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Und nur im Winter knirscht der Schnee

Und der alte Mann spielt wieder Geige. Man hört es auf dem Flur der Psychiatriestation, doch es stellt den Schüttelfrost nicht ab und die Sonne strahlt von draußen dazu, oder lacht sie uns nur noch aus?

Wink zurück alter Mann mit deinem Bogen! Ich hole mir ‚Tavor’!

Immer dieses kalte Blasenmachen mit dem Kaugummi. Soll die Medikamentenmundtrockenheit und das unstillbare Durstgefühl erleichtern, doch die Innenhandflächen sind trotzdem nass, ich scheuche die Putzfrau aus dem Klo: „Dann wisch ich eben morgen.“ sagt sie und hängt ein: „Dann mal los!“ hintendran.

Der alte Mann spielt Geige. Ich liebe seinen Antrieb, sein wollen um Musik, und die Ameise schleppt ein Blatt auf ihrem Rücken, warum nur muss ich würgen, warum die Schauer durch den Leib, wenn ich doch kein Wolkensprenger bin?

Schon wieder ist die Seife aufgebraucht, die Zahnpasta am Ende.

Nur die Lymphdrüsenbeulen schwellen nicht ab, ich mag mich nicht mehr an ihnen drücken, habe mich und sie nicht lieb genug.

 

„Was hast du denn da für ’ne komische Beule in der Leistengegend?“, fragte die Frau den Mann, und dann drückten sie beide auf den beuligen Höckern rum, legten sich stumm in ihre alte Position und machten im Sex da weiter, wo sie sich abgelenkt unterbrochen hatten.

„Ahhhh!“, entkam es ihm schmerzhaft, als sie sich auf ihn setzte.

„Oh, hab ich im Moment gar nicht dran gedacht.“, und sie wechselten erneut die Stellung.

Der Mann erinnerte sich ans Verhaken der Schamhaare seiner Frau in den Klammern auf der frischen Naht seiner Darm-Op. Und an ihr gemeinsames Lachen und an den Satz des Professors des gleichen Tages: „O.k., sie können nach Hause, ich entlasse sie, aber nicht den Helden spielen!“

„Niemals Herr Professor.“ hatte der Mann damals geantwortet und wusste danach kaum noch, wie er auf seinen Autositz gekommen war.

„Na los, einmal noch rauf auf die Knoten.“, und sie hockte sich andersrum, doch die Beulen sprangen wie Sprungfedern mit, ließen sich einfach nicht vertreiben, und überhaupt, vielleicht war es wie schon oft gesagt im Leben, sowie man eine Beule irgendwo reindrückt, kommt sie woanders wieder raus. Dann lieber da die Beulen eines Bruchs, wo sie sich von allein hinschoben.

„Komisch, vorhin noch walnußgroß und jetzt wie ’ne Kartoffel.“, staunten sie am Ende beide.

„Ist dann wohl doch eher ein Bruch.“, tastete der Mann sich leise, „der alte Mann hat wieder Geige gespielt.“, hörte er sich sagen.

„Und war schön?“

„Ja. Man hat sein Spielen auf der ganzen Etage gehört.“

„Und wehe du gehst dich jetzt waschen, unseren Saft nimmst du schön mit, wirst sehen, dann schläfst du auch nachher viel besser.“

Und der Mann nahm den Saft mit wie immer, und manchmal, ganz selten, wachte er tatsächlich erst auf, wenn die Schwester seinen Blutdruck maß, hörte: „Na, ihr Blutdruck schläft aber noch.“ Und an anderen Morgen hatte die Greul des Erwachens ihn längst vor die Stationstür getrieben und hustend die Morgensonne anwürgen lassen. Und nur im Winter knirschte der Schnee anbei.

 

J. Landt

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