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Rechte Gefangenenhilfe

Im Dezember 2012 wurde das Verbot gegen die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG) vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gerichtlich bestätigt(1). Die HNG war bis zu ihrem Verbot die größte neonazistische Gruppierung in Deutschland. Erklärtes Ziel war die Betreuung und Unterstützung von sogenannten “nationalen Gefangenen”.

Dabei ging es der HNG aber nicht etwa um eine Resozialisierung von Straftätern und deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sondern um die Verfestigung einer beim Straftäter angelegten nationalsozialistischen Gesinnung. Durch systematische Relativierung des begangenen Unrechts sollte der Inhaftierte in seiner rechtsextremistischen Überzeugung und seinem Tun bestärkt und zur Begehung weiterer Straftaten motiviert werden. Die 1979 gegründete HNG veröffentlichte in einem monatlich erscheinenden Nachrichtenblatt Namen der Gefangenen. Die HNG tauchte zuletzt im Zuge der Haftentlassung des Neonazis Martin Wiese in den Medien auf. Wiese saß wegen eines geplanten Sprengstoffanschlags in Haft – auch er war von der HNG „betreut“ worden, genau wie beispielsweise der neonazistische Polizistenmörder Kay Diesner. Auch Holocaustleugner Horst Mahler oder Holocaustleugnerin und Rechtsanwältin Sylvia Stolz tauchen in den „Gefangenenlisten“ der HNG auf – genau wie Neonazis in den USA. An 1991 hatte Ursula Müller den Vorsitz über den „mitgliederstärksten Zusammenschluss deutscher Neonazis“ übernommen.

 

Nachfolgeorganisation
Das Gefangenen-Projekt „Gefangenenhilfe.info“ wurde als Plattform für verschiedene Initiativen ins Leben gerufen, „die sich um die Vorbeugung, Betreuung, Direkthilfe und Wiedereingliederung in unsere Gemeinschaft nach einer verbüßten Haftstrafe drehen.“
Das offizielle soziale Netzwerk der Organisation auf Facebook heißt „Gefangenenhilfe Freundeskreis“.
GefangenenHilfe ist die Nachfolgeorganisation der verbotenen HNG. „GefangenenHilfe“ ist ein in Schweden eingetragener, gemeinnütziger Verein mit einer Kontaktadresse aus Stockholm, Schweden, offenbar, um ein Verbot als Nachfolgeorganisation der HNG in Deutschland zu umgehen. Mit einem Seitenhieb auf die HNG-Verbot reagiert GefangenenHilfe.info mit einer „bis vor Kurzem“ fehlende bundesweit organisierte Gefangenenhilfe und erklärt: „Wir wollen da auf keinen Fall eine Struktur kopieren oder fortführen, sondern bauten eine VÖLLIG neue (Gefangenenhilfe) auf.”(2)
Die GefangenenHilfe.info hatte ihren ersten öffentlichen „Auftritt” beim Deutsche Stimme-Pressefest, also genauer gesagt am 11. August 2012.
Die GefangenenHilfe beteiligte sich mit einem eigenen Infostand am „Südwestdeutschen Kulturtag der JN“ am 13. April 2013. Ziel sei es, „Verbindungen knüpfen, Projekte planen.“ An der Veranstaltung führte Thorsten Heise durchs Programm, Manfred Börm(3)hielt einen Vortrag über das Soldatentum, der nationale Buchautor Udo Walendy berichtete über die Zensurmaßnahmen des Staates, seinem „Knastaufenthalt“ und Rechtsstreit wegen seinem Buch „Freiheit für Deutschland“.

 

