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Neue Geschichten aus dem Zug

Prolog:
Ich möchte im Vorfeld für einige Wortlaute im Nachgang entschuldigen. Ich habe mich aufgrund der Authentizität entschieden, den nachfolgenden Wortlaut genauso wiederzugeben, wie er gesprochen wurde. Unterstreicht dieser doch mit Nachdruck die widersprüchliche aber zutreffende charakteristische Eigenschaft menschlicher Merkwürdigkeiten, die wir im öffentlichen Raum immer wieder ausgesetzt sind, ob wir wollen oder nicht.

Hauptakt:
Ich sitze im Zug. Wieder mal unterwegs im 20-Uhr-Zug der NWB von Wildeshausen nach Bremen-Neustadt. Es ist Samstag, aber der Zugwagen ist nicht hoch frequentiert. Ich lese ein Fanzine, bin vertieft und außer dem Rattern der auf dem Gleis rollenden Räder ist bis auf die mechanische Durchsage der kommenden Haltestationen ist nichts zu vernehmen.
„Nächster Halt Ganderkesee!“, schallt es aus dem Lautsprecher und ich schaue kurz aus dem Fenster, um beim langsamen Hereinfahren des Zuges an die Haltestelle abzuchecken, ob sich das Abteil weiter mit neuen Fahrgästen füllen könnte. Außer eine 4er-Gruppe sehe ich aber keine neuen Fahrgäste zusteigen. Doch diese steigt genau hinter mir in die geöffnete Tür ein.

„W I R sind bumsbereit!“, ruft eine junge Frau, vielleicht noch Schülerin beim Einsteigen, gefolgt von „ja, bumsbereit!“ Die 4er-Gruppe setzt sich laut lachend in die Nähe des Ein- und Ausstiegs. Die selbe Person (im lauten Tonfall): „Scheiße!“
Typ 1: „Was’n los?“
„Ich hab’ nur noch 15 Euro!“
Typ1: „Du hattest doch noch 20!“
„Ja, aber ich hatte Mitleid mit dem bettelnden Obdachlosen vorm Bahnhof. Der hatte doch keine Beine. Dem habe ich 5 Euro gegeben!“
Typ1: „Hahahaha. DER freut sich und fährt jetzt mit dem schicken Mercedes nach Polen!“
Junge Frau/Schülerin (ungläubig und aufgeregt zugleich): „WAS? ICH fahr’ einen mickrigen Skoda und DER fährt einen Mercedes? Ich will mein Geld zurück! Wo ist eigentlich Piet?“
Typ 2: „Der ist auf Klo!“
Junge Frau/Schülerin: „Den nenne ich jetzt Brad Pitt." Dann in Richtung WC rufend: "BRAD PITT, komm raus, wir sind gleich da!“

„Nächster Halt, Delmenhorst!“ unterbricht die mechanische Durchsage das unfreiwillig kabarettistische Spektakel, an dem alle im Abteil anwesenden Fahrgäste der NWB teilhaben.

„B R A D...was macht du da so lange auf Klo? Ist Angelina bei dir?“

Der Zug fährt langsam fahrend in Delmenhorst auf Gleis 1 ein. Die Tür öffnet sich. Vor dem Aussteigen ruft die junge Frau/Schülerin durch das Abteil: „So, jetzt seid ihr uns los. W I R SIND BUMSBEREIT, wir sind b u m s b e r e i t!“
Dann schließt sich die Tür. Ruhe kehrt wieder ein.
Ich frage mich noch, wieder in meinem Fanzine vertieft, ob es Brad Pitt von dem Klo hinaus geschafft hat oder ob er mit Angelina weiterfährt.

Epilog:

Die widersprüchliche, aber zutreffende charakteristische Eigenschaft menschlicher Merkwürdigkeiten im öffentlichen Raum ist, dass sie uns einerseits erstaunen und amüsieren können, während sie andererseits auch Verwirrung und Frustration auslösen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Menschen sich in ihrem Verhalten und ihren Interaktionen unterscheiden. Wir sehen eine Vielfalt von Persönlichkeiten, Gewohnheiten und Eigenarten, die uns oft zum Schmunzeln bringen. Gleichzeitig können uns diese Merkwürdigkeiten auch irritieren oder sogar stören. Es ist eine ironische Tatsache, dass wir uns auf der einen Seite von der Einzigartigkeit und Individualität der Menschen angezogen fühlen, andererseits aber auch von der Vorhersehbarkeit und Homogenität mancher Situationen in der Öffentlichkeit profitieren möchten. Insgesamt jedoch bereichern uns diese Merkwürdigkeiten im öffentlichen Raum, da sie uns daran erinnern, wie vielfältig und reichhaltig die menschliche Natur ist.