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Die Grauzone

Die Band PSYCHISCH INSTABIL hat 1996 mit ihrem Song “Unpolitisch macht hirntot” innerhalb der Punk- und Skinkultur die Diskussion angeregt, ob Punk politisch sein sollte und eine klare politische Attitüde innerhalb dieser Subkulturen eingefordert, “da (in der Grauzone) die Kluft zwischen Hooligans, Gewalt, Prolltum und rechts halt nicht besonders groß ist!” (1)
Was also bleibt übrig, wenn Politik aus diesem Genre herausgenommen wird. Inhalte wie “Ficken, Saufen, Fußball” sind nicht selten. OI!-Bands propagieren den Zusammenhalt “unserer” Szene, feiern, trinken und beschwören den “way of life”.

 

“I like my way, my way of life
I’m a skinhead that’s my pride
Oi! is my music, belongs to me
It stands for the cult and unity!
(“Way of life”; LOIKAEMIE)

 

Skinheadkult, Zusammenhalt, Unity und OI-Musik sind die zentralen Aspekte, die durchsetzt sind von Ritualen. Die Wurzeln des Kultes liegen im konservativen Großbritannien der ’60er Jahre, in der Arbeiterklasse und sogar auf den karibischen Inseln. Wie jede Jugendkultur aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat der Kult „Skinhead“ seine Vorgänger (und Nachfolger), seine eigene Musik und sein eigenes Selbstverständnis. Jungen Menschen bietet die Zugehörigkeit zu einer Strömung oder einer Subkultur die Möglichkeit, unter seinesgleichen Freizeit zu verbringen, sich für eine Gruppe zu solidarisieren und soziales Verhalten einzuüben.
Wichtiger Aspekt ist die soziale Zugehörigkeit, die Gemeinschaft. Alleine im stillen Kämmerlein ein Bier trinken ist langweilig. Der Zusammenhalt basiert auf die Kumpelbasis, die Solidarität. Wer mich akzeptiert und für mich einsteht, der kann auch mit meiner Zuneigung rechnen. Gemeinschaftlich werden auch die einfachen Melodien und simplen Textzeilen gegrölt, was mitunter dem Schlachtgesang der Fußballfans ähnelt.
Das kollektive “Biervernichten” in der Gemeinschaft ist gleichzeitig auch Anlass, sich zu treffen, miteinander zu reden. Cliquenbildung und das Festhalten an oben genannten Ideale rückt die Gemeinschaft mehr nach innen, die bewusste Abgrenzung nach Außen lässt die Skinszene zu einem Mythos erscheinen.

 

Spielen zunächst auch Momente gemeinsamer cliquenmäßiger Freizeitgestaltung eine Rolle, zeigen sich im Rahmen voranschreitender Konsolidierung zusehends Veränderungen im kollektiven Selbstbild. Kulturelle Aspekte geraten in den Hintergrund, an ihre Stelle können politische Übereinkünfte treten. Politische Verortungen scheinen weniger das Ergebnis von Auseinandersetzungen und Konflikten, sondern ein Teil eines oft unausgesprochenen Konsens darzustellen.
In diesem sozialen Kontext bilden sich Identitäten heraus, die das Wohl in die Volksgemeinschaft suchen und finden. Diese Identität steht im Rahmen der Abstammungsgemeinschaft, die durchzogen ist von nationalen Orientierung, rassistischen Denkmuster. Ein idealer Nährboden für die extreme Rechte, Verknüpfungen und Parallelen herzuleiten und die unpolitische Szene zu infiltrieren.

 

NOIe Werte
Wenn die Suche nach der gesellschaftlichen Orientierung einem Jugendlichen in für ihn schwierigen Zeiten einfache Lösungen angeboten werden, dann wird es gefährlich. Aus der Erkenntnis, gesellschaftlich deutlich unter dem Durchschnitt zu stehen, beginnt die Stilisierung der eigenen sozialen Position hin zum Ideal des Arbeiters und seiner Klasse. Hier gründet auch eine soziologische Eigenart des deutschen Skinheads, denn die britische working class  und die deutsche Arbeiterklasse  sind nicht dasselbe. Eine homogene westdeutsche Arbeiterklasse hat sich in den Jahren nach 1948 nicht entwickelt, so wie es eine deutsche Arbeiterklasse bis Anfang der 40er Jahre gegeben hat. Der „deutsche Arbeiter“ existierte nur bis zum Ende des totalen Kriegs, und auf dieses Ideal der Arbeiterklasse orientieren sich dann viele Jugendliche. Die Nähe zum Nationalsozialismus, der einen kräftigen Anteil an der Verklärung dieses Bildes trägt, wird in Kauf genommen oder sogar dazu benutzt, das Bild einer Gegen-Gemeinschaft zu zeichnen und Protesthaltung gegen „die anderen“ einzunehmen: gegen die, die Modernisierungsgewinner sind.
Heinz Hachel, ehemaliger Sozialwissenschaftler am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, definiert die beiden identitätsstiftende Ausgangspunkte als proletarischen und völkischen Romantizismus.

