Und nur das Surren des Ventilators war Zeuge

Eine Frau kommt rein und schreit. "Litauen! Telefon! Litauen!", ich nehme die Mappe aus der Lade, schlage sie aber nicht auf und sage: “DREIZEHN MINUTEN! DREIZEHN!"
 Sie läuft wieder hinaus und beugt sich über ein parkendes Auto, was ihr Gesicht in das eines kahlen vierzigjährigen Mannes verwandelt, der die Kilometeranzeige sucht und ich ziele auf sie, atme, verliere aber im selben Augenblick die Lust und halte mir wieder die Coladose ans Ohr, es war gerade so spannend.

Ich bin der beste Rechnungsschreiber in der Firma. Es ist nicht meine einzige Aufgabe aber ich tue es gern: ich greife nach dem Block blättere durch die Seiten, schiele nach dem Datum, lasse den Betrag auf das Blatt fließen und male meine Unterschrift (ein krakeliger Haxen, der mich daran erinnert, dass ich seit Ostern nicht mehr mit meiner Mutter telefoniert habe) wie einen chinesischen Fluch in Stein. Niemals vergesse ich die 20%  Mehrwertsteuer und nach einem jugendlichen Sportzug meiner rechten Hand, dem man die jahrelange Routine ansieht, lasse ich den Stempel eine atemlose Sekunde lang der Welt meine Spur eingravieren, die das Firmenlogo ist. Na gut. Die Geräusche meines Aktes, die nur mir selbst vernehmlich sind, füllen die Wände meines Büros. Niemals, ich wiederhole, niemals, darf ich gestört werden, wenn ich, einmal in Bewegung gekommen, schließlich in Bewegung bin. Die Kunden (alles abschlachten!) haben dazustehen und zu staunen. Ich als Person stehe im Dienstleistungsverhältnis unter ihnen. Jaja, aber hier gibt es keine Kirchenglocken und keine Haustürschlüssel. Hier gibt es nun mal keine runderneuerten Reifenprofile und Grashalme und Leoparden und keine Geschirrvitrinen, die graues Blut schwitzen und auch nicht den blassen, dünngeäderten Schädel eines Neugeborenen, der durch die Wasserfläche im Taufbecken schlägt, hier gibt es. Verdammt noch mal, nur die Geräusche meines Aktes und die füllen das Büro und dazu will ich PUBLIKUM!
Es war eine schlechte Woche: Gestern habe ich in der Supermarktkassenschlange zu weinen begonnen (obwohl, genau besehen, welcher Ort wäre geeigneter?) und heute morgen wieder, als ich auf dem Wäscheständer meines Flurnachbarn zwei kleine graue Kindersocken mit Bremsnoppen an den Sohlen gesehen habe. Zudem schlafe ich inzwischen praktisch gar nicht mehr, und als meine Kollegin aus der Firmencafeteria kommt und mir von ihrem Urlaub im Burgenland, Samstagabend im Tollhaus und ihrem Jahr in Australien erzählt, als sie siebzehn war, sage ich darauf Sätze wie: „Ein Freund von mir hat eine Berghütte" und "Unlängst, verstehst, geh ich in mein Stammlokal...".
Jedoch an der Art wie sie dabei an ihren Kleidern zieht und mich ansieht, erkenne ich, was wirklich nötig wäre: Einen junger Mann, nach den aktuellen Moden frisiert, der, mit den lautersten Absichten in den Augen und einem knochenharten Prügel in der Hose zwei, drei dutzendmal über sie drüberkräult, schnaufend und blubbemd wie ein Kochgeschirr kurz vorm Durchglühen, ja wirklich. Leider gibt es keine Art für mich, dieser Mann für sie zu sein. Ich sehe keine Möglichkeit durch die dazu erforderlichen Präliminarien zu schreiten, ohne dabei auch nur annähernd sowas wie ein menschliches Wesen zu bleiben und glücklicherweise wissen wir beide, dass es ihr genauso geht und für einen Moment hält diese Erkenntnis das Universum im Gleichgewicht, aber dann sehe ich schon wieder die Tür auffliegen und eine Frau mit Frisur kommt rein, riesenhaft, tot und unsterblich, und die setzt zum Schreien an und alles geht wieder von vorne los.
© by J. Witek

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