1965 gründete Walendy den „Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung“, der 1999 auf Walendys Ehefrau übertragen wurde. Zeitweilig war er auch Landesvorsitzender der NPD Nordrhein-Westfalen.
Walendy veröffentlichte in seinem Verlag zahlreiche Werke, in denen die Kriegsschuld Deutschlands und der Holocaust bestritten werden, unter anderem „Starben wirklich sechs Millionen“ von Richard Harwood und „Der Jahrhundertbetrug“ von Arthur Butz, außerdem die Schriftenreihe „Historische Tatsachen“, die eine ähnliche Zielsetzung verfolgt.
Nachdem Walendy aufgrund eines Gerichtsurteils seinen Verlag und die Schriftenreihe nicht fortführen durfte, erschienen einige Ausgaben von „Historische Tatsachen“ bei „Vrij Historisch Onderzoek (VHO)“. Maßgeblich beteiligt an VHO war der Holocaustleugner Germar Rudolf.
Walendys Buch „Wahrheit für Deutschland“ kann als sein Hauptwerk betrachtet werden; auch dieser Text ist darauf abgestellt, die deutsche Kriegsschuld zu leugnen. Amazon führt dieses indizierte Buch im Online-Sortiment, hat aber einige Kommentare und Online-Rezensionen gelöscht, was Kunde Hubert Steinbrecher auf die geistige Barrikade bringt: „Ein ausgezeichnetes Buch, das jeder Deutsche unbedingt lesen sollte. Es ist keinesfalls volksverhetzend und wurde zu Unrecht indiziert(…)Mir jedenfalls reicht es, seit 50 Jahren tagtäglich in allen Medien die ewige Schuld Deutschlands aufs Brot gestrichen zu bekommen und an die Verpflichtung zur ewigen Wiedergutmachung auf allen Kanälen und in allen Presseprodukten erinnert zu werden. Und in allen diesen Medien der Zionisten wird ja so gern der Deutsche als der Hässliche, Böse, Unkultivierte dargestellt(…)“.
    Am 27. April gab es in Niedersachsen ein Seminar. Im Rahmen der „Deutschland-Tour“ stellte „GefangenenHilfe“ Ziele und Aktionsformen vor. Am Abend trat der extrem rechte Liedermacher „Fylgien“ auf. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Sebastian Döhring aus Berlin und tritt auch unter den Namen „Germanischer Geist“ auf. Dessen Album „Mein Glaube heißt Deutschland“ wurde 2011 unter anderem wegen Kriegsverherrlichung von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. Zudem ist Sebastian Döhring Parteimitglied der NPD und kandidierte am 18. September 2011 für einen Sitz im Berliner Abgeordnetenhaus und beteiligte sich außerdem an der Schulhof-CD der NPD 2011.

 

Rechte Solidarität
Die langjährige Erfahrungen der HNG in der „Betreuung von Gefangenen und ihrer Angehöriger“ verschafft der Gefangenenhilfe Freundeskreis „einen guten Überblick darüber, wie wir am Effektivsten helfen können“. Für Spenden können unter anderem T-Shirts für „unseren Freund Wolle“ bestellt werden, gemeint ist Ralf Wohlleben, der mutmaßliche Unterstützer des NSU-Terrornetzwerks, der wegen Beihilfe zum Mord angeklagt ist, weil er der NSU eine Waffe besorgt haben soll. Das neue Netzwerk kann sich vieler Unterstützer_innen erfreuen, so z.B. Ralf Wohllebens Ehefrau oder auch andere Mitglieder der Thüringer NPD und des Freien Netzes in Thüringen. Ein weiter Unterstützer ist Oliver-Gerd Raninger, der sich auf der Facebook-Seite der „Gefangenenhilfe Freundeskreis“ im Soli-Shirt für Ralf Wohlleben präsentiert.
„Freiheit für Wolle“ steht auf dem T-Shirt, welches Oliver-Gerd Raninger aus Wolfenbüttel auf dem Foto  trägt. „Wolle“ – ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen – soll die Waffe vom Typ „Ceska“ besorgt und weitergeleitet haben, mit der der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) seine Morde beging.
Raninger zeigt nicht nur Sympathien für Rechtsterroristen, sondern ist auch selbst seit Jahren in der neonazistischen Szene aktiv. Er verfügt über gute Kontakte zu führenden Neonazis – insbesondere auch in den nordeuropäischen Ländern und ist einer der derjenigen, die hinter dem „Freundeskreis Gefangenenhilfe“ stehen, der derzeit die Solidaritätskampagne für Ralf Wohlleben organisiert. Raninger ist laut der Mitgliederzeitschrift „RK Report 2/2012“ vor kurzem in den „Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V.“ eingetreten und dort der „Reservisten Kameradschaft Braunschweigische Infanterie“ zugehörig. Mit dem Foto von ihm im Soli-Shirt wird vom „Freundeskreis Gefangenenhilfe“ für dessen Verkauf geworben. Der Erlös soll der Unterstützung von Ralf Wohlleben und seiner Familie dienen.
Und nicht nur für den NSU-Unterstützer zeigt Raninger offene Sympathie: Auf einem Foto aus seiner Wohnung ist zu sehen, dass dort an der Wand ein Bild vom Hitler Stellvertreter Rudolf Hess und daneben eins von Timothy McVeigh hängt.
McVeigh war verantwortlich für den Bombenanschlag am 19. April 1995 auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City (USA), bei dem 168 Menschen starben. Seine Ideen für den Anschlag soll Timothy McVeigh unter anderem aus den „Turner Tagebücher“ entnommen haben, jenem Roman voller rassistischer und antisemitischer Ideologie, in dem ein Geheimbund einen „Rassenkrieg“ mit Terroranschlägen führt. Die „Turner Tagebücher“, die von der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien indiziert sind, zählen neben „Mein Kampf“ und dem „Mythos des 20. Jahrhunderts“ mit zur Lieblingslektüre von Oliver-Gerd Raninger. Er ist Mitglied und Anhänger zahlreicher neonazistischer Organisationen, zu denen er rege Kontakte pflegt. Neben der  „Hilfsgemeinschaft für Nationale Gefangene“ (HNG), auf deren Gefangenenliste er 2003 selbst stand, ist er Anhänger der „Artgemeinschaft“, besucht das „Thule-Seminar“ und interessiert sich für den „Freibund“(4) und den „Bund-Frankenland e.V.“

