PLASTIC BOMB #74

PLASTIC BOMB #74
80 DIN A 4 Seiten; €3,50.-
Platic Bomb, Postfach 100205, 47002 Duisburg
www.plastic-bomb.de
Micha wohnt dem Battle of the Bands zwischen EA 80 und EISENPIMMEl bei und erlebt “Ruhrpott-goes-Mallorca-Asipunk” und “innovativen, kryptischen Intelligenz-Punk”. Überhaupt war Micha für die aktuelle Ausgabe ziemlich reisefreudig und besuchte Konzerte von den “Mario Barth” der Punks, THE DREADNOUGHTS, (“die exzellente Eindruck der LP/CD wurde bestärkt(…)”, bekommt ein “aufregendes Kribbeln” bei THE POGUES mit Shane MacGowan, das später dazu führt, dass der Mageninhalt in dezenten Strömen vergossen wird.
Zu Haue genießt Micha die 80er Jahre und feiert seine TOP 15 Ami-HC-Alben ab, die er bei reichlich Bier, herrlichem Wetter durch die Gehörgänge jagt und dann durch den Fleischwolf dreht, um die Hörgenüsse akribisch aufzuspalten. Auch für HC-Helge sind die 80er Jahre ein großes Steckenpferd. So reitet er mit FLAG OF DEMOCRACY, die ausführlich über Bandgründung, Konzert- und Tourerlebnisse und eigene Texte plaudern, wobei für Jim das Thema Nationalstolz in dem Song “Baby Zero” Anlass ist, in Rage zu geraten und festzustellen, dass “ich doch nicht auf eine verfickte Landmasse stolz sein kann”.
Soziologische Feldstudien erforscht Basti auf dem Punk im Pott und wundert sich über die “Blagen”, die neongrüne 15-Loch-Boots offen tragen, inklusive in die Schuhe gestopfte Hose und einen angepassten Gangstil entwickelt haben. Relativ brav hingegen ist das neue DIE KASSIERER-Album geworden. Die Band beschäftigt sich mit Physik im Allgemeinen und dem Nachmittagsprogramm im Fernsehen im Speziellen. Comedy-OI, der immer noch den Hauch von Sexismus versprüht, gleichwohl Volker meint, Sexismus sei durch Gangsta-Rap  gesellschaftsfähig geworden und “Germanys next Topmodel” als rechtsradikal empfindet, ein Konzept, das ein faschistoides Weltbild erzeugt. Alex und Bettina (YOUNG&DISTORTED-Fanzine) erzeugen punkhistorische Momente mit TV SMITH und einem Abriss über die Dokumentation von Ö-Punk (Ausstellung, Platten, Film). Auch Vasco dokumentiert mit seinem Artikel “Was ist dein Bio Arsch wert?” die Propaganda der Lebensmittelindustrie, die mit Werbekampagnen und allerlei Tricks “naturnahe” Produkte auf den Markt bringen, die Profite einfahren und die Gewinne steigern sollen, aber -und das stellt Vasco klar heraus- nicht annähernd die Qualität und den Wert von Bio-Produkten erreichen. Dafür liefert Vasco reichlich Fakten und Beispiele, benennt Gründe, warum “Bio” besser ist und ebensolche Gründe, was hinter der Methode der Industrie steckt, Billigfleisch und -produkte als “natürlich”, “gesund” anzupresien, kritisiert das politische Vorgehen der Lobbyisten in der Regierung, die die Industriewünsche erfüllt. Ullah wünscht sich, Danny von PESTPOCKEN niederzustrecken, bekommt dafür in Tarek’s neuen Film “Gegengerade” Gelegenheit und hat ‘ne schöne Zeit bei den Dreharbeiten. Eine schöne Zeit hatte auch  Ronja mit der Fortsetzungsreihe “Herstory”, die sie von Sarah übernommen hatte, stellt nun aber fest, dass das Modell veraltet sei und nicht explizit herauszustellen gehöre. Diese Feststellung war ja auch seinerzeit der Grund, warum der ehemalige Mitherausgeber, Swen Bock, die PLASTIC GIRL Reihe im Heft eingestellt hatte.  Irgendwie schade, denn für mich waren die ausführlichen, persönlichen Geschichten immer ein Lesevergnügen, zumal es Ronja bestens verstand, die Interviewpartnerinnen in ein sehr persönliches Gespräch über Familie, Biographie, Plänen und Träumen zu verwickeln. Dafür gibt es aber immer noch die Rubrik “Anders leben”, die im Zuge der inhaltlichen Ausrichtung neu hinzugekommen war und seitdem mit qualitativ hochwertigen Artikeln und Berichten den musikalischen Horizont überwindet und viele neue politische Ideen, Projekte präsentiert und Denkanstöße hervorbringt. Dieses Mal werden Personen und Projekte vorgestellt, die sich der Creative Commons anschließen, aktive Beiträge für die open source Community leisten und mit Hackerspace den digitalen Freiraum erobern.
Gesamteindruck: Das thematische Wirkungsfeld liegt im Bereich aktueller gesellschaftskritischer Aufgaben, Musikinterviews, Punkhistorie und Konzerterlebnisse. Das P.B. erarbeitet mit Fachwissen und Spontanität unterhaltsame, informative Konzepte zwischen Forschung und Gesellschaft, Punk und Subkultur. Der übergeordnete Ansatz, innovativ zu sein, wird nur teilweise erfüllt.  Die Stärken liegen eindeutig in den kritischen, politischen Artikeln von Vasco und der “Anders Leben”-Rubrik, sowie Helge’s Faible für 80er Ami-HC, der mit einfachen Fragen erstaunlich ausführliche Antworten erhält, die sich explizit mit der eigenen Bandgeschichte befassen, aber inhaltlich interessante Anekdoten zu Tage fördern.

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