· 

Punk und Islam in Indonesien

A small part of the massive Indonesian punk scene (Photo: Karli Kk Munn)
A small part of the massive Indonesian punk scene (Photo: Karli Kk Munn)

Punkrock ist eine Religion und Religion eine Popkultur
Indonesien gehört heute zu den aktivsten extremen Musikszenen der Welt. Hier haben sich seit dem Ende des Soeharto-Regimes (Mai 1998) die traditionell antikonformistischen Subkulturen der Metal- und Punkmusik in neue Richtungen entwickelt, die zu einer konservativen Wende in der muslimischen Politik des Landes geführt hat. Nachdem sie sich westliche Stile und Symbole angeeignet hatten, haben südostasiatische Muslime diese zum Sprachrohr konservativ-islamischer Propaganda gemacht.


In den 1990er Jahren hielt Punkmusik Einzug in die indonesische Gesellschaft. Zeitgleich mit einem politischen Kampf gegen Präsident Suhartos Regime der Neuen Ordnung, wurde Punk schnell zum Sammelbecken für die Äußerung einer kollektiven Unzufriedenheit mit dieser repressiven Regierung. Punk steht auch heute für eine rebellische Haltung, einen nonkonformistischen Stil und einen unabhängigen Geist. In Java, auf der Zentralinsel Indonesiens, hat  Punk vor kurzem eine neue Funktion übernommen: dem Bekehrungseifer.
Nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Suharto entstand Ende der 1990er Jahren eine subkulturelle Comunity mit Punkbands. Der indonesische Punk war zunächst geprägt von anarchistischen und linken Themen, die mit der globalen Punk-Subkultur verbunden waren, wandte sich aber rasch dem islamischen Konservatismus zu. Diese neue Entwicklung rief wiederum eine neue Generation von Punk-Subkulturen hervor, der als Punk Muslim oder ‚islamischer Punk‘ definiert wird.
Die Entstehung einer ‚islamischen Punk‘-Bewegung in der postautoritären Ära Indonesiens ist das Ergebnis einer Kombination aus staatlicher Unterdrückung, Kommerzialisierung und zunehmendem religiösen Konservatismus, erklärt Hikmawan Saefullah1, Dozent für Internationale Beziehungen und ehemaliger Punkrockmusiker in der Underground-Musikszene von Bandung.
Religion spielt in der indonesischen Kultur eine zentrale Rolle. Sie wirkt bis in die Punkszene hinein. Der Islam in Indonesien ist moderat, doch oft genug geraten die beiden Welten Religion und Punk aneinander.
Elemente der Punkmode und des Lebensstils stellen etwas dar, die der indonesischen Kultur fremd ist, da Punk ein westlicher Import ist, sie symbolisieren auch eine Praxis, die die langjährigen Werte von Ordnung und Konformität untergräbt, die zur Regulierung des sozialen Lebens umgesetzt werden.
In diesem Sinne ist Punk gesellschaftlich umstritten. Einerseits ist der Punk-Lebensstil mit dem Slogan „Sex, Drogen und Rock'n'Roll“ verknüpft, der allgemein als mit dem Islam unvereinbar angesehen wird. Eine gängige Punk-Praktik, die zum Randbild der indonesischen Szene beiträgt, ist der Alkoholkonsum. Trotz eines landesweiten Verbots des Verkaufs von Alkohol im Jahr 2015 haben Punks eine Reihe alternativer Methoden entwickelt, um sicherzustellen, dass bei Shows und anderen szenenbezogenen Veranstaltungen immer ein großzügiges Angebot vorhanden ist. Die beliebteste Methode ist die Herstellung von gepanschten Alkohol wie Arak, Mili und Intisari durch einen hausgemachten Fermentationsprozess von lokalen tropischen Früchten.
Auf der anderen Seite beinhaltet die Punk-Ästhetik Körpermodifikationen wie Tätowierungen und Piercings, die in ganz Indonesien eng mit der Kriminalität verbunden sind. Durch die Darstellung solcher Praktiken distanzieren sich indonesische Punks weiter von dem sozialen Status und etablieren sich als marginale „Andere“. Das hat Auswirkungen.
 In der autonomen Provinz gilt die Scharia, das strenge islamische Recht. Im Dezember 2011 wurden in der Provinz Aceh auf einem Konzert 65 Punks verhaftet und in ein Umerziehungslager gesteckt. Die Provinz ist im säkularen, aber mehrheitlich muslimischen Indonesien die einzige, die islamische Gesetze eingeführt hat. Hier steht auf Ehebruch die Steinigung, Homosexuelle werden ins Gefängnis geworfen oder öffentlich mit Stöcken ausgepeitscht.
Abgesehen von diesen drastischen Sanktionen/Repressionen setzt eine neue Genration von muslimischen Punks auf Rekrutierung und Bildungspolitik. So setzt sich der sogenannte Punk Muslim bspw. dafür ein, Straßenkindern in den Slumgebieten von Jakarta zu stärken, indem Muslim Punk-Supporter*innen ihnen Religionsunterricht und sozialen Schutz bieten und sie an sozialem Aktivismus beteiligen.

Punkbands aus Indonesien

Eine bekannte muslimische Punkband ist DESA LUKANEGARA aus Tasikmalaya im Südosten von Westjava.



MARJINAL ist der Name einer weiteren Punkrock-Band aus Jakarta. Diese Musikgruppe hieß zuvor Anti-ABRI. Durch die Texte ihrer Songs kann Marjinal als Anarcho-Punk-Musikgruppe eingestuft werden, da die Texte viele politische Themen und den Geist des sozialen Wandels versprühen. Einige ihrer Lieder wurden von vielen Aktivist*innen auf Demos gesungen.



