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Frauen gegen Gewalt

http://www.frauen-gegen-gewalt.de/
Für ein Leben ohne Gewalt

Gewalt gegen Frauen* ist Ausdruck eines Macht-Ungleichgewichtes zwischen den Geschlechtern. Gewalt gegen Frauen* hat viele Erscheinungsformen. Sie beginnt mit der „alltäglichen Anmache“, mit frauenfeindlicher Sprache, Witzen und Beschimpfungen. Wohl jede Frau kennt dies und schätzt das nicht einmal als Gewalt ein, weil es eben „alltäglich“ erscheint.

Auch wo Frauen* in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt werden, wenn sie bestimmte Orte, Wege oder Situationen meiden müssen, um Belästigungen oder Bedrohungen zu entgehen, handelt es sich um eine Form von Gewalt. Frauen erleben auch Gewalt und Diskriminierungen in Form von Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Homophobie oder Trans*phobie, z. B. auf der Straße, aber auch in Behörden und Institutionen. Frauen*, die Gewalt erlebt haben, sollten eine uneingeschränkte gesellschaftliche Ächtung dieser Gewalt erfahren. Sie sollten sich sicher sein können, Solidarität und Unterstützung zu bekommen, anstatt auf Anschuldigungen oder Vorurteile zu treffen. Deshalb muss die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Gewalt gegen Frauen* sich künftig noch stärker an Menschen aus dem sozialen Umfeld dieser Frauen richten. Viele von Gewalt betroffene Frauen brauchen Unterstützung. Diese bekommen sie bei den Fachberatungsstellen. Eine dieser Stellen ist der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe - Frauen gegen Gewalt e.V. (bff) in Berlin. Im bff sind mehr als 170 Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen zusammengeschlossen. Sie leisten in Deutschland den hauptsächlichen Anteil der ambulanten Beratung und Hilfestellung für weibliche Opfer von Gewalt. Der Verband bezieht Stellung zu aktuellen Entwicklungen, die das Thema Gewalt gegen Mädchen und Frauen betreffen. Außerdem tragen sie durch Öffentlichkeitsarbeit zur Enttabuisierung von Gewalt gegen Frauen* bei und sind aktiv in der Prävention von Gewalt.
Das Interview wurde geführt mit Anna und Katharina

Gewalt in der Partnerschaft gegen Frauen
Statistik

Für ein Leben ohne Gewalt

Was hat dich dazu bewegt, Frauen und Mädchen, die erhöhten Risiken ausgesetzt sind, Opfer von Gewalt, Zwang und psychischer wie gesundheitlicher Beeinträchtigung in Familien- und Paarbeziehungen zu werden, zu unterstützen und die Gewalt gegen sie zu beenden?
    Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist noch immer ein sehr großes gesellschaftliches Problem. Feministinnen haben sich dem schon vor vielen Jahren angenommen und kämpfen für ein Leben frei von Gewalt für alle Frauen und Mädchen. Als Feministinnen liegen uns der Einsatz gegen Diskriminierungen und geschlechtsspezifische Gewalt sehr am Herzen – das sind Anliegen, die der bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe und alle dort tätigen Frauen* teilen.

Inwieweit ist euer Hilfsangebot auch für Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Inter- und Queermenschen (LSBTI*Q) ausgerichtet, die ebenfalls aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität häufig Gewalt erleben?
    Der bff ist der Dachverband und die Interessensvertretung von Fachberatungsstellen, die auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen spezialisiert sind. Wir in der Geschäftsstelle des bff machen vor allem Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, führen Seminare und Fachveranstaltungen durch.
Historisch ist es so, dass sich die Fachberatungsstellen im Zuge der 2. Frauenbewegung gegründet haben – mit dem Ziel, gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen zu unterstützen. Das heißt natürlich auch Lesben, bisexuelle und queere Frauen* und Mädchen. Viele Beratungsstellen sind offen für Trans*Personen. Jedoch kommen Trans*Personen häufig noch zu selten in den Beratungsstellen an.  