 

Schnauze voll
Im April hatten hessische Justizbehörden Hinweise auf ein rechtes Netzwerk in Gefängnissen. Im Zentrum der Ermittlungen stehe die Justizvollzugsanstalt Hünfeld. Es habe eine verschlüsselte Kommunikation in der Post gegeben, um Kontakt von hessischen Justizvollzugsanstalten in Gefängnisse anderer Bundesländer aufzunehmen. Hinweise auf ein Neonazi-Netzwerk, das bundesweit in deutschen Gefängnissen gespannt werden sollte, bestätigte Justizminister Jörg-Uwe Hahn. Demnach gab es Hinweise auf die versuchte Kontaktaufnahme mit dem Umfeld der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ – und auf einen direkt an die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe adressierten Brief. Dabei gab es im Briefwechsel von Gefangenen bereits im Februar Hinweise darauf, dass Inhaftierte ein eigenes Netzwerk gründen wollen. Der Kasseler Neonazi Bernd Tödter(5) fühlte sich von den Gefangenenhilfsorganisationen seiner „Kameraden“ nicht mehr vertreten und beabsichtigte eine eigene gründen. Eine Bundesweite Organisation soll es sein, die bereits Vertretungen in diversen Haftanstalten hätte. So beschreibt er seine neue Organisation, die bald ein gemeinnütziger Verein werden soll. In einem Gefangengenbrief verkündet Bernd Tödter:  „Wir sind eine wilde Horde aus verschiedensten Clubs aus dem gesamtdeutschen Raum (mittlerweile auch darüber hinaus), die EINES gemeinsam haben – z. Zt. der staatlichen Willkür ausgesetzt, da ALLE (noch) in Haft sitzen.“ Man habe »die Schnauze voll« von Gefangenenhilfsorganisationen und daher am 20. April 2012 in der Justizvollzugsanstalt Hünfeld ein eigenes Projekt gegründet.
Offenbar gebe es Ansprechpartner in den JVAs Kassel, Fulda, Frankfurt, Leipzig, Dresden, Borna, Hamburg…

 

