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"Provokation ist das Werkzeug der Dummen" (1)

Zugegeben, ich mache es gerne. Mitmenschen provozieren und dabei die jeweilige Reaktion einschätzen, was viel über den Charakter aussagt. Natürlich auch über meinen eigenen. Mich interessiert dabei ganz besonders jemensch zu einem Verhalten oder zu einer Handlung zu bringen, welche sie/er ohne die Intervention nicht oder nicht so gezeigt hätte.

Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Eskalation (eher selten), im besten Fall wird gelacht, meist aber wird meine Provokation einfach ignoriert, weil meine Strategie mittlerweile durchschaubar, vorhersehbar und zu erwarten ist. Der Normbruch ist Teil eines sozialen Systems. Und in bestimmten Kulturkreisen kann die Ausführung oder Unterlassung einer bestimmten Geste als Beleidigung oder Provokation (als Herausforderung der Autorität des anderen) verstanden werden. Das Subtile daran: Anstatt den Gegenüber offensiv anzugreifen, provoziert mensch den Angriff, um sich als Opfer des anderen darzustellen. Bei mir scheint die Überraschung verpufft, weil mensch meine Strategie enttarnt hat. Das heißt, eine Provokation kommt nur zustande, wenn der/die Andere versteht und annimmt, sie/er muss verstehen, dass sie/er angegriffen wurde und die Herausforderung annehmen, indem sie/er reagiert. Im Falle der AfD stellt sich mittlerweile ein nahezu identischer Effekt ein. Die Provokateure sind enttarnt. Die AfD spaltet mit ihren Reden und ihrem Verhalten nicht nur die Bevölkerung. Sie provozieren gerne, sorgen für Eklats. Und je nach Reaktion stilisiert sich die AfD und ihre Provokateure als Opfer („Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“). Die Unsicherheit, wie mensch mit den Provokationen umzugehen ist, weicht einer sachlich-analytischen Enttarnung. Franziska Schreiber ist eine Art Kronzeugin gegen die AfD. Die Dresdnerin kehrte der Partei 2017 den Rücken und schrieb mit „Inside AfD" ein Buch über ihre Erkenntnisse. In ihrer Begründung, warum sich AfD-PolitikerInnen provozierend verhalten, verweist sie auf die Vorgaben der Parteibasis. Provokationen sind der Beleg, dass man sich von den etablierten Parteien nicht vereinnahmen lässt. Wer auf Ausgleich bedacht ist, Zugeständnisse machen und Kompromisse schließen will, gilt als Karrierist, der sich den  anderen Parteien andienen will. „Es wird nur in ein Parteiamt gewählt, wer polarisiert. Wer abwägt, macht sich verdächtig. Es gibt da einen immensen Gruppendruck auf Mitarbeiter und Funktionsträger“. Im Umgang fordert sie, sich einfach nicht provozieren lassen. Denn wer von einer Opferrolle „lebt“, wird das Wasser abgegraben, wenn mensch sich nicht provozieren lässt. Hat mensch die Provokation erst einmal erkannt und reagiert darauf weder mit Wut oder ein Streitgespräch, sondern mit Ignoranz und mit eigenen Positionen, wird die Selbstdarstellung des Provokateurs abgewertet und führt zur Resignation. Raus aus der Defensive und vor allem, den/die ProvokateurIn nicht moralisch aufwerten. Dann hat sich das mit der AfD vielleicht schnell erledigt, weil klar wird, dass die Partei keine Inhalte hat.
Auch neue soziale Bewegungen provozieren, um vom Staat und der Gesellschaft  die von ihnen gewünschten Veränderungen zu erreichen. Da ihre Machtmittel begrenzt sind und ihre Gegner nicht direkt angreifbar sind, können sie sich gezwungen sehen, über das indirekte Einwirken auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen. Die identitäre Bewegung setzt ganz auf Selbstinszenierung und provozierende Aktionen, die nur dann erfolgreich sind, wenn Medien diese zeigen und darüber berichten. Dadurch werden die Aktionen aufgewertet und das IB-Selbstbild wird bestätigt. Ihre Aktion „Defend Europe“, bei der sie mit einem Boot auf dem Mittelmeer Flüchtlinge „abfangen“ wollten, macht das überzogenen Selbstbild deutlich. Die Aktion verlief nicht wie gewünscht und hatte eigentlich keine Wirkung. Das Verbot von Seenotrettung in lybischen Gewässern verkaufte die IB dennoch als ihren Erfolg. Dies hatte mit der IB jedoch nichts zu tun. Mensch darf der IB also nicht den Gefallen tun und ihre Rolle derart überhöhen, dass sie denken, ihre Aktionen hätten einen direkten politischen Einfluss, der sich direkt in konkreten Maßnahmen/Gesetzen widerspiegelt. In der Berichterstattung oder der Diskussion in den sozialen Medien sollte darauf geachtet werden, Bilder/Videos der IB nicht zu reproduzieren, denn hierdurch bekommen die Aktionen erst ihre Wirkkraft und sie als das bezeichnen, was sie sind: extrem rechts.
Was mich betrifft: Ich habe das provozieren aufgegeben, weil sich kaum noch eineR von mir provozieren lässt. Dieses Beispiel sollte Schule machen.

Fußnote

1 Zitat von © Marina Zuber