Gewalt gegen Frauen ist weltweit die häufigste Menschenrechtsverletzung. Jede 3. Frau weltweit war bereits Opfer von Gewalt, wurde geschlagen, zu sexuellem Kontakt gezwungen, vergewaltigt oder in anderer Form misshandelt. Welche konkreten Maßnahmen sind notwendig, um Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll und nachhaltig zu bekämpfen?
    Dafür braucht es viele verschiedene Maßnahmen.
Wichtig ist, dass gewaltbetroffene Frauen* und Mädchen* Unterstützung und Hilfe nach Gewalt benötigen. Dafür gibt es die spezialisierten Fachberatungsstellen, die bei Bedarf auch anonym beraten. Die Beratungsstellen brauchen für ihre wichtige Arbeit eine gute Finanzierung, damit sie niedrigschwellig und gut erreichbar sind  – das ist gerade leider nicht der Fall.
    Es braucht auch gute Präventionsmaßnahmen – z.B. für Kinder und Jugendliche in der Kita und Schule, WenDo-Kurse und Kampagnen, um über das Ausmaß von Gewalt zu informieren.
Alle müssen gut Bescheid wissen über Gewalt und wie sie Betroffene unterstützen können, so z.B. Lehrer_innen, Ärzt_innen, aber auch die Justiz.
Wir als bff setzen und auch dafür ein, dass sich Gesetze ändern – ein Erfolg war z.B. die Sexualstrafrechtsreform im Sinne eines Nein heißt Nein. Wichtig ist auch, dass Betroffene Möglichkeiten einer Entschädigung für die erlebte, teilweise sehr schwere Gewalt haben.
    Wichtig ist, bei allen Aktivitäten gegen Gewalt immer intersektional zu denken und die mehrfache Diskriminierung von z.B. Frauen mit Behinderungen, Frauen mit Rassismuserfahrungen oder Trans*Personen zu berücksichtigen. Und zu schauen, wie Angebote der Anti-Gewalt-Arbeit noch weiter geöffnet und inklusiver werden können.

Aus Platzmangelgründen müssen immer wieder Mütter mit ihren Kindern aus Frauen- und Schutzhäusern abgewiesen werden. Wie könntet ihr den von Gewalt betroffenen Frauen dann helfen?
    Es ist leider die Realität, dass Frauenhäuser immer wieder Frauen mit ihren Kindern abweisen müssen. Es gibt bundesweit seit vielen Jahren zu wenige Frauenhausplätze. Für die betroffenen Frauen und Kinder ist das kein haltbarer Zustand, denn es fehlt oft an Alternativen, wo sie unterkommen und in Sicherheit sein können. Ambulante Beratungsstellen sind neben Frauenhäusern wichtige Anlaufstellen auch für akut gewaltbetroffene Frauen und Kinder.
Aber das strukturelle Problem bleibt: Der Mangel an Plätzen in Frauenhäusern und der Mangel an Fachberatungsstellen –das hat gravierende Auswirkungen für Betroffene von Gewalt.  

Die Arbeit mit den Kindern ist wichtige Präventionsarbeit, denn die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen. Durch intensive Unterstützung kann die Spirale der Gewalt durchbrochen werden. Wird diese Arbeit eurer Meinung nach zu wenig durchgeführt?
    Präventionsarbeit ist sehr wichtig und wird oft schlecht oder gar nicht finanziert. Es ist wichtig, schon bei kleinen Kindern anzufangen, um Gewalt vorzubeugen. Die dem bff angeschlossenen Fachberatungsstellen bekommen sehr viele Anfragen von Kitas, Schulen, aber auch Einrichtungen der Jugendhilfe oder Behindertenhilfe.
Gute Präventionsarbeit erhöht die Bekanntheit von Fachberatungsstellen und die Beratungsanfragen. Bei Präventionsangeboten gibt es immer auch Personen, die selbst schon Gewalterfahrungen gemacht haben und Unterstützung brauchen.
    Wir kennen viele Beispiele, wo Fachberatungsstellen gute Präventionsangebote (z.B. zu K.O.-Tropfen in Schulen) einstellen mussten, weil die Nachfrage an Beratung und Unterstützung so stark angestiegen ist, dass sie dem nicht mehr nachkommen konnten.