 

Die Affinität von Skinheads zum völkischen Romantizismus und damit zu faschistischem Gedankengut begründet er, dass „die völkisch-nationale Ansprache es vermag, mit minimalen Reibungsverlusten an die Gedanken- und Gefühlswelt des proletarischen Romantizismus anzuschließen“ (2)

 

Der proletarische Romantizismus, so schreibt Hachel, ist:
…jene subkulturelle Konstante, die sich von den Anfängen des Movements bis hin in seine internationale Gegenwart stringent durchzieht und heute jenen kleinsten gemeinsamen Nenner stellt, der Working-Class-Skins über alle Fraktionen und politische Haltungen hinweg verbindet: Die Sehnsucht nach der verlorenen proletarischen Heimat, jenes Paradiese lost, in das allein die subkulturelle Regression zurückführt.” (3)

 

Das verlorene Paradies wird aber bei der Bereitschaft zur Aufgabe der eigenen Individualität kein Paradies für jeden einzelnen, sondern eins, für alle: Ein Großteil der Individualtität geht bei der Rückbesinnung völkische Romantizismen verloren: „Volk, Blut Ehre und doitsche Rasse, die Sehnsucht nach dem nationalen Mega-Kollektiv“ stellen eine Ersatz-Religion, knüpfen nahtlos an den Gedanken der verlorenen Heimat an und führen ihn in einfache, aber längst überkommende Wertevorstellungen.

 

Die Verpflichtung zur Gemeinschaft kann durchaus eine Verlässlichkeitserwartung zur Folge haben, die mit Sanktionen belegt werden kann. Wo Party, Spaß, Saufen, Musik hören und Konzerte die Bedürfnisse einer Subkultur darstellen, ist die Gefahr einer organisatorisch-durchdachten Hierachisierung nicht fern, die zumindest in Teilen der Szene akzeptiert wird, da sie die Gemeinschaftssehnsüchte erfüllt. Treue, Ergebenheit verweisen auf die Bedingungslosigkeit des Zusammengehörigkeitsgefühls.  Bevor Partei und Politik Einzug erhalten, sind es vordergründig die Spaß- und Erlebniswelten, die mit extrem rechten Inhalten gefüllt werden. Jugendliche aber werden anders an diese Inhalte herangeführt, sie werden ihnen anders vermittelt, und sie drücken sich auch anders aus. Weit jenseits der Parteien und klassischen Organisationen sind extrem rechte Lebens- und Erlebniswelten entstanden, die auf eine Verbindung aus Spaß und Abenteuer, Musik, Action und Lifestyle aufbauen. Was von den Behörden oftmals verharmlosend als “unorganisiert” und “Kultur” beschrieben wird, entwickelt eine viel größere Bindungskraft und Dynamik als traditionelle Organisationsformen.

 

