Never trust a Hippie

Die Hippies haben Geburtstag.

Jene, unter Artenschutz stehende - ja fast ausgestorbene - Spezies und Erscheinungsform, die Ende der 60er Jahre für ein Aufschrei in der konservativen, spießbürgerlichen Gesellschaft sorgte. Lange, zumeist ungewaschene Haare, immer mit einem süffisanten Lächeln im unreinen Gesicht und das unverwechselbare Peace-Zeichen, bei dem die Handgeste mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger dargestellt wird. Interessant hierbei, dass das Peace- (oder aufgrund der dargestellten Form auch Victory)-Zeichen seinen Ursprung im Mittelalter hat. Damals wurden den Bogenschützen, die gefangen genommen wurden, der Mittelfinger und der Zeigefinger abgeschnitten, damit sie nie wieder mit dem Bogen schießen konnten. Die Bogenschützen streckten daher nach einem Sieg immer diese beiden Finger in die Höhe um zu demonstrieren: "Seht her, ich habe meine Finger noch". Den Hippies wurden die Finger nicht abgesäbelt.

Sie waren ja auch keine Bogenschützen, sondern bekiffte Nervensägen, die dich immer und überall vollquatschen mussten. Gut, dass machen obdachlose Penner heute auch noch, aber in der Hippie-Ära galt es als systemkritisch, wenn du bestimmte Floskel in den Mund genommen hast: "Make love not war" zum Beispiel. Einen Satz, den wir aus dem Mund von Angela Merkel und George W. Bush niemals hören würden. Die waschen ja auch ihre Haare und tragen festes Schuhwerk. Die sexuelle Befreiung war ein wesentliches Merkmal in der Hippiezeit. JedeR fickt mit JedeM, aber niemals zweimal, denn dann gehörtest du zum Establishment. Und dagegen galt es ja zu kämpfen: Die etablierte Gesellschaft, die Gemeinschaft der "fertigen" Menschen, die in ihren Ansprüchen an das Leben (und keinesfalls nur materiellen!) zufrieden gestellt zu sein scheinen und jetzt nur noch alles daransetzen, das Erreichte zu erhalten und allenfalls noch auszubauen. Und leider gehört zu diesem Establishment auch immer die so genannte Elite einer Gesellschaft, also diejenigen "besonderen" Menschen, die die Gesellschaft prägen. Heute sind das die Top-Manager wie Josef Ackermann, die von der guten Konjunktur profitieren und über festes Schuhwerk, gewaschene Haare und Schweizer Konto verfügen. Obwohl Ackermann mit dem Bogenschützen aus dem Mittelalter eins gemein hat: Das Victory-Zeichen. Ackermann war 2004 zusammen mit anderen Spitzenmanagern angeklagt, weil er dem Mannesmann-Management im Zusammenhang mit der Übernahme durch Vodafone Millionen-Abfindungen gewährte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm Untreue in schweren Fällen vor. Im Gerichtssaal formte Ackermann die Finger zum Victory-V und sinnierte: "Das ist das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen."
Die Arroganz der Mächtigen, das Verhalten von Ackermann beinhaltet im Allgemeinen das Unverständnis für junge Menschen, für die andere Erfüllungen wichtiger und reizvoller sind, etwa solche nach gelungener Einheit von Leib und Seele oder auch nach Harmonie von Mensch und Natur. Hippies oder Sektenmitglieder. Aber nochmal zurück auf das wesentliche Merkmal: die Liebe. Liebe machen, anstatt Kriege führen. Ficken oder glücklich sein. Beides zusammen geht nicht. Make love not war! Damit wird das Establishment, das System nicht gestürzt, es wird höchstens mit kleinem Nachwuchs für die Rentenvorsorge unterstützt. Hätten die Mächtigen der Welt, die Politiker und Kriegstreiber, mehr Sex, sie wären ausgefüllter, entspannter und ausgeglichener. Ja, gebe es mehr Hippies in der Welt, es gebe keine Kriege mehr. Vielleicht sind die Männer, die mächtigen Politiker, impotent und führen deshalb Kriege, um ihre sexuelle Frustration zu kompensieren. So wie Hitler. Auch George W. Bush flüchtet lieber in den religiösen Wahn und masturbiert zur Lektüre "The Great Influenza - The Epic Story of the Deadliest Plague in History" (John Barry), in der die weltweite Grippe-Epidemie von 1918 beschrieben wird, bei der mehr als 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Möglich, dass sich Bush davon Anregungen erhofft, wie mit einer solchen, vielleicht durch Terroristen mit biologischen oder chemischen Waffen ausgelösten Pandemie, umzugehen sei. Die Welt wird dadurch nicht hippiesker oder liebevoller. Dabei gibt es aber durchaus Menschen und Gruppen, die das Ideal von Liebe leben. RTL2-GuckerInnen beispielsweise. "Wir hatten damals viel bessere Drogen und suchten Erleuchtung, wollten die Welt verändern, studierten fernöstliche Philosophie, demonstrierten gegen den Vietnamkrieg und kämpften für soziale Gerechtigkeit."
Heute gibt es TV-Drogen wie DSDS, BIG BROTHER, studiert wird die Fernsehzeitung, gekämpft wird um die Fernbedienung. Liebe und Frieden, wo gibt es das noch? "Turn On, Tune In, Drop Out", das Feeling für totale Erholung und Entspannung, das Eintauchen in fremdartige Sphären...passiert heute nur noch in der künstlichen Welt von IKEA, Samstag Morgen in der Vorweihnachtszeit. Das heutige Vietnam ist die Schnäppchenjagd im Kaufhaus, "Paradise Now!" die Eintrittskarte für Billig-Discounter. Woodstock ist heute das Anti G8-Camp. Getanzt wird zum Knüppel aus dem Sack, geweint wird nicht vor Ekstase, sondern vom Tränengas im Kessel. Keine Zeit für Gefühle, keine Zeit für die Liebe. Klug ist es dann, nicht zuviel darüber zu reden. Denn im Grunde ist die Sache ganz einfach. Liebe ist nicht zu erarbeiten! Sie wird erlebt, begegnet einem Menschen, wird durch Erfahrung, reflektiertes Erleben angeeignet - oder nicht. Und das macht es zugleich schwieriger, denn ob dies geschieht, ist Zufall und eine Frage des Glücks - und brüchig und vergänglich wie dieses. Doch Menschen in unserer Kultur mögen nichts einfaches und glauben an das Komplizierte, sind misstrauisch und verängstigt. Heute musst du höllisch aufpassen, kannst niemanden mehr trauen. Was bleibt ist der Kernsatz "Never trust a hippie". Denn der will dir heute eine Versicherungspolice verkaufen!

 

© by F. Spenner

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