Mit der öffentlichen Diskussion um Zwangsverheiratung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland werden seit Jahren stereotype Darstellungen über „die“ türkischen MigrantInnen transportiert. Nimmt die Gewalt gegenüber Migrantinnen zu und was sind die Hindernisse, diese Gewalt überhaupt sichtbar zu machen?
    Es gibt keine Zahlen dazu, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Migrationsgeschichte zunimmt. Gewalt trifft alle Frauen und Mädchen, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Alter oder einer Behinderung. Fakt ist aber, dass z.B. geflüchtete Frauen in Unterkünften ein höheres Risiko haben, Gewalt zu erleben – aufgrund der Bedingungen in der Unterkunft (keine abschließbaren Toiletten oder Schlafräume, keine spezifischen Schutzräume). Doch auch hierzu fehlen Zahlen.
Gewalt wird oft sehr stark den ‚Anderen‘ und ‚Fremden‘ zugeschrieben, dies hat sich durch den Diskurs um die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln noch verstärkt. Das heißt geflüchtete und ‚arabisch aussehende‘ Männer werden als gewalttätig und übergriffig angesehen. Es findet eine Verknüpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Rassismus statt. Das ist keineswegs neu, stellt aber Herausforderungen an die feministische Anti-Gewalt-Arbeit: Geschlechtsspezifische Gewalt einerseits und Rassismus andererseits zu benennen und zu bekämpfen.

Ist es ungewöhnlich, dass sich von Gewalt betroffene Frauen, nachdem ihnen Hilfsangebote angeboten bekommen wurden, dazu entscheiden, keine weiteren Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen? Was sind die Gründe hierfür?
    Es ist ganz unterschiedlich, was gewaltbetroffene Frauen an Unterstützung brauchen. Das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Viele Frauen suchen nach erlebter Gewalt nie eine Beratungsstelle auf, andere wünschen eine einmalige Beratung, viele brauchen eine längerfristige Unterstützung und Begleitung. Hilfreich ist, wenn Frauen ein soziales Netzwerk haben, an das sie sich wenden können. Wichtig ist, dass gewaltbetroffenen Frauen geglaubt wird und ihnen keine Schuld gegeben wird. Für sehr viele Betroffene ist es immer noch schwer, sich Hilfe zu suchen, viele schweigen aus Scham oder Angst und reden mit niemandem über die Gewalt. Gewalt ist leider immer noch ein großes Tabuthema.

Den Opferstatus einzufordern, war früher wichtig für eine öffentliche Akzeptanz. Warum ist es heute wichtig, Frauen vom Opfer-Status zu befreien?
    Das ist eine wichtige Forderung von Frauen, die Gewalt erlebt haben: Nicht als schwach und nicht als Opfer gesehen zu werden, sondern als starke, handlungsfähige Personen mit Kompetenzen und Fähigkeiten.
Es ist einerseits wichtig, die Erfahrungen geschlechtsspezifischer Gewalt anzuerkennen, Betroffenen zu glauben und ihnen nicht die Schuld an dem zu geben, was passiert ist. Andererseits sind sie eben nicht nur ‚Opfer‘, sondern Personen, die aktiv handeln und unterschiedliche Strategien haben, um sich aus gewaltvollen Verhältnissen oder Beziehungen zu lösen.

