FRIEND CRUSH

v. links: Andrzej (Gitarre, Gesang), Cash (Bass, Gesang), Clara (Schlagzeug)
v. links: Andrzej (Gitarre, Gesang), Cash (Bass, Gesang), Clara (Schlagzeug)

FRIEND CRUSH...

...eine all-trans*, all-friends, Queer Emo Punk-Band. 3 Freund_innen. Clara, Cash und Andrzej leben in Berlin, die sich vor einigen Jahren beim „Ruby tuesday - Hip Hop und Rock Camp für Mädchen*, Trans*, Inter*“ kennengelernt haben. Schlagzeug, Bass und Gitarre. Musikalisch beeinflusst von Mid 90er Emo, wobei in ihren Songs immer wieder ihre Vorliebe für Punk und poppige Melodien durchglitzert. Songs, die mal laut und wütend und dann wieder ganz zerbrechlich und leise sind. Aber oft auch nachdenklich und auf der Suche nach einem Platz, um sich auszuruhen und wohlzufühlen.

In ihren Texten geht es zum Beispiel um verliebt sein, Freundschaften. Wo es okay ist, sich mit allen Ecken und Kanten zu zeigen, sich verletzlich zu machen und sich trotzdem - oder auch genau deswegen - gut aufgehoben zu fühlen. Doch es gibt auch Themen, die sie wütend machen. Dann reflektieren sie ihre eigenen Erfahrungen mit Klassismus und Transphobie. Wie es ist, sich immer wieder fehl am Platz zu fühlen, nicht ernstgenommen und nicht gewertschätzt zu werden. Und dadurch jegliches Gefühl dafür zu verlieren, wertvoll zu sein. Was FRIEND CRUSH mit ihrer Musik und ihren Texten versuchen, ist, sich angreifbar zu machen. Gar nicht erst perfekt sein zu wollen und sich stattdessen Neues zu trauen, sich gegenseitig Mut zu machen, versuchen, sich erst zu nehmen und zuzuhören um an- und miteinander zu wachsen.

Ich finde es nicht sinnvoll, einfach nur eine eigene kleine Szene zu machen, die auch wieder Menschen ausschließt. Sondern es geht mir eher um die Haltung, bestehende Strukturen in Frage zu stellen, auch innerhalb queerfeministischer Politiken;“ Cash

In Berlin gibt es zahlreiche queere, queerfeministische Projekte und Aktionen. Wie kannst du selbst mit queer-feministischen Positionen Einfluss nehmen und damit die verschiedenartigsten Widerstandspraxen verbreitern?
    Clara: In Berlin gibt es wirklich super viele unterschiedliche Gruppen, Aktionen und Veranstaltungen, die sich „queerfeministisch“ nennen. Ich finde das gut und wichtig, weil es nicht nur im Mainstream viel Homophobie und Trans*feindlichkeit gibt. Gerade in D.I.Y.-, Punk- und Hardcore-Subkulturen gibt es leider immer noch fast nur weiße, heterosexuelle Cis-Männer (cis bedeutet nicht-trans*), ohne Behinderung aus der Mittelklasse, die auf der Bühne stehen und wichtige Rollen in der Szene einnehmen. Ich finde gut, wenn Menschen versuchen das aufzubrechen. Gleichzeitig habe ich auch das Gefühl, dass viele queerfeministische Aktionen sich nur um eine Diskriminierungsform drehen und andere ignorieren. Oft geht es vor allem um Sexismus und / oder Homophobie, aber dass die Szene fast ausschließlich aus weißen Cis-Menschen ohne Behinderung mit Klassenprivilegien besteht, wird oft ausgeblendet. Das liegt eben auch daran, dass die meisten Menschen, die in Berlin queerfeministische Politik machen, selbst nicht behindert werden, weiß und klassenprivilegiert sind, so wie ich selber auch.    
Es gibt aber auch immer wieder Kritik von People of Color, Working Class und Poverty Class Personen, Menschen mit Behinderung und Trans*leuten, die Ausschlüsse und Diskriminierung in der queerfeministischen Szene kritisieren. Leider fällt es vielen oft schwer, berechtigte Kritik anzunehmen und die Art und Weise, Aktionen, Veranstaltungen, Konzerte und Partys zu machen, zu ändern. Das kenne ich auch von mir selbst. Als trans*weibliche Person kenne ich aber auch die Seite, sich in queerfeministischen Räumen nicht repräsentiert und willkommen zu fühlen. Es geht bei Veranstaltungen selten um die spezifischen Erfahrungen und Diskriminierung, die Trans*menschen und im Speziellen trans*weibliche Personen abbekommen. Von daher habe ich ein ambivalentes Verhältnis zu „dem Queerfeminismus“, wie ich ihn in Berlin kennengelernt habe.

    Cash: Wir haben uns bei Ruby Tuesday e.V.(1)kennengelernt. Dort war/ist es uns wichtig einen Gegenpol zu schaffen zu Musikszenen, in denen hauptsächlich weiße cis-männliche Leute auf den Bühnen stehen und die Aufgaben machen, die „Fame“ bringen. Ich komme zum Beispiel aus einem Punk-Kontext, in dem Frauen* und Queers aber auch People of Color und Schwarze Menschen sowie Menschen mit Behinderung zum Beispiel eher nicht so vertreten sind. Was vor allem daran liegt, dass es Strukturen gibt, die dafür sorgen, dass sich vor allem weiße (heterosexuelle) Cis-Männer dort besonders wohlfühlen und die Regeln bestimmen können. Ruby Tuesday ist für mich ein Ort, an dem „andere“ Stimmen Raum finden und sich selbst organisieren können, unabhängig davon sich immer nur an den dominanten Strukturen abzuarbeiten. Für mich gehört dazu auch eine ständige Auseinandersetzung mit mir selber. Ich finde es nicht sinnvoll, einfach nur eine eigene kleine Szene zu machen, die auch wieder Menschen ausschließt. Sondern es geht mir eher um die Haltung, bestehende Strukturen in Frage zu stellen, auch innerhalb queerfeministischer Politiken.    

