Holger Burner

 Holger hat mit „Kampfansage“ sein nunmehr 4. Album veröffentlicht, beschwört darauf den rebellischen Geist, fordert ein politisches Bewusstsein, stärkt die Solidarität und sein Rap ist mehr als unreflektierte Lautsprecherwagen-Mentalität. Raptracks ändern vielleicht nichts daran, dass irgendwo auf der Welt Menschen gefoltert werden, dass in Deutschland Menschen abgeschoben werden und friedlich demonstrierende und streikende Menschen von PolizeibeamtInnen angegriffen und beseitigt werden. Das weiß Holger auch und rappt über „die ganze Scheiße“, weil er nicht mit ansehen kann und will, wie sie diese Kultur mit ihrem Titten-und-Autos-Bullshit killen und weil Rap eben auch auf Demonstrationen und Streiks was rüberbringen kann. Und genau an diesen Orten wollen wir uns treffen. Bis dahin äußert sich Holger zur kapitalistischen Normalität, die Wichtigkeit von Selbstorganisation und dem Habitus vom sozialistischen Revolutionär.

 

„Ich versuche aus Sozialistischer Tradition unsere Geschichtsschreibung und Weltsicht zu vermitteln und hoffe dabei, dass das in Sozialen Kämpfen einen Wert hat.“

 

2007 wurde Recherchen zufolge ein Auftritt von dir abgebrochen, nachdem du die Aussage getroffen hast: „Ich bin gegen jeden Nationalismus und vor allem gegen den Zionismus“. Seitdem wird dir in diesem Zusammenhang vorgeworfen, du seist Antisemit.
Der Vorwurf des Antisemitismus weht heute noch nach, der besonders Antideutsche auf den Plan ruft(1)und dir “antisemitische Stereotype” unterstellen. Wie reagierst du auf diese Vorwürfe und welche Auswirkungen haben Diffamierungen der Antideutschen auf deine Person?
Da reagiere ich gelassen, manchmal amüsiert, manchmal leicht genervt. Wer inhaltlich wissen will, was die Position meiner internationalen Organisierung ist, kann das  gerne nachlesen(2)oder sich mal mit Israelischen Linken unterhalten, was sie über Antideutsche denken und dann mal überlegen, ob man alles glaubt, was irgendwer im Internet behauptet. Der Verfassungsschutz findet mich übrigens auch blöd.

 

Du zeigst dich hier als guter Proletarier, wirst auch als “Klassenkampf-Rapper” bezeichnet. Siehst du dich als Sprecher von „die da unten“, die im Kampf gegen “die da oben” mobilisiert werden müssen?
Klingt ja n bisschen ironisch, wie ist man denn ein “guter Proletarier”? Klassenkampf gibts jeden Tag, und wenn wir ihn nicht von unten führen, bleiben wir halt Opfer des Klassenkampfs von oben. Zum Sprecher ernennt man sich nicht selbst, das machen Bewegungen und Streiks schon selber, sich SprecherInnen zu wählen. Aber ja, ich versuche aus sozialistischer Tradition unsere Geschichtsschreibung und Weltsicht zu vermitteln und hoffe dabei, dass das in sozialen Kämpfen einen Wert hat.

 

„Hinter dem Faschismus steht das Kapital – der Kampf um Befreiung ist international“ (Antifahistory). Siehst du heute Verknüpfungspunkte zum 3. Reich, als Nazis eine Autarkie anstrebten und die derzeitige wirtschaftliche Rolle Deutschlands in Europa, eine wirtschaftliche Unabhängigkeit bzw. Vorreiterrolle/Dominanz zu erreichen?
Ich glaube weder, dass man Faschismus erklären kann, ohne von Kapitalismus zu reden, noch, dass wir gerade kurz vor einer faschistischen Neuauflage stehen. Das Kapital hat in Deutschland gerade nicht nötig, alle Arbeiterorganisationen zu zerschlagen, für die ist parlamentarische Demokratie gerade recht stabil, wenn man mal von Ausnahmen wie Blockupy Frankfurt(3) absieht, wo sie die Axt rausgeholt haben.
Imperialistische Staaten wie Deutschland oder die USA oder auch Frankreich haben immer versucht, eine wirtschaftliche und wenn nötig auch militärische Dominanz auszuüben. Das ist kein Merkmal des Faschismus, sondern kapitalistische Normalität.

