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Kultur und Veränderung - Im Gespräch mit Wolfgang Sterneck

Foto von W. Sterneck: http://www.flickr.com/sterneck/sets
Foto von W. Sterneck: http://www.flickr.com/sterneck/sets

Remix Reality - Dance for Change!

Wolfgang Sterneck engagiert sich seit den Achtziger Jahren als Aktivist in alternativen Szenen. Durch die Mitgestaltung des Sonic-Netzwerkes, von KomistA (Label und Verlag), dem Cybertribe-Archiv und des Alice-Projects hat er sich ebenso einen Namen gemacht, wie durch seine zahlreichen Publikationen, die ihn als profunden Kenner subkultureller Strömungen ausweisen.

Er verschafft wichtigen Stimmen der Gegenkultur Gehör und präsentiert anregendes Material zur Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Realisierung einer anderen Welt als der Desaströsen, auf die die Menschheit zwischen Überlebenskampf und Konsumrausch im Zeitalter der Globalisierung gegenwärtig zuzusteuern scheint.
Sterneck.net eröffnet einen Freiraum, der die Lust auf Leben mit kritischer Analyse und den Visionen konkreter Utopien verbindet. Des Weiteren bietet Wolfgang auch Workshops zu verschiedenen Themenbereiche an. Auf der Homepage gibt es eine Vielzahl an Texten, Foto-Reportagen, die eine progressive Gegenkultur demonstriert. Ob subversive Rhythmen, die Verbindung von Music, Mind and Politics, Wolfgang analysiert verschiedene Subkulturen und Genres (Goa, Punk, Techno, Hippies, Cybertribe), hat ein Manifest zu Musik, Bewusstsein und Politik verfasst(1), um "die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen" und u.a. in "Das Ziel der Veränderung - Hardcore und konsequente Musik" die Widerstandskultur im Kontext zwischen Musik und Gesellschaft untersucht(2).
Des Weiteren hat Wolfgang auch Texte zu Beziehungen und Sexualität (z.Bsp.: Freie Liebe) geschrieben.
Wolfgang setzt sich immer wieder kritisch mit den subversiven Entwicklungen auseinander und sagte früh die extreme Kommerzialisierung, sowie die Entfernung von den ursprünglichen Idealen voraus. Bis heute engagiert er sich immer wieder für Projekte, die Party und Politik miteinander verbinden. Wir sprachen mit Wolfgang über Party-Kultur, Lebensgefühl, freie Entfaltung in der Jugendbewegung und den Verlust der Ideale.

PARTY-POLITICS

• Jede Party ist politisch, auch ohne Transparente und Flugblätter.
• Politisch ist der Umgang der Leute miteinander: Gemeinschaftlich oder sind alle auf einem Ego-Trip?
• Politisch ist es, wenn alle ehrfürchtig zum DJ hinauf blicken und ihn bejubeln, was immer er auch macht.
• Politisch ist, ob es bei einer Party um die Community geht oder nur um Profit.
• Politisch ist auch das Verhältnis zur Natur bei einem Open-Air: Bleiben Müllberge zurück?
• Politisch sind Partys auf denen in Straßen, Supermärkten und Konzernzentralen für Veränderung getanzt wird.
• Und politisch sind Partys, die sich bewusst Kommerz, Konsum und Kontrolle widersetzen, um dadurch zu einem wirklichen Freiraum zu werden...
Wolfgang Sterneck