In unserem Song „When Change Comes“ geht es unter anderem um Täter_innenschaft innerhalb einer weiß dominierten queerfeministischen Szene. Es geht darum wie „gut sein wollen“ genau ins Gegenteil umschlagen kann und manchmal alles nur noch schlimmer macht. Wir haben dabei u.a. an die Frauenbewegung gedacht, die ihre Politiken komplett vorbei an den Bedürfnissen von Frauen of color und working class / poverty class Frauen gestaltet haben und damit ihren eigenen Vorteil über Rassismus und Klassismus und Ability geschaffen haben.
    Als Trans*person ist es auch oft nicht so optimal in queerfeministischen Szenen, vor allem, wenn Leute sich soviel damit beschäftigt sind, zu glauben zu wissen, was du brauchst und dabei ganz vergessen nachzufragen. Manchmal ist die Szene in Berlin sehr akademisch und damit sehr ausschließend gegenüber allen, die nicht eine akademische Sprache sprechen.
Ich benutze deswegen auch das Label „queerfeministisch“ kaum, weil ich nicht soviel gute Erfahrung damit gemacht habe. Oft kommt es zu einem Stillstand, wenn sich ein Label herausbildet, deshalb bin ich da generell immer skeptisch, wenn es zu kuschelig wird, egal in welcher Szene. Strategisch kann es aber dennoch manchmal sinnvoll sein, das Wort queer-feministisch zu benutzen. Kommt immer auf den Kontext an.

«Gut sein wollen.
Gut. Ich.
Feminismus.
Gut. Ich.
herstory repeats itself
Täter_innenschaft aus Angst was zu verlieren
herstory repeats itself»
(Song "When change comes")

Andrzej
Andrzej

Viele, vielleicht sogar die meisten, finden ja zum Aktivismus, weil sie persönlich betroffen sind – sei es von Rassismus und/oder Cis-Sexismus und/oder Ableismus usw. Wann hast du dich entschieden, genderpolitischen Aktivismus mitzugestalten?
    Clara: Wie du sagst, denke ich auch, dass es oft um die persönliche negative Betroffenheit von einer Diskriminierung geht. Da ich mir in meinem Fall als Trans*frau nicht aussuchen kann, ob ich von Trans*weiblichkeiten-Feindlichkeit betroffen bin, ist das für mich keine „Entscheidung“ ob ich Gender-Aktivismus mache oder nicht. Dass ich mich mit heteronormativen Geschlechterkonstruktionen und den alltäglichen gewaltförmigen Folgen auseinandersetzen muss, ist für mich wohl oder übel Teil meines Lebens. Ich kann mir das nicht aussuchen, ob andere Menschen im Alltag mich anstarren, mich mit falschem Pronomen ansprechen, über mich herablassend reden oder ähnliches. Ebenso wenig kann ich dem medizinischen Diskurs über Trans* entgehen, der Menschen, die sich in ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht zu Hause fühlen, eine sogenannte „Geschlechtsidentitätsstörung“ diagnostiziert. Ohne diese diskriminierende Diagnose ist es nicht möglich, medizinische Maßnahmen wie Hormone oder Operationen zu bekommen. Seit ich vor einigen Jahren mein Coming-Out als Trans*frau hatte, bin ich also gezwungenermaßen „genderpolitisch aktiv“, ohne dass ich in irgendwelchen Gruppen organisiert bin.

Cash: Ich war eigentlich schon immer politisch aktiv in verschiedenen Kontexten, selbst als ich noch sehr jung war. Das liegt zum Teil sicher daran, dass ich schon sehr früh Ungerechtigkeit unmittelbar abgekriegt habe und auch daran, dass meine Eltern auch auf ihre Art ziemlich politisch waren. Ich bin in der DDR geboren und habe in der Wendezeit in Brandenburg meine Jugend verbracht. Das war ein Wechselspiel zwischen prägenden Klassismuserfahrungen, permanentem lebensbedrohlichem Nazistress und gleichzeitig dem Umgang mit Cissexismus und Vergewaltigungsgeschichten in der eigenen Antifagruppe und der Punkszene. Außerdem war ich immer zu der Zeit so gut wie die einzige/ oder eine der wenigen nicht-cisjungsigen Person sowohl in meinen Bands oder bei den Konzerten, die wir organisiert haben.
Ich habe bereits mit 16 meine erste Frauen*gruppe gehabt, in der fast alle bereits Vergewaltigungs- und Grenzüberschreitungserfahrungen hatten. Genderpolitik war für mich schon immer ein Thema, auch wenn ich das nie so genannt hätte, und ich habe mich schon immer mit anderen organisiert. Ich habe auch super viel gelernt dadurch und immer noch Freundschaften aus verschiedenen Kontexten, die mir unglaublich viel wert sind.
Ich finde die Frage nach der „Betroffenheit“ etwas schwierig. Ich mache verschiedene Diskriminierungserfahrungen in Bezug auf Klassismus, Cissexismus, Transfeindlichkeit, Homofeindlichkeit, Körpernormen aber bin auch gleichzeitig privilegiert in Bezug auf Rassismus, Ability, dadurch das ich einen deutschen Pass habe und trotz nichtakademischen Elternhaus mittlerweile auch studiere. Ich sehe eher die Verbundenheit von Diskriminierungsformen und Privilegierung. Niemand ist nur diskriminiert oder nur privilegiert, es ist immer ein Zusammenspiel von verschiedenen Sachen in einer Person. Mich interessiert auch meine eigene Täter_innenschaft innerhalb von Machtverhältnissen und Dynamiken, die dazu führen, dass Verletzungen immer wieder passieren. Außerdem glaube ich, ist es wichtig zu erkennen, dass ich auch, wenn ich in der privilegierten Position in einer Diskriminierungsform bin, trotzdem davon „betroffen“ bin. Damit meine ich nicht, das ich dieselben Erfahrungen mache wie Menschen die z.B. Rassismuserfahrungen machen, sondern das meine Privilegierung mit der Abwertung von anderen Menschen unmittelbar zusammenhängt, und dass ich deshalb verantwortlich bin, z.B. mich ganz konkret gegen Rassismus zu engagieren. Und zwar nicht nur weit weg von mir, sondern ganz konkret zu schauen, an welchen Stellen jeden Tag im Alltag werde ich bevorzugt behandelt, weil ich zum Beispiel weiß bin, und da hinzuschauen und versuchen etwas zu verändern...und nicht zu tun, als wenn mich das nichts angeht, weil ich ja nicht „betroffen“ bin.