Vom RechtsRock in die Grauzone
Der Sänger Matze der Wolfenbütteler Band „Bleeding Pride“ (der sich auch „Metzen“ oder „Jean-Pjärr“ nennt) schreibt seit Jahren unter dem Namen „Evil-M“ im Internetforum „Thiazi“, dem größten und bedeutendsten Diskussionsforum der Neo-Nazi-Szene(4). Er ist dort als „förderndes Mitglied“ aufgeführt. „Förderndes Mitglied“ wird nur, wer durch eine Geldspende zum Erhalt des Forums beiträgt. Matze, der auf einer StudiVZ-Seite von „Bleeding Pride“ mit den Worten „Gebrülle zu völkischer Melodie Eisenesel Matze“ vorgestellt wurde, spielte zuvor u.a. bei „Brutal Deluxe“, „Krassguard“ und „Die Kampfgefährten“. Bereits 1998 gründete er zusammen mit Benjamin H. – genannt „Dellinger“ – die Band „Hasserfüllt“. Diese löste sich 2002 auf und wurde 2007 wieder gegründet. 2010 löste sich „Hasserfüllt“ erneut auf und Matze und Benjamin H. gründeten das Nachfolgeprojekt „Bleeding Pride“.
Einzelne Lieder die ursprünglich für „Hasserfüllt“ entstanden wurden von „Bleeding Pride“ übernommen und finden sich z.B. auf der im letzten Jahr erschienenen ersten Demo-CD wieder.
Während in den Liedern und Texten von „Bleeding Pride“ (bisher) kein offener Bezug auf faschistische Ideologien oder rechte Parolen festgestellt werden konnten, fanden sich im Repertoire ihrer Vorläuferband „Hasserfüllt“ auch eindeutige Rechtsrocksongs. So stellte Matze z.B. am 16.05.2009 eine von „Hasserfüllt“ gecoverte Version des von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierten Stück „Zeit zu handeln“ der Band „Stuka“ ins „Thiazi“-Forum.
Auf einer 2001 in Eigenproduktion veröffentlichten Musikkassette von „Hasserfüllt“ findet sich eine Coverversion des Liedes „Alibaba“ der Nazi-Band „Standarte“. Ganz offen wird darin in zum Mord an türkischen MigrantInnen aufgerufen: „Steckt sie in den Kerker oder schickt sie ins KZ, von mir aus in die Wüste aber schickt sie endlich weg. Tötet ihre Kinder, schändet ihre Fraun, vernichtet ihre Rasse und lehrt ihnen das Graun.“
In einem ebenfalls bei „Thiazi“ veröffentlichten Interview mit Matze macht dieser die politische Ausrichtung von „Hasserfüllt“ deutlich und antwortet auf die Frage nach seinen musikalischen Vorlieben: „Ach das kommt immer drauf an wie gerade die Laune ist, das können manchmal ruhige Stücke sein, oder doch die etwas härtere Gangart. Also ich selber hör von RAC bis Metal. Favoriten gibt es eigentlich nicht wirklich, nur zur Zeit läuft bei uns im Proberaum sehr oft Gigi und X.x.X.”. Mit „Gigi“ ist das Musikprojekt „Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten” gemeint.  Auf den CDs von „Gigi“ werden u.a. alte Schlager und Neue Deutsche Welle-Hits gecovert und mit neuen faschistischen Inhalten versehen (5).
„X.x.X.“ nennt sich seit einiger Zeit die Naziband „Deutsch, Stolz, Treue“. Fast alle ihre Lieder sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (6).
BLEEDING PRIDE ist als Band bisher nicht als offene Rechtsrock-Band in Erscheinung getreten. Sie gibt sich “unpolitisch” und ordnet sich eher dem musikalischen Umfeld der Grauzone zu.
Anfang des Jahres haben sich Teile der Band von Matze distanziert und die Auflösung der Band bekannt gegeben (7).

 

Rebellentum als Attitüde

 

“Working Class Rebel Rock’n'Roll
This is the sound of the street – Oi! Oi! Oi! Oi! ” (PERKELE)

 

Auf der Straße leben, Bier trinken, Stolz auf die Arbeiterklasse. Unpolitische OI-Bands propagieren den real way of life. Wie dieser aussieht beschreibt die Band RAWHEADS: “We are wearing boots, we go back to the roots. We are wearing braces, we are allways in masses. Our culture is our pride, allways looking for a fight(…)We are shaving our hair, we are drinking many beer. We are dressed hard but smart, our music is for the heart(…).”

 

Das gepflegte Rebellentum wird am Tresen, auf der Straße gefeiert und ausgelebt. Rebellion ist ein immer wiederkehrender Aspekt und erzeugt Lieder von Rebellen der Straße, Rebellen der Nacht. Bands wie OI-REBELLEN, RAWHEADS, SCHUSTERJUNGS oder SLEIPNIR sagen Prost, besingen ihren Kult, frönen die Macht des OI und schwören auf die Rebellion: “Engel leben ewig, Rebellen sterben jung. Eine Konsequenz bis zum Ende, es gibt nichts zu bereuen.” (Sleipnir)
SLEIPNIR hatten in den Anfangstagen textliche Inhalte vor allem mit einer Mischung von rassistischen Elementen in Verbindung mit sozialen Problemlagen und einem unterschiedlich starken Bezug auf den Nationalsozialismus. Seit 2000 beziehen sich Sleipnir textlich zu einem großen Teil auf die nordischen Mythologie. Weitere wiederkehrende Themen sind Freundschaft, Treue und das Rebellentum.
Noch mehr Engel und Rebellen gibt es im Song “Rebellen der Nacht” von RAWHEADS: “Von Natur aus sind wir keine Engel, doch wie jeder weiß. Wir leben wie wir fühlen und bezahlen auch den Preis. Böse Worte, Arroganz pflastern uns den Weg. Doch wir zeigen Toleranz, sind stets gut aufgelegt, Rebellen der Nacht(…)”.