Sexuelle Gewalt hat viele Gesichter. Wie hat sich sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch die digitalen Medien verändert?
    Kinder und Jugendliche sind häufiger mit sexualisiertem Bildmaterial und Pornografie konfrontiert – ob zufällig beim Surfen oder in Chats und Messenger-Konversationen. Studien zeigen, dass sie meistens relativ souverän damit umgehen können. Je jünger die Kinder sind, umso belastender empfinden sie solche Bilder. Sogenanntes Grooming hat sich durch digitale Medien stark verändert. Grooming ist das gezielte Vorbereiten sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Kontaktaufnahme, Beziehungsaufbau und Manipulation bis hin zu realen Treffen und Missbrauch. Digitale Fake-Identitäten, Chats, Webcams u.ä. machen es den Täter_innen leichter, Kontakt aufzubauen und quasi überall, selbst in der Wohnung der Kinder Zugriff auf sie zu haben.
In jugendlichen Beziehungen spielt außerdem „Sexting“ eine Rolle. Das (gegenseitige) Versenden von selbstaufgenommenen Bildern oder Filmen mit erotischen/sexuellen Inhalten kann zu missbräuchlicher Verwendung führen. Sexting ist dann Gewalt, wenn diese Bilder ohne das Einverständnis der Person, die auf dem Bild zu sehen ist, weiterverbreitet werden. In den USA gab einige Fälle, wo Jugendliche Selbstmord begangen haben, nachdem Bilder öffentlich wurden, da sie massiv unter der Scham und den resultierenden Beleidigungen und Bedrohungen litten. Die Diskussion um „Sexting“ neigt sehr schnell zu Victim Blaming (1)– wichtig ist es, die Verantwortung der Täter_innen zu sehen und einen selbstbestimmten Umgang Jugendlicher mit digitalen Meiden zu fördern.

Fehlt es Eltern nicht selten an reflexiver Medienkompetenz, was unter anderem zu sexuellen Grenzverletzungen führen kann?
    Es ist häufig so, dass Kinder mehr Ahnung von digitalen Medien haben als ihre Eltern. Das liegt auch am Generationenunterschied. Eltern sollten ihre Kinder dabei unterstützen einen bewussten, kritischen und selbstbestimmten Umgang mit digitalen Medien zu entwickeln. Für welche Eltern das so vorbildlich möglich ist, ist aber ebenfalls eine Frage von sozialen und finanziellen Ressourcen und gesellschaftlicher Positionierung – kann ich meinen Kindern gute und sichere Technik kaufen, kann ich einen Kurs bezahlen, habe ich nach 3 Jobs am Tag die Kraft mich selber weiterzubilden, um mit meinen Kindern über digitale Medien sprechen zu können? Auch eine Totalüberwachung des digitalen Lebens der Kinder wäre nicht emanzipatorisch. Wir wünschen uns daher einen stärkeren Diskurs über die Verantwortung von Täter_innen, über gesellschaftliche Strukturen, die Gewalt ermöglichen, aber auch über Technik-Firmen, Software-Entwickler_innen und Seitenbetreiber_innen, die bewusst in Kauf nehmen, dass ihre Produkte Gewalt ermöglichen, ohne adäquate Sicherheitseinstellungen oder Meldemechanismen bereitzustellen.

Durch Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen ächtet ihr Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Wie sieht diese Arbeit aus, wie erfolgreich kann sie sein?
    Der bff hat schon viele Kampagnen durchgeführt. Mit unseren Kampagnen adressieren wir die breite Öffentlichkeit, um auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen. Wir wollen ganz unterschiedliche Zielgruppen ansprechen und überlegen genau, was es dafür braucht: z.B. richtet sich unsere Kampagne ‚Superheldin gegen Gewalt'(2)vor allem an Mädchen und junge Frauen und möchte dazu ermutigen, sich Unterstützung bei Gewalt zu holen. Mit der Kampagne ‚Vergewaltigung verurteilen - Nein heißt Nein‘ haben wir vor allem auch die Politik adressiert, um Druck auszuüben.
Für den bff ist es wichtig, dass unsere Öffentlichkeitsarbeit auch vor Ort von unseren Mitgliedseinrichtungen nutzbar ist – denn das macht die Stärke des bff aus: Lokal vor Ort und bundesweit aktiv zu sein.

Anmerkungen:

(1) Vielen Opfern von sexuellem Missbrauch wird selbst die Schuld an dem Übergriff gegeben. Dieses Phänomen nennt sich Victim Blaming
(2)  www.superheldin-gegen-gewalt.de

Kontakt

Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe
Frauen gegen Gewalt e.V.
Petersburgerstraße 94
10247 Berlin
Telefon: 030 322 99 500
Telefax: 030 322 99 501
Das Büro ist montags bis donnerstags von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr und freitags von 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr besetzt.
E-Mail: info@bv-bff.de
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