«Seit ich vor einigen Jahren mein Coming-Out als Trans*frau hatte, bin ich also gezwungenermaßen „genderpolitisch aktiv“, ohne dass ich in irgendwelchen Gruppen organisiert bin»; Clara

Ist Friend Crush auch im Selbstverständnis eine künstlerische Ausdrucksform, um Alternativen zu hetereonormative Strukturen aufzuzeigen?
    Clara: Für mich steht das nicht so im Vordergrund, ob friend crush eine Alternative zu heteronormativen Strukturen ist. Als Band versuchen wir Sachen immer so zu machen, dass wir drei uns miteinander wohlfühlen. Wir haben die Band auch nicht bewusst als „all-trans*“ Band gegründet, sondern einfach, weil wir uns schon kannten und mochten. Wir versuchen aufeinander zu achten, dass es uns gut geht in der Band, und wir alle an Entscheidungen gleichberechtigt beteiligt sind. Wir schreiben alle Songs und auch alle Texte zusammen.     Ich habe nicht das Gefühl, dass wir bewusst versuchen queere Alternativen aufzuzeigen, sondern dass wir uns so ausdrücken und so zusammen Musik machen, dass wir uns möglichst wohlfühlen. Wenn das für Menschen Alternativen zu Heteronormativität aufzeigt, dann freue ich mich. Ich finde das auch immer toll, wenn ich Bands sehe, die nicht der heteronormativen Norm oder auch anderen Normen entsprechen.

    Cash: Wir haben uns ja, wie bereits erwähnt, über die Arbeit bei Ruby Tuesday e.V. kennengelernt. Wir haben uns zusammen dafür eingesetzt, dass aus Girls Rock Camp, ein Rock und ein Hip Hop Camp für Mädchen, Trans* und Inter* geworden ist, und dass sich der Verein verstärkt mit Mehrfachdiskriminierung und eigenen Privilegien auseinandersetzt. Wir haben uns also bereits über Formen von Aktivismus zusammengefunden als Band.     Dennoch war es zum Anfang tatsächlich nicht so, das wir die Band als „all-Trans*-Band“ extra gegründet haben. Mittlerweile weiß ich unsere Band aber immer mehr zu schätzen, als einen besonderen Ort, indem ich bestimmte Erfahrungen teilen kann, und in dem wir voneinander unglaublich viel lernen können. Da ich keine andere Band kenne, in der ausschließlich Trans*personen mitspielen und wir jetzt schon oft das Feedback bekommen haben, dass das etwas Besonderes ist, haben wir das auch in die Bandbeschreibung mit aufgenommen. Es ist auch ein Marker, dass Menschen wissen, „Hey das ist zur Abwechslung mal eine Punkband die nicht nur aus cisjungs besteht.“
Es gibt ja auch oft die Beschreibung „female fronted“, das hatte ich damals mit meiner Band Kassiopeia immer, ohne dass wir uns selbst je so beschrieben hätten. Ich dachte auch ehrlich gesagt, bevor wieder irgendwelche anderen Leute auf die Idee kommen, uns als „female fronted“ oder sowas anzukündigen, nehmen wir die korrekte Selbstbezeichnung lieber schon mal vorweg. Cool fänd' ich ja mal, wenn das immer so generell immer bei allen Bands stehen würde, dann würde bei den meisten Konzerten immer stehen: „100% white cis guys, 98% straight“ oder „CisMale-fronted, CisMale-drummed, CisMale-bassed and CisMale-guitarred.“

Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität können nicht auf die Ebene der Identität reduziert werden, sondern sind zugleich als symbolisches Ordnungsprinzip der Gesellschaft wirksam. Geht es dir im Hinblick auf Sexualität und Identität ausschließlich um soziale und gesellschaftliche Anerkennung?
    Clara: Gesellschaftliche und soziale Anerkennung können sich erst einmal gut anfühlen. Ich denke aber, dass meist nur die Privilegiertesten einer bestimmten Gruppe gesellschaftliche Anerkennung erhalten und auch nur wenn diese sich an bestehende Normen anpassen und diese nicht in Frage stellen. Zum Beispiel haben weiße, cis-männliche Schwule aus der Mittelklasse ohne Behinderung es durch die LGBT-Bewegung geschafft teilweise gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen. Es gibt mittlerweile zum Beispiel offen schwule Politiker in hohen Ämtern. Für viele Andere die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind ist es jedoch gar nicht möglich sich an bestimmte gesellschaftliche Normen anzupassen und dadurch Anerkennung zu erhalten. Von daher denke ich, dass die Gesellschaft grundlegend verändert werden muss und nicht einfach nur einige wenige Menschen einer diskriminierten Gruppe – und zwar diejenigen, die nur von einer einzigen Diskriminierungsform negativ betroffen sind – unter den gegebenen Spielregeln mitmachen dürfen.

