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Raus aus der Unsichtbarkeit!

An ihnen geht mensch oftmals - peinlich berührt – vorbei, ignoriert sie, schämt sich, fühlt sich belästigt, hat Angst und weiß nicht recht mit der Situation umzugehen. Obdachlose, bettelnde Menschen. 

Viele Menschen haben Angst, selbst ein solches Schicksal zu erleben. Sie fühlen sich unsicher und hilflos, tabuisieren das Thema und schauen lieber weg, als sich der Realität zu stellen, sich mit der unangenehmen Kehrseite unserer Konsum- und Wohlstandsgesellschaft oder auch dem eigenen Tun auseinanderzusetzen. Obdachlos wird mensch nicht einfach so. 

Manchmal sind es individuelle Probleme, die zum Verlust der Wohnung führen: Scheidung, Jobverlust, Überschuldung. Ausschlaggebend sind jedoch allgemeine, strukturelle Ursachen. Das Hauptproblem ist: Es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Mehr Wohnraum wäre schön - löst aber das Problem nicht. Es gibt Obdachlose, die gar keine Wohnung mehr wollen, die ihr soziales Umfeld nicht verlassen möchten, die beengte Räume und Regeln des nachbarschaftlichen Zusammenlebens nicht mehr ertragen können. Jede*r hat das Recht, so zu leben, wie mensch will - auch auf der Straße.

In Deutschland gibt es laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 52.000 Obdachlose. Mehr als ein Viertel davon ist weiblich. Das zeigt eine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht von 100.000 Frauen ohne feste Bleibe aus. Die größten Probleme: Angst vor Gewalt und Hygiene.

Wenn bettelnde Obdachlose auf dem Gehweg sitzen, geht es weniger darum, ob es richtig oder falsch ist, ihnen Geld zu geben, sondern um Solidarität, Respekt, Wertschätzung und Empathie. Ein freundlicher Blick, ein Gruß oder ein paar Worte können eine Wertschätzung ausdrücken und mindestens so wertvoll sein wie eine im Vorbeigehen achtlos abgelegte Münze. Eine Geldgabe ist ein Geschenk, eine Spende und nicht an eine Gegenleistung gebunden. Vielleicht kann ich stattdessen den bettelnden Menschen fragen, was er/sie brauchen könnte. 

Obdachlose Menschen werden diskriminiert. Die sogenannte Obdachlosendiskriminierung reicht von Abwertung, Ausgrenzung und körperliche Gewalt bis zu Mord. Sie sterben meist allein und unversorgt, auf der Straße, in einer Parkanlage oder unter einer Brücke, an Krankheiten, die nicht zum Tode führen müssten. Demgegenüber mehren sich bundesweit Angriffe auf Obdachlose: Sie reichen von Schlägen und Fußtritten bis hin zum Anzünden von Schlafsäcken. In Koblenz wurde ein Obdachloser im März d. Jahres enthauptet. Was Obdachlosigkeit für die betroffenen Menschen bedeutet, kann nur in persönlichen Gesprächen klar werden. Obdachlos und auf der Straße? Das kann jeder/m passieren.