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Haarmann

Haarmann
Haarmann

HAARMANN
v. Peer Peter&Isabel Kreitz
176 Seiten, €19,90
ISBN 978-3-551-79107-8
carlsen.de
Inhalt: Fritz Haarmann, einer der brutalsten Serienmörder Europas, arbeitete als Spitzel für die hannoversche Polizei. Nacht für Nacht durchstreifte er die Wartesäle des Bahnhofs auf der Suche nach jungen, allein reisenden Männern. Mit Hilfe seines Polizeiausweises konnte er das Vertrauen seiner Opfer erlangen.

Er führte sie in seine Wohnung, vergewaltigte sie und biß ihnen im Sexualrausch die Kehle durch. Obgleich es über Jahre immer wieder Anzeigen gegen Fritz Haarmann gegeben hat, konnte er ungehindert sein mörderisches Treiben fortsetzen, gedeckt von der Polizei und umkreist von skrupellosen Schmarotzern, die aus Haarmanns Treiben ihren Vorteil gezogen haben. Eine unheimliche Geschichte in düster-beklemmenden Bildern.
Gesamteindruck: Peer und Isabel weisen gleich zu Anfangs darauf hin, dass die Kriminalgeschichte die Vorgänge nicht in exakter Reihenfolge nachzeichnet und aus dramaturgischen Gründen Handlungsstränge aus der Abfolge herausgelöst und neu montiert wird. Das bedeutet für die Graphic Novel, dass sich die Auflösung des Falles um die Person Friedel Rothe webt, welcher historisch das erste Opfer Haarmanns war.
Der Hintergrund dieser unglaublichen und grausamen Kriminalgeschichte spiegelt die wirtschaftlich-gesellschaftlichen-sozialen Verhältnisse der Weimarer Republik wieder: Armut, Chaos, Hunger, Währungsverfall, Inflation. In diesen Verhältnissen bildet sich ein langjähriger Kriminalfall, Haarmann ermordet in den Jahren 1918 bis Juni 1924 24 junge Männer. Erreichen konnte Haarmann das unter den Vorhaben, ein “Kriminal” zu sein. Tatsächlich arbeitete Haarmann als Polizeispitzel, mit Polizeiausweis, der an den Wartesälen des Bahnhofes seine reisende Opfer fand. Herumtreiben galt als polizeiliches Delikt. Der homophile Haarmann zerstückelte seine Opfer, verkaufte Fleisch in der Schankwirtschaft und an Günstlinge. Schädel, Knochen warf er in die Leine, die Kleidung der Toten verschenkt/verkauft. Peer Meter und Isabel Kreitz gedenken der Opfer im Buchumschlag und geben Umstände des Todes wider, was gleichzeitig einer Gedenktafel gleichkommt.
In der zeichnerischen wie textlichen Herausforderung galt es, den historischen Kontext (Stadtbild: Häuser, Bauten, Straßenzüge, Kleidung) ins Panel zu packen, die Charakterzüge und -eigenschaften der realen Personen einzufangen und die Sprachkultur (Gossensprache) einfließen zu lassen. Der Kriminalfall, der gleichzeitig als Justizskandal in die Geschichte eingeht, ist mit Isabells realistischen Bleistiftzeichenstil eindrucksvoll gezeichnet. Die vielen Schattierungen und  Grautöne gestalten die Szenen lebendig, dynamisch, schaffen Raum und Tiefe. Nahezu jeder Panel ist liebevoll mit Details versehen. Besonders die historisch genaue Darstellung um das Bahnhofsgebäude mit dem Eingangsportal, den Wartesälen, dem Bahnsteig und das Ernst-August-Denkmal sind eindrucksvoll gezeichnet.
Wie konnte Haarmann so lange unentdeckt bleiben und seine Morde begehen? Diese Frage wird auch in der Nacherzählung von Meter/Kreitz veranschaulicht. Mit dem Polizeiausweis ausgestattet verfügte Fritz Haarmann über einen gewissen gesellschaftlichen Status, der ihn Ansehen verlieh und gleichzeitig alle Möglichkeiten bot, seinem Trieb und Lustprinzip nachzukommen. Isabell zeigt den Akt der Zerstückelung (S. 61ff) als ritualisierte Form der Gewalt. Haarmann handelt kontrolliert, zielgerichtet und planmäßig. Die Abfolge der Bilder verstärken dies.
“Ich will geköppt werden, dann hab ich endlich ruh!” Haarmann, der trotz Hinweisen und Hausdurchsuchungen lange Zeit verschont von einer Verhaftung und einem polizeilichen Verdacht verschont blieb, wird am Ende als psychisch kranker Mensch präsentiert. Die Geschichte endet mit dem bekannten Kinderlied: Warte, warte nur ein Weilchen…”. Genauso spannend ist der von Peer Meter verfasste historische Überblick zur Person Haarmann, der u.a. die Tatorte bebildert, aber vor allem den Justizskandal -die versuchte Vertuschung durch Behörde, Polizei- beschreibt, den Prozessbeobachter Theodor Lessing unbeeindruckt der behördlichen Gerichts-Schikanen energisch und hartnäckig offenlegt.
Die Vorstellung Menschenfleisch gegessen zu haben, können Haarmanns KundInnen zwar leugnen, aber nicht verdrängen, was Isabell auf Seite 155ff erneut eindrucksvoll in detaillierten Bildern darstellt. “Haarmann” ist ein düster inszeniertes Kriminalstück, mit intensiven Momenten und Panelabfolgen, die viel Platz und Raum für detaillierte Handlungen lassen, die die Dramatik und den Impuls ebenso wie die Resonanz auf den Fall verstärken.