 

So sehr sich sogenannte unpolitische Bands auch einer politischen Meinung verweigern oder diese verschleiern, so enthält die Begrifflichkeit der Rebellion politische Versatzstücke.
Rebellion ist per Definition Widerstand gegen die Staatsgewalt, ein Aufstand, der gesellschaftliche Veränderungen herbeiführt. Gesellschaftliche Veränderungen erreichen ist auch das Ziel der extremen Rechte. In einem Infoblatt des „Aktionsbüros Nord“ von 2005 heißt es eindeutig: „…Deshalb wollen wir dieses asoziale System nicht reformieren, sondern abschaffen und durch ein nationales und soziales Deutschland ersetzen.“ Damit meinen sie eine rechtsautoritäre Diktatur, in der die Würde des Einzelnen nichts mehr zählt und in der Minderheiten diskriminiert werden.  Für den Zusammenhalt und die Attraktivität der Szene spielen Konzerte eine wichtige Rolle. Längst haben extrem rechte Musiker und Bands erkannt, dass sie ihre menschenverachtende Ideologie nicht länger in der Rechtsrock Szene verorten müssen, sondern können sich in der sogenannten Grauzone unpolitisch nennen, um einerseits zu vermeiden, dass Konzerte polizeilich verboten werden, insofern sie nicht aufgrund antifaschistischer Arbeit verhindert werden, und dass sich unter diesem Label auch neue Erlebniswelten erschließen. Denn dort, wo der gemeinsame Konsens „Party, Musik hören“ zählt, können leicht extrem rechte Verhaltensmuster etabliert werden.
Zwar wollen extrem rechte Musiker auch die Zuhörer_Innen unterhalten und sich selbst verwirklichen, trotzdem steht im Vordergrund, die Hörer_Innen für die Szene zu gewinnen bzw. in der Szene zu halten. Oder wie es der Rechtsrock-Vertrieb Panzerfaust Records (8) auf seiner Webseite schreibt: „We don’t just entertain racist kids: We create them.“ – „Wir unterhalten nicht nur rassistische Kinder: Wir schaffen sie.“
Dafür ist die “Grauzone” ein geeigneter Raum. Denn wenn in Jugend- und Subkulturen Politik außen vor bleiben soll, ist sie umso anfälliger für politische Konzepte, die von außen infiltriert werden. Ein Ziel der Völkische Nationalisten (9) ist es, eine gesellschaftliche Separation herbeizuführen, um diese durch hierarchische, autoritäre Strukturen zu besetzen, und durch eine gesunde, starke Volksgemeinschaft zu ersetzen. Die Grauzone ist dabei ein kultureller Ort, um die völkisch-nationalen Räume zu isolieren, das bedeutet, dass sie auch autonom, sozial und politisch sind.
Die Extreme Rechte verjüngt sich. Die politischen Strategien beziehen sich nicht mehr nur auf NS-Nostalgie und völkischer Ideologie, aus Marschmusik und Parteifolklore, aus Zucht und Unterordnung, sondern setzt verstärkt auf neue Erlebniswelten, auf Lifestyle und mediale Erfahrungskontexte. Da ist die Grauzone ein willkommener Raum, in diesem den Wandlungsprozess zu modernisieren, der die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt und in dem subkulturellen Rahmen eine mediale Plattform zu nutzen und extrem rechte Inhalte zu transportieren und ein rechtes Weltbild zu konstruieren. Insofern kann die Grauzone auch Einstiegsmuster in die extreme Rechte beinhalten. Selbst wenn aus der Retrospektive des bereits rechts Orientierten bestimmte Schlüsselereignisse als entscheidend benannt werden, geht eben nicht „einfach etwas im Kopf los“ und danach ist man ein rechter Skinhead; vielmehr gibt es eine Reihe von Erfahrungen mit jeweils spezifischen Deutungen und orientierungsrelevanten Strukturierungen, die zu ideellen und habituellen Annäherungen führen. Politische und jugendkulturelle Entwicklung sind eng miteinander verzahnt und findet in der kulturellen Gestalt ihren Ausdruck. Die politische Haltung kann aber auch in Folge der kulturellen Integration entstehen.