W. Sterneck
W. Sterneck

„Es geht um Lebenswege fernab des Mainstreams.“

Wolfgang, du beschäftigst dich - ganz allgemein formuliert - mit Musik und Gesellschaft. In deinem Standardwerk „Der Kampf um die Träume“ hast du die Vielfalt musikalischer Strömungen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen untersucht. Wann ist Musik denn für dich ein wichtiger Indikator für gesellschaftliche Veränderungen?
    Wolfgang Sterneck: Musik entsteht nicht in einem bezugslosen Raum, Musik entwickelt sich nicht zufällig, sondern ist Ausdruck einer vielfältigen Wechselbeziehung verschiedener politischer, soziokultureller und persönlicher Aspekte.
So ist auch Punk um 1976/77 nicht zufällig entstanden, sondern war insgesamt als Musikkultur eine Folge bzw. ein Ausdruck bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse.
Die Texte spiegelten nicht zufällig ein Gefühl des „No Future“ und eine Haltung der Ablehnung und Verweigerung, sondern sie waren Ausdruck eines Grundgefühls, das viele Jugendliche in England miteinander verband.
Und ebenso war die Musik roh und einfach. Man brauchte kein jahrelanges Studium eines Instrumentes und keine teure Mega-Anlage, sondern Voraussetzung war eine gewisse Energie im Inneren. Das Bedürfnis, all das, was sich angestaut hat, endlich rauszulassen.
Und auch dieses Grundgefühl war als Ganzes nicht beliebig und austauschbar, sondern war die Folge der politischen Entwicklungen, die ein Gefühl der Perspektivlosigkeit erzeugten.
Auch dass sich in den Jahren danach die Hardcore-Szene in England mit Bands wie Crass, Subhumans und Conflict so stark entwickelte war kein Zufall.
Hardcore war zum einen eine Antwort auf den Ausverkauf der Punk-Kultur. Punk wurde immer mehr zum inhaltsleeren Modetrend. Gleichzeitig unterschrieben viele bekanntere Bands bei Musikkonzernen, die Punk in seiner Grundidee eigentlich ablehnte.
Hardcore war zudem eine Antwort auf die neoliberale Politik der Thatcher-Ära ab 1979, wobei sich die in der Regel anarchistisch ausgerichteten MusikerInnen gleichzeitig als AktivistInnen verstanden.
Ihnen ging es nicht - wie so oft in den diversen Punk-Szenen - nur um eine platte, destruktive Ablehnung des bestehenden, sondern auch um die Gestaltung konkreter Alternativen, wie zum Beispiel dem Aufbau von autonomen Kulturzentren.


Arabic Graffiti and Egyptian Street Art in Frankfurt, Foto v. W. Sterneck
Arabic Graffiti and Egyptian Street Art in Frankfurt, Foto v. W. Sterneck

«Ob eine Band, ein Musikstück oder ein Konzert im engeren Sinne eine politische Bedeutung erhält, liegt aber nicht nur einseitig an den MusikerInnen, sondern auch an der Wahrnehmung und der Reflexion der ZuhörerInnen.»

Was ist eine entscheidende Voraussetzung, um mit Musik Politisches zu sagen?
    Wolfgang Sterneck: Es gibt nahe liegender Weise Musikstücke, die durch bestimmte Texte im engeren Sinne politisch sind, wenn sie beispielsweise gesellschaftliche Missstände beschreiben.
Ton Steine Scherben oder Crass sind zwei herausragende Beispiele für Bands, denen es gelungen ist über ihre Texte zahllose Menschen zu erreichen und konkrete Aktionen anzuregen, indem sie Impulse gegeben haben.
Ob eine Band, ein Musikstück oder ein Konzert im engeren Sinne eine politische Bedeutung erhält, liegt aber nicht nur einseitig an den MusikerInnen, sondern auch an der Wahrnehmung und der Reflexion der ZuhörerInnen.
Letztlich liegt es an einer vielschichtigen Wechselbeziehung von persönlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren, ob ein Stück im engeren Sinne eine politische Bedeutung erhält.
Ein Song kann unter Umständen in einem ganz bestimmten Kontext, in einer bestimmten Szene, zu einer bestimmten Zeit, eine besondere Wirkung entfalten. In einer anderen Szene oder zehn Jahre früher oder später würde er dagegen nicht beachtet werden.
Ton-Steine-Scherben-Stücke laufen rund 40 Jahre nach der Entstehung immer noch auf linken Demos und bei Hausbesetzungen. Und die Geschichte von Crass zeigt, dass es möglich ist, einen selbstbestimmten, konsequenten Weg fernab der Kommerzstrukturen zu gehen, der an den Idealen eines freien, gemeinschaftlichen Lebens und nicht an Profit und Starkult ausgerichtet ist.
Aber auch Musikstücke ohne Texte können im engeren Sinne eine politische Aussage haben.
Beispielsweise spiegelte der Free Jazz in den USA in den sechziger Jahren auch ohne Lyrics die Aufbruchstimmung und den Widerstand der afroamerikanischen Black-Power-Bewegung. Er war nicht länger auf festgelegte traditionelle Strukturen fixiert, sondern experimentierte mit neuen Formen der musikalischen Kommunikation in der freien Improvisation.
Ein herkömmliches Konzert ist im Ablauf klar festgelegt und in dieser Hinsicht gleicht auf einer Tour ein Abend mehr oder weniger dem anderen. Wohin dagegen ein Free-Jazz-Konzert musikalisch führte, war offen. Der Verlauf entwickelte sich aus der Wechselbeziehung von inneren und äußeren Stimmungen, Atmosphären, Bedingungen. Das Ergebnis war offen und frei - und dies drückte eine politische Haltung aus.
Auch ein Orchester, das bewusst auf einen Dirigenten mit seinen autoritären Vorgaben verzichtet und stattdessen auf egalitäre Formen der musikalischen Gestaltung setzt, hat dadurch eine strukturelle politische Botschaft.
Oder eine Gruppe von KammermusikerInnen, die nicht wie üblich steif auf Stühlen sitzen, sondern frei durch den Raum laufen und Musik machen, durchbrechen vorgegebene einengende Strukturen in einem befreienden Sinne und vermitteln damit eine politische Haltung.
Ebenso hat eine Session, in der die Trennung zwischen den MusikerInnen auf der Bühne und den ZuhörerInnen aufgebrochen wird, indem jede und jeder ein Instrument oder ein Mikrophon in die Hand nehmen kann, hat strukturell etwas politisches. Die Abgrenzungen zwischen aktiv und passiv werden aufgehoben.
Im Grunde ist jede Musik in einem etwas weiter ausgelegten Verständnis politisch. Gerade auch die Musik, die vorgibt unpolitisch zu sein, ist oftmals sehr politisch.