«Trans*menschen werden oft unfreiwillig zu „Genderwarriors“»; Cash

Cash: Mir geht es in erster Linie darum, dass Menschen selber definieren können, wie sie leben wollen und wie sie gelesen werden wollen. Es geht mir darum in Frage zu stellen, Kategorien wie „Mann-sein“, „Frau-sein“, „Hetero-sein“ als naturgegeben zu sehen, und es geht mir auch darum, das gewaltvolle Ordnungssystem der Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen und sichtbar zu machen. Also die Annahme, das es nur zwei Geschlechter gäbe, und dass es nur Hetero oder Homo gibt. Als Trans* Mensch erlebst du diese Absurdität dieser Zuschreibungen jeden Tag. Leider ist das nicht so spielerisch wie sich das vielleicht für manche Außenstehende anhört, denn es sind jedesmal Verletzungen und gewaltvolle Platzverweise, bis hin zu Pathologisierungen, die da vorgenommen werden. Trans*menschen werden oft unfreiwillig zu „Genderwarriors“.
Wie ich ja schon oben gesagt habe, kann ich Gender nicht losgelöst von anderen Diskriminierungs-formen betrachten. Die Diskriminierungserfahrungen als Trans*mensch und als queerer Mensch können extrem unterschiedlich sein, je nachdem wie du sonst so positioniert bist in der Gesellschaft. Das fängt beim Zugang zu Hormonen und OP´s an (soweit Menschen das wollen) und geht weiter, darüber ob du zum Beispiel psychische Krankheiten diagnostiziert bekommen hast, oder als „lernbehindert“ eingeteilt wurdest, dann „darfst“ du zum Beispiel dich gar nicht als Trans* diagnostizieren lassen, um zum Beispiel Hormone zu bekommen oder den Namen/Personenstand zu ändern, was ich super gewaltvoll und entmündigend finde. Am allerbesten fände ich natürlich, wenn ich mich auch nicht mal pathologisieren lassen müsste, um in dem gewünschtem Geschlecht leben zu können – also hier spielt der Kampf um gesellschaftliche Anerkennung eine große Rolle.
Ich finde es aber ziemlich gefährlich, wenn es ausschließlich um die soziale und gesellschaftliche Anerkennung von zum Beispiel queeren Lebensentwürfen geht. Es gibt nur ganz bestimmte Menschen, die sich erlauben können nur Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität im Rahmen solcher Kämpfe zu thematisieren, meistens sind die Menschen relativ privilegiert, wenn das das einzige Machtverhältnis ist bei dem sie unterdrückt werden.
Es sollte mitgedacht werden, dass es sowohl verschiedene Perspektiven in diesem Kämpfen gibt, als auch Kämpfe aus verschiedenen Positionen und in verschiedenen Ländern, die sehr unterschiedlich sein können. Auch gibt es die Gefahr wiederum Machtverhältnisse zu verstärken.
Wenn sich Deutschland und Europa als besonders homofreundlich darstellt, dann wird zum Beispiel vergessen, dass Europa mit Gewalt in den Kolonien seine Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit durchgesetzt hat, und dass die Gesetze, die in den ehemals kolonisierten Ländern die Todesstrafe auf Homosexualität festschreiben, zum größten Teil noch aus der Kolonialzeit kommen. Wenn sich also Europa mit Conchita Wurst als Vorreiter der LGBTI Rechte feiert, ist das erstens eine totale verdrehte und normative Darstellung der Lebensrealität von LGBTIs in Europa und gleichzeitig eine Überlegenheitsgeste gegenüber dem globalen Süden, von dem sich gerne abgegrenzt wird unter anderem über Homorechte.
Es gibt ja schon lange Kritik von Queers of colour an dem sogenannten Homonationalismus oder auch „Gay.imperialism“. Es ist bei dem Kampf um Anerkennung sehr wichtig, diese Stimmen zu hören und nicht, nur um ein Stück vom Kuchen zu kriegen, gleichzeitig auf anderen herumzutrampeln.

Vor allem geht es bei Self Care darum zu erkennen, wann mensch eine Grenze erreicht hat und weitere Aufgaben auf später verschieben sollte, ob mensch sich nun um Aktivismus kümmern möchte oder lieber ein Wochenende frei nehmen. Ist für dich das Private auch politisch und verteidigst du deinen Aktivismus jeden Tag?
    Clara: Ich denke, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich gut gelernt haben sich gut um sich selbst zu kümmern. Als weiße Mittelklasse-Person habe ich beigebracht bekommen, dass meine Bedürfnisse wichtig sind und ich es „verdient“ habe, dass ich mich gut um mich selbst kümmere.