 

Die Rebellionsorientierung
Identitätsfindung hat immer auch etwas mit Abgrenzung zu tun, die mal mehr, mal weniger expressiv ausfallen kann.
Auch die Entscheidung, sich als (rechter) Skinhead zu präsentieren und zu inszenieren, kann somit Teil des Versuchs sein, sich möglichst deutlich von Eltern, Lehrkräften oder anderen Jugendlichen abzusetzen und darüber die eigene Besonderheit zum Ausdruck zu bringen. Erwähnenswert ist dieses Muster somit weniger als eigenständiges Hinwendungsmotiv, sondern als ein ergänzendes Moment vor allem des ersten und des dritten Musters, in denen die eigene randständige Position im wahrsten Sinne des Wortes kultiviert und positiv gewendet wird. Allerdings hat der Begriff der Rebellion in diesem Zusammenhang eine spezifische Färbung, da er nicht in erster Linie die grundsätzliche Ablehnung ‚klassischer’ Werte meint. In der Bejahung interpersonaler Gewalt und in sozial auffälligem Verhalten, werden zwar Verhaltenskodizes und Normen bewusst und in Provokationsabsicht gebrochen, flankiert wird eine solche Verhaltensorientierung jedoch durch die Bejahung anderer Normen und Werte wie zuvorderst Familie, Erwerbsarbeit sowie erstaunlicherweise auch „Ruhe“ und „Ordnung“, so dass man in diesem Zusammenhang von einer ‚konservativen Rebellion’ sprechen kann, in der mit dem Mittel der Abweichung solche gesellschaftlichen Werte übererfüllt werden sollen, deren Verblassen und ggf. allmähliches Verschwinden man der Modernisierung gesellschaftlicher Verhältnisse zuschreibt.

 

Rechts=Links?
Unpolitische Bands gibt es viele. Neonazigruppen bedienen sich mittlerweile bei fast allen Musikrichtungen. Was sie produzieren, wirkt wie eine Einstiegsdroge. Ein Musikvideo auf Youtube: Eine Band spielt vor kahlen Betonwänden – enge T-Shirts, Cargohosen, tätowierte Arme. Die Musik: aggressiver Hardcore, ein seit Ewigkeiten fest in der linken Szene verwurzelter Stil. Aber hier spielen bekennende Nationalisten. Es gibt viele solcher Beispiele. Denn rechte Musik, das ist heute weit mehr als stumpfer Rechtsrock von Glatzköpfen. In mehreren Szenen haben sich solche Strömungen etabliert. Dabei dient die Grauzone als Raum. Die Extreme Rechte dringt in kulturelle Räume ein, in denen notwendige Abgrenzungen durchbrochen, ein einheitliches Bild, UNITY, beschworen wird und politische Positionen verdrängt. Bands verkünden, keine politischen Aussagen in den Texten zu formulieren und auch keine politische Botschaft zu vermitteln und scheinen sich so gegen jegliche Kritik von außen gewappnet. Dies hat zur Konsequenz, dass politische Haltungen und daraus resultierendes Handeln bagatellisiert werden. Bands werden nur noch nach ihrem Sound beurteilt und wahrgenommen und der politische Kontext ausgeblendet. Die politische Meinung soll lediglich die persönliche Meinung widerspiegeln und nicht zur Spaltung der “Szene” führen.
“Normalerweise mische ich mich in Politik nicht ein und versuche die Meinungen von jedem zu akzeptieren. Ich kümmere mich um meine eigene Politik in der Wahlkabine während der Wahlen.  Es ist nicht etwas, dass ich gerne in meine Lieder schreiben noch produzieren möchte.  Manchmal ignoriere ich die politischen Ansichten von Bands mit denen ich arbeite (vor allem bei Bands aus Delaware, welche eigentlich meine Freunde sind).  Ich hatte einige politische Bands bei NECK RECORDS:  „STIFF MIDDLE FINGERS“ von der Linken und „THE INCITED“ von der Rechten.
Diese Bands kamen in der Vergangenheit nicht besonders klar miteinander, aber das ist jetzt Geschichte und sie hatten  beide Lieder auf dem Sampler Oi! don’t pay the bills! Vol 1.”
Kurt Beers von THE BARONS (10)

 