So vermitteln beispielsweise unzählige scheinbar unpolitische Love-Songs bürgerliche Beziehungsvorstellungen und scheinbar selbstverständliche geschlechtsbezogene Rollenmuster, die jedoch keineswegs selbstverständlich sind, sondern sozial vorgegebene Konstruktionen.
Auch die scheinbar unpolitischen großen TV-Shows stehen in einem politischen Kontext. Unabhängig davon, ob der musikalische Schwerpunkt gerade an Pop, Rock, Schlager oder Volksmusik ausgerichtet ist, liegt das Ziel in der Unterhaltung. Diese Unterhaltung kann, in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet, schnell zu einem Mittel der Ablenkung und des passiven Konsums werden.

Bankfurt Blockupied, Foto: W. Sterneck
Bankfurt Blockupied, Foto: W. Sterneck

«Ununterbrochen geht es um Konsum, um kaufen und verkaufen, um irgendwelche Produkte, die man angeblich besitzen muss, um Images, die man scheinbar erfüllen muss, um in dieser Gesellschaft etwas wert zu sein.»

Siehst du solche Entwicklungen auch beim Punk, wenn es um passiven Konsum und Entpolitisierung geht?
    Wolfgang Sterneck: Klar, das lässt sich zum Teil auch auf den Punk-, Hardcore- oder Alternative-Bereich übertragen.
Da sitzt Du mit Deinen Kumpels und einer Bierflasche in der Hand in einer abgeranzten Couch-Garnitur und lässt Dich online von den Klängen Deiner Lieblingsbands berieseln. Das nächste Sixpack wird geknackt und das nächste Video wird angeklickt - aber im Grunde passiert nichts. Außer, dass die Leute betrunkener werden.
Und wenn Du dann versehentlich den falschen Knopf drückst und der Bildschirm plötzlich ausgeht, schwarz und leer wird, was siehst Du dann darin in der Leere? Dein eigenes Spiegelbild.
Es geht nicht darum, Unterhaltung grundsätzlich zu verdammen. Sicherlich nicht.
Unterhaltung und einen gewissen Spaßfaktor brauchen wir alle, um abzuschalten und Energie zu tanken - das ist völlig okay und notwendig.
Wenn der passive Konsum jedoch zur Grundhaltung wird, auf der gesellschaftlichen Ebene genauso wie auf der ganz persönlichen Ebene, dann wird Unterhaltung zu einem Mittel der Ablenkung und Kontrolle.