Cash: Da haben Clara und ich zum Beispiel etwas nicht gemeinsam, denn ich habe das nicht beigebracht bekommen. Aktivismus und Selfcare lässt sich nur aus einer privilegierten Position trennen, für viele bedeutet „gut zu sich zu sein“ erst einmal für die eigenen Rechte zu kämpfen. Ich kann Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen nicht ausblenden, selbst wenn ich wollte, rebelliert mein Bauch. Für mich war und ist „das Private“ auch schon immer politisch. Ich denke, dass es kein Zufall ist, dass einige Menschen eher krank werden als andere. Ich denke, dass hat unter anderem auch was damit zu tun, ob es überhaupt geht, sich um seine Gesundheit zu kümmern, ob du Zugang zum Gesundheitssystem hast und inwiefern dein Selbstwertgefühl dir erlaubt krank sein zu dürfen.    

Manche Menschen wachsen auf und bekommen gesagt, dass alles was sie tun sehr wertvoll ist, und dass ihre Gesundheit und „gutes Essen“ das wichtigste ist. Andere Menschen wachsen auf und lernen eher, dass Dinge gemacht werden müssen, das gearbeitet werden muss, und dass deine Bedürfnisse zurückgesteckt werden müssen, weil es kein Geld gibt, oder keine Zeit, oder keine Möglichkeiten. Sie lernen, dass sie am meisten wert sind, wenn sie anderen helfen und keinen eigenen Raum brauchen für sich. Ich habe zum Beispiel eher letzteres gelernt.
Andrzej und ich haben deshalb auch das „ich bin wertvoll“ in den Text „Verkäufer_in“ gepackt. Denn wir haben da beide etwas gemeinsam. Wir wollen uns das immer wieder sagen, uns daran erinnern, dass wir wertvoll sind, wertvoll genug um NEIN zu sagen und um weiterzumachen. Es ist u.a. ein Klassending, dass, wer schon immer viel Platz für sich hatte und sich nie Sorgen machen musste, um Geld insgesamt aufrechter und unbeschwerter durchs Leben geht, und dass Mittelklasse Menschen einen anerzogenen Individualismus in sich tragen. Ich hatte Eltern, die nie viel Geld hatten und auch keinen bildungsbürgerlichen Hintergrund und habe eher andere Sachen gelernt, zum Beispiel mit wenig Geld zu überleben, oder solidarisch zu sein, gut in Gruppen arbeiten zu können, einen bestimmten kritisch wachen Blick zu haben und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass alle working Class und poverty class Menschen gleich sind!!!
Es spielen wie gesagt auch immer noch weitere Privilegierungs- und Diskriminierungslinien mit rein.
Es ist definitiv so, dass in linken Szenen und Communitys es nicht zufällig ist, wer welche Arbeit macht. Es lohnt sich genau hinzuschauen, an wen und wie Care-Arbeit, und andere Arbeit, die nicht dafür taugt in dem Lebenslauf zu landen, verteilt wird.
Selfcare hat im besten Fall ganz viel mit Aktivismus zu tun - das Audre Lorde Zitat: “Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare.” finde ich da sehr passend. Denn es ist durchaus revolutionär, wenn die Menschen, denen es nicht zugestanden wird selfcare zu betreiben, damit beginnen, sich zu überlegen, was für sie gut ist. Dabei geht es nicht darum, einen Mittelklasse Individualismus zu erreichen, der auf den Rest der Welt scheißt, sondern es geht darum wie wir in unseren Communities zum Beispiel uns gegenseitig unterstützen können und wie wir in unseren Kämpfen auch Raum zum Überleben lassen können.
Also mir hat das nach jahrzehntelangem auspowern durch Aktivismus schon sehr geholfen, irgendwann mal etwas gezielter und sparsamer meine Kräfte einzusetzen. Sich ein Wochenende frei nehmen, kann also durchaus auch revolutionär sein, je nachdem wer das in welchem Kontext so macht. Für mich ist das aber keine „entweder/oder Frage“ mit Selfcare und Aktivismus, denn es gehört für mich zusammen. 