Die politische Meinung ist nach Ansicht von Kurt Beers allenfalls eine persönliche Meinung, ist Ausdruck von Selbstbestimmung und ist in ihrer Außendarstellung immun gegen Kritik. Gleichzeitig werden rechte Positionen adaptiert, toleriert oder ignoriert, je nachdem was für die eigene Argumentationslinie benötigt wird. Wenn in sozialen Netzwerken oder in der Grauzone extrem rechte Positionen verankert sind, können diese ausgeblendet und verdrängt werden, so lange mensch sich auf den gemeinsamen Nenner für die Begeisterung von OI!-Punkmusik und Spirituosen einigen kann. In der unpolitischen OI-Punk- und Skinsubkultur gelingt es Neo-Nazis Einfluss zu gewinnen, rechte Positionen zu verankern, mit dem Ziel, Fürsprecher zu gewinnen. Daraus resultiert, dass Kontakte geknüpft werden, rechte Strukturen aufgebaut werden und rechtsoffene Konzerte und Festivals veranstaltet und stattfinden können. Dies führt zu einer Bereicherung der rechten Erlebniswelt. Die Grauzone ist eine Mischszene, durchsetzt von politischen Ansichten, die auch mit der extremen Rechte verknüpft sind. Bands wie Krawallbrüder, Frei.Wild, BETONTOD sind aktuelle Beispiele, an denen deutlich wird, wie widersprüchlich der Ansatz unpolitisch zu sein im Verhältnis zur Realität steht (11).
Nah am Leben, mit persönlichen Ansichten werden Punk-, Rechtsrock-Hintergründe ausgeblendet und in die Grauzone eingetaucht, dem Deutschrock gefrönt, da sich so durchaus ein breiteres Spektrum erschließen lässt. Politik wird als persönliche Ansicht dargestellt, die das Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet und frei von jedem Verdacht ist. Im Zweifelsfall kann mensch sich ja immer noch auf den Kult berufen, denn der vereint und ist unangreifbar.

 

Rechte Erlebniswelten im Raum Hildesheim
In Hildesheim sind die „Bootboys Hildesheim“ maßgebliche Organisatoren der lokalen Oi- Szene. Sie führen immer wieder Aktivitäten wie Feiern, Kegelabende, Partys, Grillen, Zelten und Busreisen zu anderen Konzerten durch bzw. veranstalten selbst Konzerte. Hildesheim gilt als eine Szene-Hochburg. Teilweise haben die eingeladenen Bands selber einen neonazistischen Hintergrund (z. B. Condemned 84 am 7.11.2009).
Tattoos und T-Shirts des Publikums offenbaren zahlreiche Bezüge in die Neonazi-Szene, z. B. den Neonazi-Club „Walhalla“ in Belgien, die Band „Skrewdriver“ (Sänger Ian Stuart gilt als Begründer von „Blood & Honour“) oder die Band „Kill Baby Kill“. Kill Baby Kill spielte regelmäßig auf Konzerten von „Blood & Honour“. Bei deren Nachfolgegruppe in der Region Braunschweig/Harz „Honour & Pride“ traten sie ebenfalls auf und sind im Verfassungsschutzbericht 2008 des Landes Niedersachsen als rechtsextreme Oi-Band aufgeführt. Zu der Band Kill Baby Kill hat die Hildesheimer Oi-Szene enge Verbindungen: Der Gitarrist Nudel spielte früher in der Hildesheimer Oi-Punk-Band Riot Company und ist mit seinen Band-Kollegen gern gesehener Gast bei Veranstaltungen der Bootboys Hildesheim. Statements der Band sind eindeutig: „Bring back the oi to the white working class!“
Die Kontakte in die organisierte Neonazi-Szene bestehen nicht nur über die Band Kill Baby Kill. Aus den Reihen von „Honour & Pride“ sind immer wieder Besucher oder sogar Helfer, wie z.B. Jens Wolpers aus dem Landkreis Hildesheim auf Veranstaltungen der Bootboys Hildesheim anzutreffen.
Auch zahlreiche andere Personen aus der Neonazi-Szene sind auf den Konzerten der Bootboys Hildesheim anwesend. So z. B. Mario Messerschmidt am 23.8.2008. Er wurde im Juni 2009 zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er im November 2008 in einem Göttinger Nachtclub mit einer Pumpgun herumschoss und anschließend mit weiteren Neonazis Brandsätze gegen die Fassade des Gebäudes warf.
Ein weiterer Akteur ist Jan Greve, der früher in der Nazi-Szene aktiv war und angeblich ausgestiegen ist. Er organisiert Oi-Konzerte im Raum Hildesheim, z. B. Am 3. Dezember 2005. Die Polizei beendete das Konzert im Dr. Lax Haus wegen der Teilnahme rechter Bands (u. a. „Deutsch Nationale Antisemiten“).
Zur Hildesheimer Oi-Szene zählt auch der „Adler-Versand“ aus Diekholzen. Der Adler-Versand zählt zur Oi-Skinhead-Szene im Umfeld „Bootboys Hildesheim“ und vertreibt über das Internet vor allem CDs, Schallplatten, Bekleidung und Accessoires aus der Oi- und Punk-Szene. Etliche Bands stammen  allerdings aus der Neonazi-Szene, so z. B. Kill Baby Kill, Skrewdriver, Ultima Thule etc. In der Vergangenheit wurden im Adler-Versand auch neonazistische Zeitschriften angeboten. Der Verfassungsschutz Niedersachsen führt diesen Versand im Bericht 2008 als einen von 13 neonazistischen Versänden in Niedersachsen. In Hildesheim versuchte sich der Betreiber des Adler-Versands, Tino Adler, auch als Konzert-Organisator: Am 13. Mai 2006 sollte ein Konzert mit der Band „Brachial“ im Dr. Lax-Haus am Schützenplatz stattfinden. Auf Intervention der Polizei sagte der Vermieter die Veranstaltung jedoch ab, da rechte Bands auftreten sollten.
Dass öffentliche Interventionen sinnvoll sind, zeigt, dass nach entsprechenden Hinweisen und Presseberichten eine Veranstaltung der Bootboys Hildesheim am 19. Dezember 2009 im Hildesheimer Brückenstübchen, bei der u. a. eine rechte Band auftreten sollte, aufgrund öffentlichen Drucks abgesagt wurde.
Das Veranstaltungszentrum Speicher hat inzwischen auch kein Interesse mehr an OI-Konzerten.