 

Deutschland ist stark gewerkschaftlich organisiert. Der Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital wird sozialpartnerschaftlich-korporatistisch reguliert. Weltwirtschaftliche Rezessionen stören dieses Prinzip, führen zu Streiks. Bislang sind Arbeiterkämpfe ausgeblieben. Leidet deiner Meinung nach die Gewerkschaftsarbeit an mangelndes Interesse, sich an der Vertretung seiner Basis zu orientieren, denn mehr am Verhandlungserfolg mit den Korporierten der Verhandlungsgegner?
Ich glaube nicht, dass es immer nur in Zeiten von Krisen zugespitzte Klassenkämpfe gibt, sonst wäre im Sudan jeden Tag Revolution und Frankreich 1968 wäre nicht erklärbar. Aber dass die Führung der Gewerkschaften sehr solide im “sozialpartnerschaftlichen” Sessel sitzt und über die letzten 20 Jahre mitverantwortlich für massive Ausbreitung von Leiharbeit und Lohndumping ist (und mangelnden Widerstand gegen Gesetze wie die Hartz-Gesetze) finde ich ziemlich offensichtlich. Und es fehlt sowohl an Basisorganisierung in den Gewerkschaften wie an Organisationen, die auch überhaupt den Kampf um die Gewerkschaften ernsthaft führen.

 

„Wir brauchen in Old Europe keine Thatchers mehr dank dem gewerblichen Geschlechtsverkehr, den Sozialdemokraten mit dem Kapital schon seit Jahren ohne Gummi haben, bis sie dann ein Sparpaket austragen“; Wunderschöne Welt

 

In “Wunderschöne Welt” vom aktuellen Album “Kampfansage“ kritisierst du den hippen Rap, der die “Empfänger” bedient und die Kaufkraft steigert. Unterliegt HipHop -wie nahezu jede sogenannte Jugendkultur- einem Mode-, Trenddiktat der Industrie, einem Wandel der Zeit? Welche ursprünglichen wichtige Aspekte sind dabei für dich verlorengegangen?
Jede Sache, die auch Ware werden kann und Mehrwert generieren, unterliegt im Kapitalismus dem Einfluss der Industrie, da ist Kultur keine Ausnahme. Ich denke aber, dass es einen Gegenentwurf zur Kontrolle durch die Industrie immer gab und gibt, und im Hip Hop bin ich Teil davon. Schon die Sugar Hill Gang(4)war zusammengecastet und als Gegenbeispiel Dead Prez(5)sind auch nicht von 1980. Das ist also keine Frage von damals und heute, sondern wird ständig verhandelt.

„Aber ich glaube auch, für jedes Seniorenheim wäre Selbstorganisation eine gute Idee.“

 

 

Wie wichtig ist Selbstorganisation für dich? Du forderst das ja regelrecht von Jugendlichen…
Wenn ich etwas fordere, dann müsste ich es ja erzwingen können. Ich finde Selbstorganisation wichtig, um die eigenen Stärken und Fähigkeiten erkennen zu lernen. Und ich glaube, dass Jugendliche meist im Kopf noch nicht so verbaut sind wie ältere. Aber ich glaube auch, für jedes Seniorenheim wäre Selbstorganisation eine gute Idee. Lieselotte Meyer!

 

Glaubst du, dass sich politische Verdrossenheit bei Jugendlichen mit Musik und politischen Inhalten in eine extreme Denkweise verändern kann? Aspekte wie Arbeitslosigkeit und mangelnde Lebens-Perspektiven begünstigen politischen Protest, oder?
“Extrem” finde ich keinen guten Begriff. Wenn Leute dieses System kritisieren sind sie nicht extrem. Kapitalismus ist extrem ungerecht. Musik kann so Entwicklungen nur kommentierend begleiten und Mut machen. Ich bin nicht der Meinung, dass Arbeitslosigkeit eine bessere Grundlage für Widerstand ist, schließlich können Arbeitslose schwer streiken. Ich denke aber, dass immer offensichtlicher wird, dass Kapitalismus zugunsten von Profiten auf die Bevölkerung scheißt und dass Leute trotz enormen gesellschaftlichem Reichtum verhungern oder verarmen. Das führt über kurz oder lang zu Widerstand.

