Pop und Subkultur

Es drängt sich der Eindruck auf, dass in der Debatte um Subkultur oft nicht die Auseinandersetzung um inhaltliche Positionen im Vordergrund steht. Eher geht es darum, momentan relevante subkulturelle Phänomene entweder lautstark zu hypen oder möglichst gekonnt in die Pfanne zu hauen. Letztlich geht´s also nur um eines: Radikalität.

TON STEINE SCHERBEN wollten mit ihrer Musik, Menschen überzeugen, sich von ihren Unterdrückern zu befreien. Der musikalische und kulturelle Klassenkampf hatte aber auch seinen Preis. Die Hausbesetzer-Szene in Hamburg, Berlin, Punx, KulturrebellInnen oder Polit-AktivistInnen erwarteten von TSS und SLIME, dass sie mit ihrer Musik kein Geld verdienen. Gleichzeitig wurden beide Bands zu ihrem Sprachrohr erkoren, ein kultureller Motor, um die Stimmung im Konflikt zwischen Institutionen, Autoritäten, auf Solokundgebungen, Demos anzuheizen. „A.C.A.B“ (SLIME), „Der Kampf geht weiter“ (TSS) waren Songs mit einer Mischung aus Agitation und Propaganda, die in kürzester Zeit zu Hymnen und Schlachtrufen von oben erwähnten Subkulturen und gegenkulturellen Gruppen wurden.

Die „Ausverkauf“- und „Verräter“-Vorwürfe aus diesen Reihen basierten auf Gerüchte. Es waren Stimmen aus der Punkszene, die behaupteten, SLIME würden fünfstellige Gagen kriegen und seien Millionäre. Und Rio Reiser hat SLIME-Sänger Dirk 1982 auf ihrer fünftägigen Deutschland-Tour gewarnt, dass bereits die Scherben 15 Jahre zuvor an den Verratsvorwürfen der eigenen Szene zerbrochen seien. Sie standen in der Kritik, mit ihren radikalen Ideen Geld verdient zu haben. Das Gegenteil war der Fall, TSS hatten hohe Schulden und waren bankrott. SLIME schmissen nach ihrer vierten LP „Live in Pankehallen“ genervt das Handtuch, weil sie die Anfeindungen und Angriffe satt hatten.

Uns ging der Vorwurf, kommerziell geworden zu sein, furchtbar auf die Nerven. Leute, die keine Probleme hatten, zwanzig oder dreißig Mark für eine englische oder amerikanische Punkband zu zahlen, beschwerten sich bitter, wenn sie für ein Slime-Konzert einen Zehner löhnen sollten. Für die waren wir dann “Kommerzschweine“ (Stephan Mahler).

TON STEINE SCHERBEN
TON STEINE SCHERBEN

Das zeigt ganz deutlich, dass sich TSS und auch SLIME als Teil einer linken politischen Szene sahen, selbst im Milieu der Widersprüche gefangen waren, wo Protestformen und Widerstand, Konsumverhalten und rebellische Aussagen eine grundlegende Problematik für die schöpferische, kreative Fähigkeit und eine Intervention der sozialen Gruppen darstellt. Da wo sich eine Protestform bildet und ein sozialer Ort entsteht, da häufen sich durch spezielle Verhaltensweisen Interessenkonflikte, Verarbeitungsformen und (Schein-) Lösungen, die von Subkultur gestifteten Gemeinsamkeiten und den Zusammenhalt bestritten und verdrängt werden können. Was von der stilistischen Ausprägung einer Subkultur übrig bleibt, sind nach anfänglicher Provokation und Offensive drei Komponenten: Image, Attitüde, (Szene-)Jargon, die eine Subkultur festigt, aber auch einengt. Das kann dazu führen, dass kritische Argumentationslinien unreflektiert übernommen werden und wie im Falle von SLIME/TSS Stigmatisierung und Ausgrenzung zur Folge haben.

SLIME, 1982
SLIME, 1982

Der Anspruch, mit Musik und Text eine radikale Form zu finden, um Kritik an Staat und Gesellschaft zu üben, die geprägt ist von Ablehnung bestehender Werte und Normen, scheitert an den Verhaltensweisen und -regeln, die in der Sub- und Gegenkultur von Trägergruppen aufgestellt werden, die zum Teil auf Gerüchte, Verleumdungen und Fehlinformationen basieren. Das lässt den Schluss zu, dass sofern ein gewisses Maß an Widerstand durch abweichendes Verhalten nicht feststellbar ist, die Interaktion, Kommunikation und Vermittlung von Inhalten stark geprägt ist von der konkreten Vorstellung, wie die „wahren“ Botschaften lauten und wie die „wahren“ Ideale zu bewahren sind. Der Ausverkauf von Idealen zugunsten von Erfolg, Ruhm oder Geld findet sich wohl in allen Subkulturen wieder. Im Begriff schwingt die Angst mit, die subkulturelle Bewegung könnte durch eine kommerzielle Öffnung zerstört werden.
Gleichzeitig gibt es im sozialen Wirkungskreis ein großes Potential, eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen, die neben stilistischen und lebensweltlichen Besonderheiten kollektiver Aktionismus im Sinne der gemeinsamen Motivationen (ökologische, beziehungsorientierte oder politisch radikale) möglich ist.

