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RUBBER X HEAD

RUBBER X HEAD
76 DIN-A-4 Seiten; 
https://www.instagram.com/rubberxhead_fanzine/
    RUBBER X HEAD von Brösel ist ein eindringliches Dokument über rechte Gewalt und Ausgrenzungserfahrungen im sogenannten „Hinterland“ im Osten der Republik. Das Schwerpunkt-Thema  entfaltet beim Lesen eine Mischung aus persönlicher Erzählung, journalistischer Recherche und aktivistischer Kartierung. 

Brösel hat sechs Menschen zwischen 18 und 39 Jahren interviewt, die von Anfeindungen, Bedrohungen und Diskriminierung berichten. Ihre Stimmen werden mit Zahlen, Statistiken und Hintergrundinformationen zu politisch motivierten Angriffen verknüpft, wodurch das Heft nicht nur subjektive Erfahrungen dokumentiert, sondern sie auch in einen größeren gesellschaftlichen Kontext einbettet.
Zentrales Anliegen ist es, die oft unsichtbaren Lebensrealitäten jenseits urbaner Zentren sichtbar zu machen. Brösel betont, dass Freiräume und öffentlicher Raum nicht für alle Menschen selbstverständlich sind. Sie richtet sich damit explizit auch an eine städtische Leserschaft, die sich möglicherweise sicher und selbstverständlich in ihren subkulturellen oder queeren Netzwerken bewegt. Zugleich sendet das Heft ein Signal an Betroffene im ländlichen Raum: Ihr seid nicht allein. Diese doppelte Perspektive – Sensibilisierung nach außen und Ermutigung nach innen – macht RUBBER X HEAD besonders kraftvoll.
Beim Lesen entsteht ein vielschichtiges Bild davon, wie es ist, als Punk oder queere Person in Gegenden zu leben, in denen rechte Gewalt nicht nur eine abstrakte Gefahr ist, sondern alltägliche Realität. Diskriminierung an Schulen oder auf öffentlichen Plätzen zieht sich wie ein roter Faden durch die Interviews. Jan gibt praktische Hinweise, wie man Gefahren frühzeitig erkennt und sich im Ernstfall verhält – ein seltenes und nützliches Element in einem Fanzine. Gleichzeitig bietet die in der Heftmitte platzierte „Hinterlandkarte“ mit subkulturellen Projekten und Orten eine Art Werkzeugkasten, der weit über die reine Dokumentation hinausgeht. Sie vermittelt Betroffenen und Interessierten konkrete Anlaufstellen und macht sichtbar, dass es auch in strukturschwachen Gegenden Initiativen und Räume gibt, die solidarisch handeln.
Allerdings bleibt das Konzept nicht ohne Brüche. Die Auswahl der Interviewpartnerinnen ist nicht immer deckungsgleich mit dem formulierten Schwerpunkt auf ländliche Regionen. Charlie aus Zwickau, einer Stadt mit rund 90.000 Einwohner*innen, und Luise aus Plauen mit knapp 66.000 Einwohner*innen leben in Kontexten, die eher an mittlere Städte als an Dörfer erinnern. Auch Anouk schildert ihre Jugendzeit im AJZ ohne sich als „Ossi“ zu begreifen, und manches basiert auf Hörensagen statt auf eigener Erfahrung. Diese Verschiebung der Rahmenbedingungen schwächt an einzelnen Stellen die Schärfe des Arguments, weil der ländliche Raum in den Interviews zum Teil nur als Folie erscheint. Gelegentlich werden Stereotype über „das Land“ oder „die Provinz“ reproduziert, ohne dass sie im Heft kritisch hinterfragt werden.
Trotz dieser Einschränkungen ist RUBBER X HEAD ein starkes und wichtiges Projekt. Es gelingt Brösel, persönliche Geschichten, politische Analyse und praktische Hilfestellung miteinander zu verknüpfen. Gerade weil das Heft nicht glatt oder perfekt ist, sondern eine gewisse Rauheit behält, bleibt es authentisch. Es ist ein Fanzine, das spürbar aus einer Szene heraus entstanden ist, die um ihre eigenen Verletzlichkeiten weiß, und das versucht, daraus Solidarität und Handlungsmöglichkeiten abzuleiten. Für Leser*innen, die sich für antifaschistische Arbeit, queere Lebensrealitäten oder subkulturelle Räume abseits der Großstädte interessieren, bietet RUBBER X HEAD einen intensiven Einblick und öffnet den Blick für Realitäten, die sonst leicht übersehen werden.

Gesamteindruck:

Im Fazit lässt sich sagen, dass Brösel mit RUBBER X HEAD einen relevanten Beitrag zur Debatte um rechte Gewalt und Freiräume im Osten Deutschlands leistet. Die Verbindung von Interviews, Hintergrundmaterial und praktischen Hinweisen zeigt nicht nur die Problemlage, sondern bietet auch Orientierung. Das Heft sensibilisiert, ermutigt und vernetzt – und genau darin liegt seine Stärke.