Ist die Frage nach Aktivismus oder Selbstfürsorge eine privilegierte Perspektive, die für dich konfliktbehaftet ist?
    Cash: In „das ist leicht dahergesagt“ sagen wir ja, dass Selfcare ein Teil der Revolution sein kann. Der Song handelt über Trans*feindlichkeit und wie es sich anfühlt, immer wieder gesagt zu bekommen, „falsch“ zu sein, und dass du das Problem bist.
Selfcare ist für mich auch, was ich daraus mache, zum Beispiel täglich gesagt zu bekommen, dass es mich eigentlich gar nicht gibt als Person, die sich nicht „eindeutig“ als „Mann“ oder „Frau“ definiert, in einer Welt, die mich als krank einstuft, wenn ich weiß, wer ich wirklich sein will oder schon bin.
Es ist ziemlich harte Arbeit, in dieser Welt nicht total verrückt zu werden mit ihrer ganzen Ungerechtigkeit und entmenschlichten Scheiße. Wenn wir uns darüber austauschen wird klar, dass es sich um strukturelle Diskriminierungsformen handelt, die wir aber alle einzeln jeweils als persönliche Erfahrung erleben.
Es kann sehr empowernt sein, das zu sehen und im Endeffekt ist das ja auch ein bisschen der Anfang von den meisten Bewegungen. Wir haben alle drei unterschiedliche Arten damit umzugehen, was Selfcare für uns im konkreten bedeutet, aber in einer Band zu sein ist auf jeden Fall Teil davon.
Friend crush ist für mich ein Ort, der mir definitiv hilft weiterzumachen, Sachen zu verarbeiten, wieder neuen Mut zu schöpfen, wo ich nach meinen Bedürfnissen gefragt werde und wo Pause machen zum Aktivismus dazugehört.
In all meinen vorherigen Bands war Selfdestruction immer ein wichtiger Teil gewesen – es ging eher darum, sich zusammen kaputt zu machen und nichts mehr zu spüren. Friend crush ist ein Ort für mich, der eher heilend ist, wo ich auch lerne, was das mit anderen macht, wenn ich mich selbst hasse und kaputt mache, wo ich lernen kann, dass ich eigentlich keinen Alkohol brauche, sondern einen solidarischen Blick, ein offenes Ohr, ein gehört und gesehen werden und einen Ort, an dem ich selber wachsen kann und lerne, meine eigenen Grenzen zu achten und trotzdem alles zu geben, um Dinge zu verändern.
Ich wünsche mir so eigentlich auch meine anderen Communities und aktivistische Szenen, aber leider ist meistens eher ein ziemlich kapitalistischer ausbeuterischer Umgang mit den eigenen Ressourcen angesagt und es gibt immer wieder so krasse Burnouts.     Ich wünsche mir das beides geht, Selfcare und Aktivismus, und das dass nicht im Widerspruch zueinander gesehen wird. Care-Arbeit ist generell ein Thema, das zu unbenannt bleibt innerhalb verschiedener aktivistischer Szenen wie ich sie erlebt habe.
Wenn Andrzej singt: I want to care for myself as I care for my friends – dann ist das auch so gemeint. Ich kann nur für andere wirklich da sein, wenn ich weiß, was ich brauche, um diese Arbeit machen zu können. Wenn ich meine eigenen Grenzen kenne und formulieren kann. Das ist eventuell eine privilegierte Perspektive – aber es ist ein Umgang mit den eigenen Ressourcen, den ich mir für alle wünsche und der nicht so selbstzerstörerisch ist. Es ist wichtig, dass wir unsere Stärken erkennen und schätzen lernen, um etwas zu verändern.

«Aus meinem Mund kommt Kritik und aus meinem Herz kommt nach ganz viel Wut noch vielmehr Verletztlichkeit.
Ich will und werde hier nicht scheitern, das ist größer und hat Struktur. Ich will und werde hier nicht persönlich scheitern. In einer Welt, in der ich gelernt habe meinen Körper zu hassen ist selfcare ein Teil der Revolution»
(Auszug: „Das ist leicht dahergesagt“)

Wann wird Aktivismus zur Selbstschädigung?
    Clara: Für mich hat das viel mit meiner persönlichen Einstellung zu tun. Immer wenn ich mich politisch für andere Menschen nur aus einem Schuldgefühl oder schlechten Gewissen heraus einsetzte, kann Aktivismus selbstschädigend werden. Ich habe auch von Personen - für deren Rechte ich mich einsetzen wollte - oft gesagt bekommen, dass diese Art von Aktivismus „für Andere“ sich nicht gut anfühlt.    

Wenn ich mit dieser negativen Einstellung versucht habe politisch zu handeln, habe ich meistens verletzende Sachen gemacht. Wenn ich aber politisch aktiv bin, weil ich das (auch) für mich mache, dann gibt mir Aktivismus oft eher Energie und Stärke. Zum Beispiel habe ich irgendwann festgestellt, dass ich mich nicht nur gegen Rassismus einsetze für People of Color und Schwarze Menschen, sondern auch, weil ich als weiße Person mich mit meinem eigenen Rassismus nicht wohl fühle. Mein eigener verinnerlichter Rassismus macht es mir oft schwer allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und tiefer gehende Beziehungen mit PoC und Schwarzen Menschen einzugehen. Das finde ich wirklich zum Kotzen, und ich bin oft wütend, dass ich durch meine Sozialisation als weiße mehrheitsdeutsche Person in der BRD gelernt habe, einen Teil meiner eigenen Menschlichkeit abzuspalten.
    Cash: Wenn ich mich zum Beispiel nur an Menschen abarbeiten muss, die sich gar nicht verändern wollen, oder an Strukturen, die Veränderung verhindern, das saugt unglaublich viel Energie und Kraft. Wenn unsichtbar bleibt, wer welche Privilegien hat in der Gruppe und es keine Offenheit dafür gibt sich damit kritisch auseinanderzusetzen. Wenn es kein Bewusstsein dafür gibt, dass manche Menschen besser gelernt haben ihre Grenzen zu erkennen als andere. Wenn immer auf Konsens diskutiert und gedacht werden muss, anstatt zu akzeptieren, dass aus unterschiedlichen Positionierungen heraus unterschiedliche politische Strategien sinnvoll sind.
Wenn es ein gemeinsamen-sich-kaputtmachen ohne jeglichen Empowermentfaktor ist.

«Ich habe auf jeden Fall durch meine queere Identität gelernt, einige Dinge, die im Mainstream als „normal“ gelten, in Frage zu stellen, nicht einfach als gegeben hinzunehmen und neu zu erfinden»; Clara