Musik wirkt auch manipulativ auf jugendkulturelle Bereiche. Wie genau lassen sich Bedürfnisse „gleichschalten“?
    Wolfgang Sterneck: Die zunehmende Gleichschaltung der Bedürfnisse ist nicht auf die Musik beschränkt, sondern durchzieht alle Bereiche des Lebens.
Gehe einmal bewusst durch ein Einkaufszentrum und schaue Dir an, welche Produkte in welcher Form angepriesen werden. Oder durchblättere die Artikel und Anzeigen der sogenannten Lifestyle-Magazine. Oder betrachte und zähle die Werbefassaden und Schaufensterfronten, wenn Du durch das Zentrum einer Großstadt gehst...
Eigentlich ist all dies völlig absurd, doch uns fällt es kaum noch auf, weil es längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.
Ununterbrochen geht es um Konsum, um kaufen und verkaufen, um irgendwelche Produkte, die man angeblich besitzen muss, um Images, die man scheinbar erfüllen muss, um in dieser Gesellschaft etwas wert zu sein. Das ist die zunehmende Gleichschaltung der Bedürfnisse, der man sich nur schwer entziehen kann.
Und dies ist nicht auf eine Region beschränkt, sondern ein globaler Prozess. Der Großteil der Produkte und der Geschäfte in einer Shopping Mall in Berlin, New York, Rio, Shanghai oder einer anderen urbanen Metropole auf diesem Planeten sind identisch.
Die Pop-Stars, die verehrt werden, sind über Staatsgrenzen hinweg weltweit im Wesentlichen die gleichen. Ebenso gleichen sich Werte und Bedeutungen, die über die Produkte, darunter auch die entsprechende Musik, vermittelt werden.
In dieser Welt des Konsums geht es nicht um ein tatsächlich glückliches Leben, auch wenn dies unablässig unterschwellig vermittelt wird. Es geht nicht um ein solidarisches Miteinander. Es geht nicht um ein Leben in Balance mit unserer Umwelt.
Es geht vielmehr immer wieder auf verschiedenen Ebenen um Besitz, Erfolg, Karriere, Wachstum, Profit.
Die Welt des Konsums verspricht uns Glück und Zufriedenheit. Tatsächlich entspricht sie einem System der Manipulation, Ausbeutung und Zerstörung.

«Gegenkultur kann auf einer bewussten politischen Position basieren, genauso wie auch auf einer eher unreflektierten Haltung der Ablehnung und Verweigerung.»

Politische Musik wird oft fast automatisch mit gesellschaftskritisch, mit „links“ im weitesten Sinne assoziiert, was du ja auch in Teil 2 („Musik und Revolution“) des oben erwähnten Buches ausgeführt hast. Warum hast du ausgeklammert, wie die Extreme Rechte ihre Ideologie in jugendkulturellen Bereichen und die Musik transportiert?
    Wolfgang Sterneck: Da gab es zwei zentrale Gründe. Zum einen habe ich mich im Wesentlichen auf Strömungen und Musikkulturen konzentriert, die zumindest ansatzweise von Idealen einer freien Gesellschaft ausgehen.
Zum anderen habe ich einfach keine Lust mich tiefer mit dumpfen und menschenverachtenden Texten auseinanderzusetzen.

Im 7. Teil des Buches widmest du dich der „Gegenkultur und Konsequenz“. Wie definierst du eigentlich „Gegen-Kultur“?
    Wolfgang Sterneck: Unter Gegenkultur verstehe ich in diesem Kontext Ansätze, die sich gegen das vorherrschende System stellen. Gegenkultur kann auf einer bewussten politischen Position basieren, genauso wie auch auf einer eher unreflektierten Haltung der Ablehnung und Verweigerung.
Unter Gegenkultur verstehe ich jedoch ausdrücklich nicht Strömungen, die das bestehende System ablehnen, aber letztlich Elemente wie das Konkurrenzprinzip, autoritäre Strukturen, Sexismus oder Rassismus nicht in Frage stellen, sondern verschärfen, wie insbesondere in rechts ausgerichteten Musikkulturen.
Das „Gegen“ ist die automatische Haltung am Anfang, das intuitive Gefühl das sich gegen autoritäre Einschränkungen und Vorgaben richtet, gegen Repression und Ausbeutung. Es ist das Gefühl, das sagt, dies will ich nicht, in dieser Welt will ich nicht leben, in diesem System will ich nicht funktionieren.
Auf Dauer reicht es jedoch nicht, nur dagegen zu sein, nur von „Anti“, Verweigerung und Destruktion geprägt zu sein. Wer in dieser Phase stecken bleibt, der beschäftigt sich letztlich nur mit negativen Energien und verfängt sich oftmals darin.
Notwendig ist es vielmehr, auf der gesellschaftlichen Ebene, genauso wie auch ganz konkret auf der persönlichen Ebene, eine positive alternative Vision zu entwickeln und konkret auch möglichst umzusetzen.
Dies habe ich unter den Begriff „Konsequenz“ in der Überschrift „Gegenkultur und Konsequenz“ zusammengefasst. Wobei dies kein abstraktes Denkschema ist, sondern im Grunde auf ganz konkreten Fragen an jede und jeden von uns basiert:
Was bedeutet die Ablehnung des Bestehenden in der konkret gelebten Konsequenz? Wo will ich hin? Was ist die Alternative? Wie kann ein anderes und besseres, ein freieres und solidarischeres Leben aussehen? Wie gelingt es uns, diese Vision in der Praxis des Alltags umzusetzen?