 

Du hast in einem Interview “Rap als Kunstform” bezeichnet. Siehst du dich mit deinem Sprechgesang als politischen Vermittler?
Vermittler zwischen wem? Ich bin politischer Aktivist und Rapper.

 

Demnach gehst du aber davon aus, dass die HörerInnen nicht blind konsumieren, sondern sich mit dir und deinen Inhalten beschäftigen. Möchtest du also politische Grundsatzdialoge mit dem Publikum führen und vor allem eher traditionelle HipHop-Fans aus der Defensive locken?
Politische Grundsätze entwickeln sich meiner Meinung nach nicht im Dialog, sondern in Bewegung. Ich kann politische Ideen in Songs teilweise transportieren, dass ersetzt nicht die Vorschläge, die ich als Aktivist in Kampagnen mache. Und wenn Leute mir eher zuhören, weil sie meine Musik gut finden, dann hilft das ein bisschen. Ist aber weniger entscheidend, als die richtigen Vorschläge zu machen. Schließlich frage ich ja auch nicht Mozart wie man ein Haus baut.

 

„Überzeugung hat nichts mit Image zu tun“

 

Der ist ja nun auch tot. Kommunist, Stalinist, Sozialist, Klassenkampf-Rapper. Kannst du dich mit diesen Begriffen identifizieren und hast diese auch bewusst für dein Image verwendet?
Ich bin Revolutionärer Sozialist. Als solcher verstehe ich mich als Anti-Stalinist, weil ich der Meinung bin, dass Sozialismus ohne Rätedemokratie keiner ist. Die UDSSR war eine Planwirtschaft, aber von einer Parteibürokratie mit Privilegien gelenkt, nicht von der Arbeiterklasse. GenossInnen aus meiner Tradition wie Leo Trotzki wurden in der UDSSR in den 30er und 40er Jahren massiv verfolgt und reihenweise ermordet. Überzeugung hat nichts mit Image zu tun.

 

Im Song “Du verstehst nicht” kritisierst du zu Recht auch den IWF. Die Kreditvergabe ist auch mit politischen Einfluss an Drittländer geknüpft. Welche Auswirkungen haben deiner Meinung nach die “Strukturanpassungsprogramme” auf die Menschen?
Der IWF hat massiv zur Privatisierung von Bildung und Gesundheitsversorgung auf der ganzen Welt beigetragen und ist somit direkt für den Tod vieler zehntausend Menschen mitverantwortlich. Es gibt da natürlich noch mehr Akteure, die man benennen muss wie z.B. die EZB, was Europa betrifft. Und man muss über die Leute reden, die daran im Endeffekt verdienen, die paar hundert Konzerne, für die der IWF und Co Politik macht. Da sollte man wissen wer das Werkzeug ist und wer das Werkzeug in der Hand hat.

 

In Deutschland mehrt sich der Anteil an verdeckter Armut, also Personen, die ihren Anspruch auf laufender Hilfe nicht geltend machen. Befinden sich die Rollen der Menschen im Berufsleben und als Staatsbürger weiter im Rückwärtsgang? Wer sich unterlegen fühlt, müsste sich doch eigentlich gegen den Staat auflehnen und entsprechende Forderungen stellen? Warum passiert das nicht ausreichend und öffentlich?
Auflehnen tut man sich – glaub ich – entweder, wenn man glaubt, dass man gewinnen kann (also wenn viele sehen, dass wir besser organisiert sind als der Staat und eine reelle Chance haben, etwas anderes aufzubauen) oder wenn man fast nichts mehr zu verlieren hat. Beides ist in Deutschland zur Zeit nicht der Fall. Wobei ich nichts schlechtes daran finde, wenn sich Menschen in diesem Staat nicht mehr als Staatsbürger verstehen, es ist ja schließlich nicht der Staat der Mehrheit, sondern der der Besitzenden.

 

More Infos:
https://www.facebook.com/mcholgerburner
http://www.sozialismus.info
http://www.socialistworld.net

 

Anmerkungen:
(1)  Quelle: http://kis.blogsport.de/2009/12/03/flugblatt-gegen-holger-burner/#stellungnahme
(2) http://maavak.org.il/maavak/
(3) http://blockupy-frankfurt.de/
(4) http://www.allmusic.com/artist/mn0000564631
(5) http://deadprezblog.wordpress.com/

 

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