Extrem rechte Strukturen in Haftanstalten
Neonazis nutzen Gefängnisaufenthalte zur Verbreitung rechtsextremer Propaganda unter Mitgefangenen, zum Gewinnen neuer Anhänger sowie zum Prestigegewinn innerhalb der rechten Szene. Für Neonazis stellt das Gefängnis oft einen regelrechten Aktionsraum zur Selbstorganisation dar. Neonazis gründeten in der Jugendhaftanstalt Hameln die „Kerkerkameradschaft Hameln“. Einer der Kameraden war vor seiner Haft in militanten Nazikameradschaften in der Region Weserbergland organisiert und verhalf so seinen Mitgefangenen zum Einstieg in die rechte Szene. Im Gefängnisalltag seien die Kameraden und Gefangenen „unkompliziert, pflegeleicht“, sie übernähmen oft „Hilfsaufgaben“ und stünden bei größeren Revolten oft auf der Seite des Wachpersonals (6).
Die Zeitschrift „gefangenen info“ berichtet unter Berufung auf Gefangene von JVA-Bediensteten, „die das rechte Treiben passiv tolerieren und teilweise auch selbst rassistisch und reaktionär agieren“.
„In den letzten Jahren ist der braune Gedanke unter den Gefängniswärtern wieder populär geworden“, wird der Gefangene H. B. in „gefangenen info“ zitiert. Das junge, schlecht bezahlte und
perspektivlose Gefängnispersonal werde vornehmlich in den neuen Bundesländern, unter ehemaligen Soldaten und Afghanistan-Veteranen rekrutiert. H. B. spricht daher von einer „Wehrsportgruppe Strafvollzug“ (7).
Offenbar greift der Verfassungsschutz auch auf inhaftierte Neonazis als V-Leute zurück. So wurde im NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in der Sitzung vom 28. Februar 2013 deutlich, dass der wegen Mordversuchs verurteilten Neonazi Carsten Szczepanski als V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes in den 90er-Jahren im Gefängnis das Nazi-Fanzine „United Skins“ herausgab, um als Freigänger und nach seiner Haftentlassung als Quelle in der Nazi-Szene platziert zu werden.
„Der Knast wird oft zum Aufstiegssprungbrett. Es ist nicht übertrieben, von einer ‚neonazistischen Kaderschmiede‘ zu sprechen“, heißt es im Onlineportal „Netz-gegen-Nazis. Bekanntes Beispiel ist Sven Kahlin, ein damals 17-jähriger Angehöriger der Skinheadfront Dortmund-Dorstfeld, der 2006 den Punk Thomas „Schmuddel“ Schulz erstach. Kahlin wurde wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugendhaft verurteilt, der Vorsitzende Richter schloss einen politischen Tathintergrund aus. Im Gefängnis wurde er von der „Hilfsorganisation für nationale Gefangene“ betreut und so in seiner rechten Überzeugung gefestigt. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung im Jahr 2010 wurde Kahlin in der rechten Szene als Held gefeiert. Als Redner auf einer Neonazidemonstration in Hamm trug er kurz nach seiner Haftentlassung ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Was sollten wir bereuen”.

 

Fazit: Aus der „stillen Hilfe für braune Kameraden“ ist ein Netzwerk geschaffen worden, dass die Nachfolge der HNG antritt und teilweise ungehindert der Justiz operieren kann. Merkwürdig ist bei diesen Fakten, dass weder der Verfassungsschutz noch der hessische Justizminister bis zum Bekanntwerden eines Artikels über das Nazi-Netzwerk im Knast gemerkt haben wollen, dass der militante Skinhead Bernd Tödter ein Nazi ist, obwohl er sowohl im Verfassungsschutzbericht wie auf der 129er-Liste des BKA mit NSU-Helfern steht und obwohl er während seiner Haftzeit vom BKA zu NSU-Kontakten vernommen wurde. Das zeigt erneut, dass trotz NSU-Debatte Verfassungsbehörden und Inlandsgeheimdienste entweder rein gar nichts dazu gelernt haben, oder sie verschleiern weiter die Probleme durch organisierte Nazistrukturen, nicht nur in Hessen. Es ist gefährlich, wenn sie heute wieder behaupten, jetzt gäbe es kein Nazi-Netzwerk mehr, weil sie wieder in ihr Nichtstun verfallen und Nazis ungestört operieren lassen.

 

Anmerkungen:
(1) http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2011/09/verbot_hng.html
(2) http://www.freies-netz-sued.net/index.php/2012/11/20/interview-mit-der-gefangenenhilfeinfo/
(3) Manfred Börm: NPD Gemeinderatskandidat in Handorf bei Lüneburg, ist einer der wichtigsten Neonaziaktivisten in Norddeutschland. 1979 war der gelernte Hochbautechniker gemeinsam mit anderen Aktivisten der so genannten Werwolf-Untergrundorganisation an einem bewaffneten Überfall auf einen NATO-Stützpunkt in Bergen-Hohne beteiligt. Wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde Manfred Börm zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er initiierte u.a. auch den Bundesordnungsdienst, bei dem Börm selbst mitmischt.
(4) Der Freibund (rechtlich: Der Freibund – Bund Heimattreuer Jugend) ist ein deutscher Jugendverband mit etwa hundert jugendlichen und zweihundertfünfzig erwachsenen Mitgliedern, der der Neuen Rechten zugerechnet wird.
(5) Bernd Tödter, Jahrgang 1975, ist ein deutscher Neonazi. Tödter ist Gründer der Organisation „Sturm 18 Kassel – Kameradschaft Nordhessen“
(6) www.netz-gegen-nazis.de/artikel/nazis-im-knast-aktionsraum-und-kaderschmiede-7684
(7) www.gefangenen.info/index.php/archiv/65-gi-373–nazis-im-knast