Du führst am Beispiel von Chumbawamba Widersprüche beim Politischen der Musik und der Kommerzialisierung auf, die im Zusammenhang mit Eigenständigkeit und Image Diskussions-Grundlage für Glaubwürdigkeit und Akzeptanz einer links-politischen Haltung ist. Du erwähnst in diesem Zusammenhang auch das Merkmal der „konsequenten Musik“. Was ist damit gemeint?
    Wolfgang Sterneck: Konsequente Musik steht für eine Beschreibung von MusikerInnen, die sich nicht vorrangig über den musikalischen Stil einordnen, sondern sich an der inhaltlichen Ausrichtung orientieren. Im Hardcore, Techno, Free Jazz, Industrial, Underground-Rock usw. findet man - wenn man genauer hinschaut - über alle musikalischen Unterschiede hinweg, zahlreiche MusikerInnen die von ähnlichen Idealen ausgehen.
Es geht immer wieder um die Entwicklung von Freiräumen, in denen es möglich ist, sich ohne Kommerz-Interessen kreativ zu entfalten. Es geht um ein gemeinschaftliches Miteinander. Es geht um Lebenswege fernab des Mainstreams.
Überall steht am Anfang das Prinzip des DiY, des Do-it-Yourself. Du brauchst keinen Manager, keinen noblen Club, keine Konzertagentur, kein großes Label, keine Stars oder Leader, keine teure Anlage - Du brauchst die Lust Dich zu entfalten, kreativ zu sein, gemeinsam etwas zu entwickeln, einen anderen Weg zu gehen als den vorgegebenen.
Für Dich und für die entsprechende Community: Do it Yourself - Do it Together!
Dieses Ideal findet man immer wieder. Damit verbunden sind unabhängige Strukturen wie Labels, Projekte, Kulturzentren, die von AktivistInnen aufgebaut wurden, die Musik machen und gleichzeitig mit offenen Augen durch die Welt laufen.
Es stellt sich immer wieder ganz konkret die Frage nach der Konsequenz. Willst Du weiter ein mehr oder weniger funktionierendes Rädchen in dieser Maschinerie der Zerstörung sein? Oder willst Du versuchen eine Alternative zu leben?
Wobei uns immer klar sein sollte, dass wir alle Elemente des Systems verinnerlicht haben und in uns tragen. Der Sozial-Philosoph Adorno sprach einmal davon, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt, also kein wirklich freies Leben unter den Bedingungen eines zerstörenden Systems.
Das ist richtig, gleichzeitig gibt es jedoch die Möglichkeit und die Notwendigkeit für jede und jeden von uns sich diesem Leben anzunähern.


«Ein Erfolg ist es, wenn ein Stück Impulse gibt, nachzudenken und zu verändern.»