Inwiefern können quer-feministische Statements als Anti-Normalisierungspolitik fungieren?
    Clara: Ich denke, dass es wichtig ist, Alternativen zu heteronormativen Gesellschafts- und Beziehungsmodellen zu haben. Vor allem auch als Vorbilder auch für jüngere Menschen. Wenn ich schon früher mitbekommen hätte, dass es so etwas wie Trans* und queer gibt, dann hätte ich mir viele unangenehmen Dinge ersparen können. Ich habe auf jeden Fall durch meine queere Identität gelernt, einige Dinge, die im Mainstream als „normal“ gelten, in Frage zu stellen, nicht einfach als gegeben hinzunehmen und neu zu erfinden. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass queer-feministische Politiken auch neue Normen schaffen können. Zum Beispiel finde ich, dass viele queere Szene-Veranstaltungen sich viel um sexuelles Begehren drehen. Ich finde das auch generell in Ordnung und wichtig, weil queeres Begehren im Mainstream abgewertet und als „pervers“ gelabelt wird. Nur finde ich, dass es nicht viele alternative Veranstaltungen gibt, bei denen Asexualität als queere sexuelle Orientierung mitgedacht wird. Daneben gibt es auch einige andere queere Normen, wie zum Beispiel Weißsein oder bestimmte Körpernormen.
    Cash: Das ist eine sehr generalisierende Frage. Es kommt für mich total drauf an wer in welchem Kontext was sagt. Nur weil Statements queer-feministisch sind, heißt das nicht, dass sie nicht auch gleichzeitig Normalisieren können. Es gibt ja sogar große Teile der Mainstream Queer oder Feministischen Bewegung, die explizit eine Normalisierungspolitik anstreben, also die dafür kämpfen, dass es „normal“ wird zum Beispiel eine Familie mit queeren Eltern zu sein, oder dass alle heiraten dürfen die wollen. Das Label „queer-feministisch“ wird ja sehr unterschiedlich benutzt.    

Ich denke, dass es bei so identitätspolitischen Ansätzen eh immer um beides geht, dass, was als „normal“ gilt, in Frage zu stellen und gleichzeitig neue Vorschläge von „Normalität“ zu machen. Kritisch wird es nur, wenn die ganze Zeit davon ausgegangen wird „Anti-Normalisierungspolitik“ zu machen und dabei ganz übersehen wird welche weiteren Normalisierungsannahmen da mittransportiert werden. Also wenn ich eine Party oder Demo mache, die queer-feministisch labele und dann bei der gesamten Planung und Werbung nur von den Bedürfnissen weißer, ableisierter, Cis*frauen mit Zugang zu Geld ausgehe, so wie das ja oft passiert, wäre das ja quasi Anti-Normalisierungspolitik die auf Diskriminierungs- und Normalisierungspolitik aufbaut.

Die Soziologin und Professorin Ute Gerhard hat 2007 angemerkt, dass es in dem auf das Bürgertum bezogenen Feminismus keinen Platz für Mitgefühl gibt, für Solidarität mit Frauen, die nicht dieselben ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen vorweisen können. Wie kann queerer radikaler Feminismus jenseits des Mainstreams in das öffentliche Bewusstsein transportiert werden?
    Clara: Dass der bürgerliche Feminismus, Menschen ausschließt, die nicht der Mittelklasse oder der „Oberschicht“ angehören, haben ja schon unzählige Feminist_innen aus der Arbeiter_innen- und Armutsklasse kritisiert. Da war die Professorin Ute Gerhard nicht die erste, die das erkannt hat. Ich finde total wichtig, dass Wissen nicht erst anerkannt wird, wenn das von einer_m Professor_in oder ähnlichem kommt. Genau das ist für mich auch ein Problem des bürgerlichen Feminismus, dass das Wissen von Arbeiter_innen und Menschen aus der Armutsklasse oft nicht anerkannt wird. Ich finde die Kritik am Klassismus des bürgerlichen Mainstream Feminismus super wichtig.
Die meisten der Forderungen des bürgerlichen Feminismus sind ja wirklich nur auf die eigenen Probleme der meist weißen, bürgerlichen Cis-Frauen ohne Behinderung ausgerichtet. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie radikale kritische Ansichten, die den Mainstream kritisieren von diesem anerkannt werden können. Ich versuche oft eher in meinem unmittelbaren Umfeld, auf der Arbeit, an der Uni, in Punk / D.I.Y.- und Queer-Szenen oder in meiner Nachbarschaft, Ausschlüsse und Diskriminierung zu kritisieren und auch selbst für Kritik offen zu sein.
    Cash: Unser Song „When change comes“ handelt unter anderem von einem solchen bürgerlichen Feminismus. Es geht darum wie „gut-sein-wollen“ genau ins Gegenteil umschlagen kann. Zum Beispiel wenn ich mir überlege, was denn für „die Anderen“ so wichtig sein könnte, ohne „die Anderen“ zu fragen was sie denn so brauchen oder ob sie meine Unterstützung überhaupt brauchen. Der Song handelt auch von radikalem queerem Feminismus wie dem von Dorothy Allison(2), die mich sehr inspiriert und empowert hat mit ihren Texten aus der Working Class Perspektive, die über ihre Geschichte als Survivor spricht und gleichzeitig über ihr Begehren und ihre Liebe. Sie beschreibt so klar die Muster, die Dynamiken und Machtverhältnisse, die häusliche Gewalt hervorbringen und sie beschreibt gleichzeitig ihre eigene Stärke und wie sie es ganz allein da raus geschafft hat, ohne genauso zu werden. Sie schreibt auch von den Teilen der Familie, die sie gestärkt haben und von Solidarität und Unterstützung. Sie hat den Satz geschrieben: „When change comes, it cracks everything open“ und immer wenn ich das singe, denke ich an Dorothy Allison und an viele, die ich kenne, denen es ähnlich geht. Für mich heißt das, wenn ich mich mit erlebter Diskriminierung beschäftige, heißt das auch ein Beschäftigen mit meinen Privilegien, mit den Konsequenzen seitens meines eigenen Handelns. Bei deiner Frage frage ich, mich wer das ist, „das öffentliche Bewusstsein“, welche Erfahrungen/welches Wissen das angeblich nicht enthält und wieso da was reintransportiert werden soll, was eine Professorin gesagt hat. Für mich funktioniert Aktivismus eher über das Verbinden von einzelnen Erfahrungen, über sich gegenseitig zuhören, über gemeinsame Kämpfe.