Musik kann zur gemeinsamen Waffe werden, wenn du auf der Seite der Leute stehst, für die du Musik machst!“ (Rio Reiser)

Subkultur und die politische Streitfrage

Letztlich ist die Frage danach, ob Subkultur politisch sei oder nicht, von vornherein falsch gestellt. Politik hat stets den Charakter strategischen Handelns, der Inbesitznahme, Behauptung und Verteidigung eigener sicherer Orte: „Stellungskrieg“, Machtausübung.
Subkultur wird im Rahmen eines solchen Politikbegriffs nur dann als „politisch“ gedacht, wenn sie zum Ausgangspunkt von Praxen wird, die für sich selbst eine strategische Orientierung behaupten oder denen eine solche Orientierung von den Herrschenden unterstellt wird. Ob selbstgewählt oder von außen zugeschrieben, der Preis dafür ist hoch, denn wenn subkulturelle Praxen in einen solchen Diskurs eingebunden werden, müssen sie notwendigerweise kanonisiert und abgesichert werden. Und das heißt konkret: Sie werden mumifiziert, und es wird ungeheuer schwer, sie zu verändern oder ihre Veränderungen zu akzeptieren.    

Der Preis besteht darin, dass die Subkultur tendenziell ihr wichtigstes und attraktivstes Moment verliert, nämlich ihre Dynamik.
Und damit ist tragischerweise nicht einmal etwas gewonnen, denn das Ziel, innerhalb der herrschenden Verhältnisse zumindest in gesellschaftlichen Nischen eine Vormachtstellung zu erlangen und gegen andere Nischenbewohner zu behaupten, schlägt letztlich allen Utopien von Gesellschaftsveränderung ins Gesicht. Wenn es kein richtiges Leben im falschen gibt, kann es auch keine richtige Macht unter falschen Verhältnissen geben; auch der alte Traum von einer linken (kulturellen) Hegemonie bleibt vielleicht besser ungeträumt.

Grundlegende Veränderung ist nur möglich, wenn auch die Alltagspraxis aller einzelnen von dem Bestreben geprägt ist, neue Lebensweisen zu entwickeln. Hier können Subkulturen wesentliche Ausgangspunkte darstellen. Es ist dabei gar nicht die Frage, ob versoffene Punks das richtige Bewusstsein haben oder die Volxküche zur geistigen Bildung der Anwesenden beiträgt: Subkulturelle Räume sind keine Freigehege, die von linken Agitatoren mit dem Blick des Zoologen betreten und vereinnahmt werden können. Sie lassen sich nicht unter linken politstrategischen Gesichtspunkten instrumentalisieren. Und dennoch erwächst das politische Potential der linken Subkulturfans wie auch das ihrer linken Kritiker nicht aus genau diesem umkämpften Terrain. Denn es bietet einen sozialen Rahmen für diejenigen, die sich nicht an bürgerlichen Lebenskonzepten orientieren können oder wollen. Im Umfeld subkultureller Lebensweisen eröffnen sich soziale Räume, in denen linke Zusammenhänge einen Platz finden, doch sie sind nicht identisch mit ihnen und dürfen es auch nicht werden.

    Für den Begriff der Subversion gilt dasselbe, was für den Begriff des Politischen gesagt wurde:
Wenn soziale und kulturelle Praxen in bestimmten Augenblicken subversive Kraft entfalten, dann jedenfalls nicht, weil sie durch irgendeinen Diskurs über Pop- oder sonstige Strategien ein entsprechendes Gütesiegel erhalten haben.

    Soziale Bewegungen entstehen nicht im Ringen um die richtige Ideologie. Das Bestreben nach gesellschaftlicher Veränderung entsteht aus Formen der sozialen Praxis. Wer solche Formen von außen kritisiert, weil sie sich nicht in ein vorgegebenes strategisches Konzept einfügen, verwechselt Subversion mit Supervision. Und auch die Grenze, an der Subversion in Innovation umschlägt und somit „systemstabilisierend“ wirkt, ist analytisch kaum in den Griff zu bekommen, weil jede Revolte und jedes Aufbegehren, wie Pierre Bourdieu sagt, immer von den Strukturen des zu Überwindenden geprägt sein wird. Jeder Versuch, an (sub)kulturelle Praxen eine Subversionsskala anzulegen, würde bedeuten, genau jenen unkontrollierbaren „Sumpf“ trockenzulegen, jenes Gewirr unterschiedlicher und widersprüchlicher Aktivitäten ordnen zu wollen, aus denen Subversion überhaupt erst entsteht.

Literatur

links-Redaktion: Popmoderne. In: links 27 (1995) 306/307, S. 18-19.
Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur. Frankfurt

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