 

Schnittstellen zwischen Jugendkulturen und der extremen Rechten
Gung beschreibt sein Fanzine “Feindkontakt” als “nicht braun-nicht rot- nicht Grauzone”. Das Fanzine hat -bezogen auf Name und Covergestaltung- eine Affinität zur Band OHL (OBERSTE HEERESLEITUNG), die 2006 den Tonträger “Feindkontakt” veröffentlichten und auf nahezu jedem Cover tummeln sich militärisch geprägte Bilder wie Wehrmachtsoldaten u.ä. Selbige Combo schießt sich ebenfalls ein auf jegliche politische Extreme, fühlt sich im Kampf gegen das Böse berufen, wobei Themen wie religiöser Fanatismus, politischer Radikalismus, Terrorismus und Nationalismus die Wurzeln des Übels sind.

 

Die Rechts=Links-Manöver von Deutscher W. entsprechen den Folgen der Extremismus-Ideologie. In der Debatte um die Extremismustheorie weicht der Konsens, neonazistische Strömungen gemeinsam über Partei- und Strömungsgrenzen hinweg zu bekämpfen und auszugrenzen. Bei der von  Familienministerin Schröder initiierte Bekämpfung des “Extremismus” werden die sogenannten  „Extremisten“ in einen Topf geworfen und sollen gemeinsam bekämpft werden. Kern dieser Debatte ist die Annahme, es gäbe in unserer Gesellschaft eine stabile „demokratische Mitte“, an deren „linken“ und „rechten“ Rändern  sich gefährliche „ExtremistInnen“ tummeln, die es staatlicherseits durch Repression oder pädagogische Programme einzudämmen gälte(12).
Damit verbunden ist eine oberflächliche Gleichsetzung von „Linksextremismus“ und „Rechtsextremismus“ sowie eine Reduktion der neonazistischen und extrem rechten Gefahr auf eindeutig politisch organisierte neonazistische Gruppierungen und deren Gewalttätigkeit. Die rassistischen und antidemokratischen Tendenzen im „Herz der Gesellschaft“ werden außer acht gelassen. Wer und was jedoch „extremistisch“ ist, definieren Innenministerium und Verfassungsschutz. Eine gesellschaftliche Debatte über diese Definition findet kaum statt.
Im Falle von Gung und das Fanzine “Feindkontakt” zeigt eine analytische Überprüfung, dass der Herausgeber offenbar keine Probleme damit hat, rechtsoffene Inhalte zu propagieren und unterstützen, sowie extrem rechte Versände zu beliefern. So ist das Fanzine beispielsweise auch im DIM-Records zu erwerben, obwohl Gung erklärt: “Das Feindkontakt versteht sich als klar nicht poilitisches Fanzine, allerdings grenzen wir uns klar von faschistischen/ rassistischen bzw. radikalen klar ab!” (13)

 

DiM RECORDS
“Ich bin rechtsradikal, aber kein Neonazi” (Ulrich Grossmann)
Ullrich “Uhl” Großmann von DiM Records tritt betont unpolitisch auf, vertreibt im Sortiment neben OI, Streetpunk, auch Tonträger von R.A.C. (Rock against Communism) Bands. Tatsächlich handelt es sich um eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen rebellischer Jugendkultur im Punk, Skinhead oder auch Psychobilly-Stil und der extremen Rechten. Seit 1991 existiert das Label des bekannten ehemaligen Funktionärs der Jungen Nationaldemokraten (JN). Auf seinem Label wurden bisher über 187 Tonträger zwischen “unpolitischem” Oi und klassischem Rechtsrock veröffentlicht. Darunter befinden sich viele Sonder- und Lizenzveröffentlichungen auf Vinyl und Tonträger internationaler Bands (ULTIMA THULE, KAMPFZONE, THE JINX). Großmann machte ab Mitte der 1990er Jahre den aus Schweden kommenden “Wikinger” beziehungsweise “Viking”- Rock in Deutschland populär. DiM-Records tritt betont unpolitisch auf, tatsächlich öffnet er das jugendkulturelle Feld für extrem rechte bis neonazistische Parolen, da er eben nicht, wie die meisten Rechtsrock-Versände, nur Material mit extrem rechten Hintergrund vertreibt, sondern auch tatsächlich unpolitische oder auch progressive Musik. Das aber verwischt die politische Grenze und Abgrenzung.
Dabei wäre es dem Betreiber des Coburger Naziplattenversandes und – labels am liebsten gewesen, das Buch „WHITE NOISE – Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene“ (14) wäre nie erschienen, um seine „unpolitische Tarnung“ marktstrategisch zu bewahren. Mit einer Einstweiligen Verfügung wollte er die Publikation verhindern. Grund waren die nachgewiesenen Verbindungen von DIM-Records mit dem deutschen Blood & Honour-Netzwerk. Per Einstweiliger Verfügung und mit Hilfe des Anwaltes Klaus Kunze, der unter anderem schon den militanten Neonazi, Kameradschaftsaktivist Torsten Heise (15) verteidigte, wollte er die Auslieferung in den Buchhandel verhindern. In zweiter Instanz wurde entschieden, dass, wer Poster des Blood & Honour-Gründers Ian Stuart Donaldson im Katalog führt und sich auch und vor allem an das “Blood & Honour-Publikum” wendet, sich durchaus als “Schnittstelle der Neonazi-Skinhead-Szene” bezeichnen lassen muss.

 

Anmerkungen:
(1) HöhNie von PSYCHISCH INSTABIL im Interview: http://www.hoehnierecords.de/extra/pb39.htm
(2) in Farin, Klaus: Die Skins, S. 149.
(3) in Farin, Klaus: Die Skins, S. 142f.
(4) Eine Übersicht aller Einträge von „Evil-M“ im Diskussionsforum gibt es hier: http://forum.thiazi.net/search.php?do=finduser&u=35851
(5) Mehr Infos zu „Gigi“: www.turnitdown.de/219.html
(6)   Mehr Infos über die Band:
www.netz-gegen-nazis.de/lexikontext/deutsch-stolz-treu
(7) http://antifacafebraunschweig.blogsport.eu/2011/04/01/bleeding-pride-aufgelost-bandmitglieder-ausern-sich/
(8) http://de.wikipedia.org/wiki/Panzerfaust_Records
(9) http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr106s.htm
(10) http://www.dimrecords.de/sides/barons-inter.html
(11) http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/89/42.pdf
(12) Pressemitteilung der Familienministerin zur „Extremismusbekämpfung“: http://www.kristinaschroeder.de/presse/mitteilungen/2009/kristina-koehler-es-gibt-keine/
(13) Fehler im Original: http://alemanlocos.npage.de/feindkontakt_fanzine_91894619.html
(14) http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,6,5.html
(15) http://de.wikipedia.org/wiki/Thorsten_Heise

 

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