Ich denke, Workshops, Ladyfeste und Musik- und Infoveranstaltungen sind wichtige Plattformen und Möglichkeiten, um einerseits Macht- und Herrschaftsformen aufzuzeigen und anzugreifen, andererseits Stärke und Vielfältigkeit zu präsentieren. Siehst du hierin auch den Grund für ein Revival des Feminismus?
    Clara: Ich glaube, dass es nicht „den einen Feminismus“ gibt. Es gibt und gab immer politische Bewegungen, die sich gegen Sexismus und Homophobie und andere Diskriminierungsformen eingesetzt haben. Ich denke was davon im gesellschaftlichen Mainstream in Deutschland ankommt ist nur ein ganz kleiner Teil davon, was weltweit an feministischen Bewegungen existiert. In letzter Zeit gab es einige Gruppen, die sich Feminismus auf die Fahnen geschrieben haben und öffentlichkeitswirksame Aktionen gemacht haben. Damit haben bestimmte Gruppen, die sich „feministisch“ nennen viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommen.    

Aber ich habe das Gefühl, dass das vor allem bei Aktionen funktioniert, die meist nur Sexismus kritisieren und andere Herrschaftsverhältnisse ignorieren. Die Gruppe Femen zum Beispiel hat aus einer nicht-muslimischen Position über muslimische Frauen gesprochen, diese als unterdrückt dargestellt und damit rassistische Stereotypen reproduziert. Gleichzeitig hat die Gruppe sehr viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommen. Auch Klassismus und Kapitalismus werden als Themen oft nicht angesprochen und auch Trans* wird meist nicht mitgedacht. Ich glaube, dass Aktionen und Bewegungen, die mehrere Diskriminierungsformen angreifen und nicht nur die privilegiertesten Menschen aus einer Gruppe ansprechen vom gesellschaftlichen Mainstream in Deutschland leider meist nicht beachtet werden.
    Cash: Ich sehe kein Revival des Feminismus. Eher ein „Roll-back“. Alternative queer-feministische Veranstaltungen gab es schon immer auch vor den Ladyfesten und es ist eine Frage der Perspektive bzw. der Positionierung, für wen das angeblich etwas Neues ist. Für Menschen die sich darüber solidarisieren und eigene Räume schaffen ist es kein Revival oder Trend sondern ein Stück (Über-)Lebensrealität.

Anti-Lookism Gruppen zielen mit ihrer Kritik am Bodyismus auf die Verwertungslogik normativer Körper und zeigen u.a. auf, dass die Vorstellung von normgerechten Körpern mit rassistischen und sexistischen Diskursen verwoben ist. „Ich bin wertvoll!“ ist eine treffende Aussage, die einerseits Trotz ausdrückt, reaktionär oder selbstbewusst sein kann. Fällt dir das heute leicht, das zu sagen?
    Clara: Bei mir ist das immer unterschiedlich. Ich denke oft, dass ich nicht wertvoll bin so wie ich bin, sondern habe das Gefühl, dass ich erst etwas bestimmtes „leisten“ muss und mir erst einmal „verdienen“ muss, mich selbst wertvoll zu finden. Ich glaube im Kapitalismus lernen das alle Menschen, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Ich habe das Gefühl, dass ich als Person mit Mittelklasse-Hintergrund das oft leichter sagen kann, als Personen mit Arbeiter_innen- oder Armutsklasse Hintergrund. Während ich aufgewachsen bin, habe ich relativ oft gesagt bekommen, dass ich Dinge gut mache und in Ordnung bin, so wie ich bin. Ich wurde auch oft belohnt für Dinge, die ich gemacht habe. Dennoch ist es manchmal gerade auch als trans*weibliche Person nicht so einfach, mich von gesellschaftlichen Klischees abzugrenzen und mich so anzunehmen wie ich bin.
    Cash: Habe ich ja eigentlich schon oben geschrieben: Wir sagen uns das, um uns gegenseitig daran zu erinnern, dass wir wertvoll sind. Wenn das so leicht fallen würde, müsste ich mich ja nicht ständig dran erinnern. Also Nein, es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, aber ich hoffe, dass es Anderen auch die Kraft gibt es auch zu sagen, die es nicht gewohnt sind und immer gesagt bekommen, dass sie nichts wert sind oder falsch in dieser Gesellschaft, und dass ist für mich ein Grund, mir das auch selbst zu sagen. Ich habe da ja Verantwortung auf der Bühne für mein Handeln.

Mehr:

Anmerkungen:

(1) Ruby Tuesday e.V. ist ein Verein, der 2008 von Musiker_innen, Pädagog_innen und Kulturschaffenden mit dem Ziel gegründet worden ist, Mädchen, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche zu ermutigen, ihre künstlerischen und musikalischen Fähigkeiten zu entdecken und ihnen Selbstvertrauen zu geben, aktiv und gleichberechtigt an der bislang männlich dominierten Musikwelt zu partizipieren.
rubytuesdaymusic.de
(2) Dorothy Allison (geb. am 11.04.1949) beschreibt sich selbst als Feministin und als eine der Arbeiterklasse zugehörige Geschichtenerzählerin, die schreibt, um die Welt zu verändern. Dorothy ist Schriftstellerin und Rednerin, die sich kritisch mit Geschlecht, Klasse, Gewalt und sexueller Orientierung auseinandersetzt.

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