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AIB #142

AIB #142
AIB #142

AIB #142
80 DIN-A-4 Seiten; € 3,50.-
AIB, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
https://www.antifainfoblatt.de/
     Der Schwerpunkt thematisiert „die politische Entwicklung in Ungarn“ und bezieht sich aus aktuellem Anlass auch auf die drohende Auslieferung weiterer Antifas nach Ungarn. Hintergrund der drohenden Auslieferung sind Ermittlungen gegen mehrere Antifaschist*innen, denen vorgeworfen wird, an Auseinandersetzungen mit Neonazis im Februar 2023 in Budapest beteiligt gewesen zu sein.

Dort findet jedes Jahr der sogenannte „Tag der Ehre“ statt, ein internationales Großtreffen von Neonazis. Die Veranstaltung dient dem geschichtsrevisionistischen Gedenken an einen Ausbruchsversuch von SS-Truppen und Wehrmachtssoldaten kurz vor der Befreiung Budapests durch die Rote Armee.
Auch die bereits in Ungarn inhaftierte Antifaschistin Ilaria berichtet von menschenunwürdigen Bedingungen und Schikane. So durfte Ilaria die ersten 6 Monate ausschließlich mit ihrem Anwalt kommunizieren und hatte keinen Kontakt zu Angehörigen.
Das Ermittlungsverfahren der ungarischen Behörden gegen die beschuldigten Antifaschist*innen wurde von Anfang an durch eine mediale Berichterstattung großer ungarischer Tageszeitungen begleitet, welche die Teilnehmer:innen an den Veranstaltungen rund um den „Tag der Ehre“ als einfache Tourist*innen und die Beschuldigten als brutale Gewalttäter:innen darstellte.
Während in Italien der Fall der inhaftierten Antifaschistin Ilaria mittlerweile Gegenstand einer großen kritischen Öffentlichkeit ist, wurde in Deutschland die einseitige Berichterstattung der ungarischen Medien zum Verfahrenskomplex bisher nicht hinterfragt und zum Teil wortwörtlich übernommen.
Dabei fand neben der Übernahme rechter Narrative eine massive Vorverurteilung der Beschuldigten statt. Auch Vertreter deutscher Sicherheitsbehörden betonten in Interviews immer wieder die vermeintliche Gefährlichkeit der jungen Antifaschist*innen.
In Budapest ist mit Verfahren, die gegen sämtliche rechtsstaatlichen Minimalstandards verstoßen, mit hohen Haftstrafen und unmenschlichen Haftbedingungen zu rechnen. Ganz konkret betrifft das Maja, die am 11. Dezember 2023 in Berlin verhaftete Person, die seither in Untersuchungs- und seit einem entsprechendem Beschluss des Kammergerichts Berlin in Auslieferungshaft sitzt. Um die Repression noch weiter zu verschärfen, hatte die Bundesanwaltschaft zusätzlich den Vorwurf des versuchten Mordes erhoben, was aber die Ermittlungsrichterin am Bundesgerichtshof im Beschluss vom 21. März 2024 entschieden zurückwies: Eine Tötungsabsicht sei nicht erkennbar gewesen, weshalb der BGH die entsprechende Erweiterung des Haftbefehls ablehnte. Dennoch droht weiterhin die Auslieferung an Ungarn.

Gesamteindruck:

Während besonders Ungarn für die extreme Rechte reizvoll ist, mit dem „Tag der Ehre“ ein etabliertes Vernetzungsevent stattfindet und eine öffentlich zur Schau getragene NS-Verherrlichung inmitten einer europäischen Großstadt bietet, gibt es auch antifaschistische Gegendemonstrationen in Budapest. Zunächst waren diese sehr klein und wurden von wenigen Dutzend Menschen aus Budapest getragen. Seit einigen Jahren werden die Proteste auch international organisiert, etwa durch die Kampagne „NS-Verherrlichung Stoppen“ (bestehend aus linken Gruppen aus Österreich und Deutschland). Doch wenn antifaschistische Proteste gegen die Verherrlichung des Nazismus zur Folge haben, dass Antifa-Proteste als „Akt des Terrors“ gleichgesetzt werden1, deutet vieles daraufhin, dass in Ungarn ein rechtsstaatliches Verfahren nicht zu erwarten ist. Ungarische Medien haben antifaschistische Proteste zum Anlass genommen, Antifaschismus pauschal zu diffamieren. Innenpolitisch soll damit der gesellschaftliche Protest gegen die jährliche SS-Verherrlichung und deren Organisatoren diskreditiert und in eine terroristische Ecke gedrängt werden, außenpolitisch erscheint Ungarn als Opfer einer „internationalen Antifa“. Vor diesem Hintergrund darf es keine Auslieferung nach Ungarn geben.


Fußnote: