Hungersteik und Zwangsernährung

Die inhaftierte Marija Aljochina (PUSSY RIOT) hat im Mai 2013 einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt. Bei der Anhörung selbst durfte sie nicht persönlich teilnehmen und trat in den Hungerstreik.
Der Hungerstreik ist eine Form des passiven Widerstands. Ein/e Einzelne/r oder eine Gruppe verweigern dabei die Nahrungsaufnahme mit dem bewussten Risiko, Schaden zu nehmen.


Wie jede Streikaktion ist der politische Hungerstreik eine öffentliche Demonstration mit einem konkreten Ziel um auf die Verhältnisse, Unterbringungen aufmerksam zu machen oder um politische Forderungen durchzusetzen. Das unterscheidet den Hungerstreik vom Fasten, dessen Ziele eher spirituell gesteckt sind. Ein Hungerstreik hat drastische Folgen, da die Nahrungsverweigerung bereits ab etwa drei bis vier Wochen zu ernsthaften, zum Teil bleibenden gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tod führen kann. Gelegentlich wird der Hungerstreik durch Zwangsernährung mittels Magensonde gebrochen, was nach § 101 StVollzG unzulässig ist(1). Der von Ärzt_innen durchgeführte Eingriff ist risikobehaftet und wird mehrheitlich abgelehnt, weil „eine Zwangsernährung in unzulässiger Weise in das Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen eingreift, was einem fundamentalen Verstoß gegen die ärztliche Berufsethik gleichkommt“ (2). Und auch in der Erklärung von Tokio der World Medical Association von 1975 ist festgeschrieben, dass Ärzte sich nicht an Maßnahmen zur Zwangsernährung beteiligen dürfen(3).

 

Die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage sind bei der Zwangsernährung – einem schweren Grundrechtseingriff –, besonders hoch. Im Falle des Walliser Hanfbauern Bernard Rappaz und der Frage, ob in Schweizer Haftanstalten Gefangene zwangsweise ernährt werden dürfen, hat 2010 einen scharfen Konflikt zwischen Medizinethikern, Ärzten und Strafrechtswissenschaftlern auf der einen Seite und dem Schweizer Bundesgericht auf der anderen Seite hervorgerufen. Die Auseinandersetzung erinnert ein wenig an die Kontroversen in Deutschland zu Zeiten der RAF. Allerdings hat auch das heutige deutsche Strafvollzugsgesetz mit § 101 StVzG eine Regelung, die Zwangsernährung ermöglicht: „Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind zwangsweise nur bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig(…).“
Oberflächlich betrachtet kreist der Konflikt um das Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen einerseits und den staatlichen Strafanspruch andererseits. Der Staat und vielfach auch das öffentliche Interesse legt Wert auf eine geordnete Durchsetzung des Strafanspruchs. Gleichzeitig gilt es, die Grund- und Menschenrechte der Strafgefangenen zu wahren.

 

Brechmittel-Einsatz: Tod durch Ertrinken

 

2004 erregte in Bremen ein von der Polizei veranlasster Brechmitteleinsatz für Aufsehen, der mit dem Tod von Laya Condé aus Sierra Leone endete. Er wurde von einer Zivilstreife verdächtigt mit Drogen zu handeln und bei der Kontrolle Kokain-Kügelchen heruntergeschluckt zu haben. Daraufhin wurde er ins Polizeipräsidium gebracht, wo ihm vom diensthabenden Arzt ein Brechsirup verabreicht werden sollte. Da sich Laya gegen die Behandlung zur Wehr setzte, wurde er gefesselt und bekam das Brechmittel und Wasser mit einem Schlauch durch die Nase in den Magen eingeflößt. Die Ärzte diagnostizierten „Tod durch Ertrinken“, das Wasser, das ihm der Arzt per Nasensonde eingeflößt hatte, war in seine Lunge gelaufen. In einem ersten Prozess war der Arzt 2008 vom Bremer Landgericht freigesprochen worden, dieses Urteil hat der BGH aufgehoben. Bei der Neuauflage des Prozesses 2011 kam es ebenfalls zu einem Freispruch. Der Arzt habe zwar „objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht“ verstoßen, dies jedoch aufgrund „mangelnder Erfahrung mit Brechmittelvergaben subjektiv nicht erkennen“ können. Der BGH bezeichnete diesen Freispruch als „fast grotesk falsch“. Der Fall muss neu aufgerollt und verhandelt werden. Seit dem 9. April 2013 läuft der dritte Brechmittelprozess gegen den an der Tötung von Laye  beteiligten Arzt. Hierzu gibt es eine in Gedenken an Laye-Alama Condé gegründete Initiative, die den Prozess und den Hintergrund dokumentiert (4).

 

„Für die Freiheit gestorben“
Immer wieder treten Flüchtlinge und Asylbewerber_innen in den Hungerstreik, um u.a. die Aufhebung der „Residenzpflicht“(5), das Arbeitsverbot und ein generelles Bleiberecht zu fordern oder grundsätzlich die Lager-Unterbringung und die Verhältnisse anzuklagen und/oder eine sofortige Schließung einzufordern. Manchmal bezahlen sie für ihre Forderungen mit dem Leben. Im Januar 2012 nahm sich ein 29-jähriger Iraner in der Würzburger Asylbewerber-Unterkunft das Leben. Seine Mitbewohner sagen, wegen der katastrophalen Zustände. Bereits im Dezember habe er Selbstmordabsichten geäußert und sei deshalb in der Würzburger Uniklinik für Psychiatrie begutachtet worden. Es wurde empfohlen, „an der Art der Unterbringung etwas zu verändern“.

 

Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, werden immer noch in zentrale große Aufnahmelager gesteckt. Zumeist müssen die Menschen dort mehrere Jahre ausharren. Familien mit mehreren Kindern haben oft nur ein Zimmer zur Verfügung; statt Badezimmern gibt es nur Gemeinschaftsduschen in langen Gängen. Ein Privatleben ist für die Bewohner_innen somit kaum möglich. Ihr Alltag ist häufig vorgegeben, und es gibt keine Möglichkeit, diesen selbst zu bestimmen. Als Reaktion folgte im Oktober 2012 ein Protestmarsch, Flüchtlinge aus Würzburg brachen nach Berlin auf, errichteten in Berlin 2 Protestlager und traten in den Hungerstreik. Von Anfang an waren sie polizeilich Repressionen ausgesetzt. Auf dem Pariser Platz wurden die Streikenden von der Berliner Polizei in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit und friedlichen Protest eingeschränkt. Ihnen wurden Isomatten und Zelte weggenommen oder verboten Decken zu benutzen.
Eine Bleiberechtsregelung für schon lange in Deutschland ansässige Flüchtlinge, die zwar integriert seien, aber offiziell nur „geduldet“ werden, weil mensch sie nicht abschieben kann, gab es zuletzt 2006, die darauf abzielte, die Geduldeten aus der Sozialhilfe auszuschließen. Eine Regelung, die das Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde verletzt. Grundsätzlich, also rechtlich, werde sich in dieser Wahlperiode wohl nichts ändern, weder bei der Residenzpflicht, Arbeitsverbot für 1 Jahr noch bei den katastrophalen Verhältnissen in manchen Gemeinschaftsunterkünften. Kurzfristig können Hungerstreiks aber für eine öffentliche und politische Diskussion Verbesserungen bei der medizinischen Versorgung bei den Streikenden herbeiführen und Unterbringungen saniert werden. Wenn diese Maßnahmen medial wirksam als wirksame Maßnahme und als Erfolg „verkauft“ wird, rückt die eigentliche Kritik der politischen Forderungen der Streikenden in den Hintergrund, stellt aber die politischen Parteien vor das Dilemma, dass Deutschland sich in den vergangenen Jahren zu stark auf die Möglichkeit der Abschiebung verlassen und Unterbringungsplätze für Flüchtlinge zu stark abgebaut habe. Zynisch klingt dagegen die Tatsache, dass in Berlin-Schönefeld ausgerechnet die neue Einrichtung für das Flughafen-Schnellverfahren für Asyl fertig ist, während der neue Flughafen selbst erst in einem Jahr in Betrieb gehen kann.

 

Anmerkungen:
(1): “(…)die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar und dürfen nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann.”
(2) Gravier, Ein Hungerstreik ist eine Protesthandlung. Schweiz Ärztezeitung, Seite 1523
(3) http://www.wma.net/en/20activities/10ethics/20tokyo/index.html
(4) http://initiativelayeconde.noblogs.org/
(5) Asylbewerber dürfen den Landkreis nicht verlassen, der für ihre Unterbringung zuständig ist

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