Wolfgang, warum war es dir ein wichtiges Anliegen, ein Manifest zu ’Music, Mind & Politics’ zu verfassen?
    Wolfgang Sterneck: Das Manifest „Rhythms of Change“ (3) fasst einige der oben beschriebenen Ideale und Ziele zusammen. Dazu gehören die Abkehr von Starkult und reinen Kommerzinteressen, die Entwicklung von Freiräumen, in denen gemeinschaftlich eine kreative Entfaltung möglich ist, und die Anerkennung der Notwendigkeit, auch über die Musik für befreiende gesellschaftliche Veränderungen einzutreten.
Unterzeichnet haben das Manifest Musikerinnen unterschiedlichster Strömungen, die ein ähnliches Selbstverständnis verbindet. Darunter unter anderen Chumbawamba, Dick Lucas (Subhumans), DJ Malatesta (Entartete Kunst), Fermin Muguruza, Hanin Elias (Ex- Atari Teenage Riot), Ian MacKaye (Fugazi / Ex- Minor Threat), Jarboe (Ex- Swans), Jet Moon (Queer Mutiny), John Sinclair (Ex- MC5), Klaus Flouride (Dead Kennedys), Maggie Nicols (Ex- Feminist Improvising Group), Mani Neumeier (Guru Guru), Mark Spybey (Ex- Zoviet France), Martin Paul (Ton Steine Scherben Family), Penny Rimbaud (Crass Agenda), Peter Brötzmann (Free Music Production), Sebastian Vaughan / 69db (Ex- Spiral Tribe), Stefan Knappe / BarakaH (Drone Records / Troum), Sun-J Tailor (Asian Dub Foundation), Telephone Jim Jesus (Anticon), The Ex, The Fire This Time (Indigenous Resistance), Yeastie Girlz, Z'ev...

Du beschreibst in „Die Lust auf Veränderung“ den Weg von Underground in die Hitlisten und wie Rebellion von Medien und der Musik-Industrie vereinnahmt wird. Wann ist politische Musik auch ohne Profitinteresse erfolgreich?
    Wolfgang Sterneck: Vergesse die Hitlisten. Beende den vorgegebenen Traum, über die Musik reich zu werden. Überwinde die Sehnsucht, auf der Bühne zu stehen und angehimmelt zu werden.
All dies sind Bestandteile eines Systems, das Menschen verwertet und über materiellen Erfolg definiert.
Die Charts, die Verkaufszahlen, der Star-Kult, die Auftritte in TV-Shows,...dies alles gehört zu einem System, in dem es nicht wirklich um die Musikerinnen bzw. die Musik oder die Botschaft eines Stückes geht, sondern letztlich fast ausschließlich um das Produkt Musik und dessen kommerzielle Vermarktung.
Ein erster Schritt der Veränderung ist es, Erfolg nicht zwangsläufig über Hitlisten zu definieren.
Ein erfolgreiches Musikstück kann ein Song sein, den Du selbst geschrieben hast, um Deine Gefühle auszudrücken und der Dir geholfen hat, sie besser zu verstehen. Wenn das gelingt, dann ist es ein Erfolg auch ohne nur eine Platte verkauft zu haben.
Ein Erfolg ist es, wenn mehrere Menschen einen Song, der nie in den Charts auftaucht, gemeinschaftlich bei einer politischen Blockade-Aktion singen. Ein Song, der dabei das Gemeinschaftsgefühl stärkt.
Ein Erfolg ist es, wenn Menschen zum Beispiel an einem Lagerfeuer im Kreis gemeinsam improvisiert Musik machen, ohne dass dies irgendwie festgehalten wird.
Ein Erfolg ist es, wenn ein Stück Impulse gibt, nachzudenken und zu verändern.

Okay, Wolfgang...mich interessiert natürlich auch: Was sind deine 5 Lieblingsplatten/-bands...und warum?
    Wolfgang Sterneck: Mich auf fünf Namen zu beschränken fällt mir in diesem Zusammenhang schwer. Mir fallen ein: Beatnigs, Blackbird, Crass, Dead Kennedys, Flying Lesbians, Henry Cow, Honkies, John Cage, Klaus-Renft-Combo, Lava 303, Missing Foundation, Peter Brötzmann, Plastic Pople of the Universe, Spiral Tribe, Test Department, Yeastie Girlz, ...
Das ist ein bunter, unvollständiger Mix von MusikerInnen bzw. Bands und Projekten, die konsequent gezeigt haben, dass es möglich ist, fernab der Hitparaden Freiräume zu entwickeln. Freiräume, die an einer solidarischen und kreativen Entfaltung, sowie weitergehend am Ziel gesellschaftlicher Veränderungen ausgerichtet sind.

Anmerkungen: