gestellt. Politik hat stets den Charakter strategischen Handelns, der Inbesitznahme, Behauptung und Verteidigung eigener sicherer Orte. Subkultur wird im Rahmen eines solchen Politikbegriffs nur dann als „politisch“ gedacht, wenn sie zum Ausgangspunkt von Praxen wird, die für sich selbst eine strategische Orientierung behaupten oder denen eine solche Orientierung von den Herrschenden unterstellt wird. Ob selbstgewählt oder von außen zugeschrieben, der Preis dafür ist hoch, denn wenn subkulturelle Praxen in einen solchen Diskurs eingebunden werden, müssen sie notwendigerweise kanonisiert und abgesichert werden. Und das heißt konkret: Sie werden mumifiziert, und es wird ungeheuer schwer, sie zu verändern oder ihre Veränderungen zu akzeptieren. Der Preis besteht darin, dass die Subkultur tendenziell ihr wichtigstes und attraktivstes Moment verliert, nämlich ihre Dynamik.
Und damit ist tragischerweise nicht einmal etwas gewonnen, denn das Ziel, innerhalb der herrschenden Verhältnisse zumindest in gesellschaftlichen Nischen eine Vormachtstellung zu erlangen und gegen andere Nischenbewohner zu behaupten, schlägt letztlich allen Utopien von Gesellschaftsveränderung ins Gesicht. Wenn es kein richtiges Leben im falschen gibt, kann es auch keine richtige Macht unter falschen Verhältnissen geben; auch der alte Traum von einer linken (kulturellen) Hegemonie bleibt vielleicht besser ungeträumt.
Grundlegende Veränderungen sind nur möglich, wenn auch die Alltagspraxis aller einzelnen von dem Bestreben geprägt ist, neue Lebensweisen und -perspektiven zu entwickeln. Hier können Subkulturen wesentliche Ausgangspunkte darstellen. Es ist dabei gar nicht die Frage, ob versoffene Punks das richtige Bewusstsein haben oder die Küfa zur geistigen Bildung der Anwesenden beiträgt: Subkulturelle Räume sind keine Freigehege, die von linken Agitator*innen mit dem Blick eine*r Zoologen/in betreten und vereinnahmt werden können. Sie lassen sich nicht unter linken politstrategischen Gesichtspunkten instrumentalisieren. Und dennoch erwächst das politische Potential der linken Subkulturfans wie auch das ihrer linken Kritiker*innen nicht aus genau diesem umkämpften Terrain. Denn es bietet einen sozialen Rahmen für diejenigen, die sich nicht an bürgerlichen Lebenskonzepten orientieren können oder wollen. Im Umfeld subkultureller Lebensweisen eröffnen sich soziale Räume, in denen linke Zusammenhänge und -realitäten einen Platz finden. Doch sie scheitern zu oft an den eigenen Erwartungshaltungen, an Fremddefinitionen und Sanktionen, kurzum:

Gefangen in der widersprüchlichen Welt der Dogmen.