Eine weitere – und mit die erste indonesische Punkband – sind SUPERMAN IS DEAD. SID sind Punkrock-Pioniere von Bali und wurden 1995 in Kuta Rock City gegründet. Mit ihr beginnt die Geschichte des indonesischen Punkrocks!
Bobby Kool, Eka Rock und Jrx haben ihren Bandnamen von dem Stone Temple Pilots-Song „Superman Silvergun“ entliehen. Der Name hat sich dann zu SUPERMAN IS DEAD entwickelt, weil das Trio die Idee mochte, dass es keine perfekte Person mit Superkräften gibt. Angezogen von ihrer gemeinsamen Liebe zu Green Day und NOFX, dehnten sich ihre klassischen Einflüsse bald auf das Punk'n'Roll-Genre à la Supersuckers, Living End und Social Distortion aus. SID produzierten ihre ersten drei Alben mit kleinen Indie-Labels (1997 „Case 15“), 1999 „Superman is Dead“, 2002 „Bad Bad Bad“), bevor sie im März 2003 schließlich bei Sony-BMG Indonesia unterschrieben und nach ausgedehnten Verhandlungen durchsetzten, den Großteil ihrer Tracks auf Englisch zu singen und die vollen künstlerischen Rechte an ihrem ‚Image‘ zu behalten! Mit dieser Entscheidung wurden sie im Alleingang die erste Band aus Bali, die eingeladen wurde, bei einem großen Plattenlabel in Indonesien zu unterschreiben, aber auch die erste Band in ihrem Land, die die meisten Songs auf Englisch aufnahm.



ENDANK SOEKAMTI ist eine dreiköpfige Pop-Punk-Band aus Yogyakarta, die im Januar 2001 gegründet wurde. Die Band besteht heute aus Ari (Schlagzeug), Dory (Gitarre) und Tony (Bass und Gesang). Ihr allererster Auftritt fand im Java Café in Yogyakarta statt. Der Name ‚Soekamti‘ wurde vom Namen eines Lehrers von Sänger Erix abgeleitet, als er an der Yogyakarta Music High School (SMM) studierte. Die Bedeutung des Namens Soekamti wird von der Band wie folgt beschrieben: „Soe bedeutet ‚schön‘, kam bedeutet ‚kommen‘. Die Bedeutung von Soekamti ist also ‚Präsenz, die Güte oder Schönheit bringt‘.“ Die Band veröffentlichte seit 2003 8 Alben, wobei das letzte Album Salam Indonesia (2017) auf einem Pinisi-Schiff (Pinisis sind Handels- und Fischereiboote) namens KLM Kurabesi Explorer aufgenommen wurde, während sie die Gewässer von Papua von Raja Ampat bis Teluk Cenderawasih navigierten. Damit ist es offenbar das teuerste Album, das jemals produziert wurde.



BUNGA HITAM (dt. schwarze Blume) ist eine Punkband, die im Jahr 2000 gegründet wurde. Sie ist musikalisch vor allem von europäischen und amerikanischen Punkbands beeinflusst. Der ideelle und politische Einfluss der Gruppe wurde maßgeblich von der ursprünglichen Besetzung der Band, widerständigen Personen, die sich schon vor dem Ende des indonesischen Suharto-Regimes (1998) formierten, geprägt. Heute ist Bunga Hitam in Indonesien für ihre Songtexte, die sich gegen Unterdrückung und Autoritäten richten, – vor allem für die Lieder „Setara“ (dt. „Gleichheit“), „Negaraku Penjaraku“ (dt. „Mein Staat, mein Gefängnis“), sowie für das Lied „Lintas Agama“, das für die Übereinkunft der verschiedenen Religionen Indonesiens eintritt – bekannt. Bunga Hitam spielte 2010 und 2014 diverse Konzerte auf der indonesischen Hauptinsel Java, zusammen mit der deutschen Punkband Narcolaptic aus Hamburg.



 

 

 

 

MILISI KECOA ist eine Hardcore Punk Band, die 2009 in Bandung gegründet wurde. Auf Englisch kann der Name der Band als „Cockroach (dt. Kakerlake) Militia“ übersetzt werden. Der Band zufolge erklärt sich der Name damit, dass eine Kakerlake ein interessantes Insekt ist, das viel Ähnlichkeit mit einer globalen Punk-Community hat. „Wie eine globale Punk-Community ist die Kakerlake überall auf dieser Welt zu finden. Sie sind überall und niemals ausgestorben. Kakerlaken werden im Gegensatz zu Hunden oder Katzen niemals domestiziert. Sie haben keinen menschlichen Meister und spielen niemals Streiche mit Menschen. Sie werden auch zu einer echten psychologischen Bedrohung für viele Menschen, wie eine globale Punk-Community. Können Sie ruhig bleiben, wenn ein Haufen Kakerlaken in einer fantastischen Anzahl zu Ihnen nach Hause kommt? Treten Sie mit den Füßen auf einen von uns und der Rest der Miliz wird Sie ausflippen. ‚Miliz‘ und ‚Militär‘ ist nicht dasselbe Wort. Miliz bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen (oder Kakerlaken!), die sich spontan organisiert und bewaffnet haben, mit dem Hauptzweck, ihr Leben zu verteidigen (Familie, Land, Quelle usw.), während Militär sich auf eine Gruppe gut ausgebildeter Menschen bezieht, die organisiert sind, um die Interessen des Staates zu verteidigen. Das Militär stützt seine Aktion auf das Kommando des Führers, die Miliz jedoch auf Solidarität. Das ist also die Geschichte hinter unserem Namen.“


Punk Islam

Der Begriff ‚islamischer Punk‘ oder ‚Punk-Islam‘ wird insbesondere aus der linken politischen Strömung abgelehnt, da Punk nicht mit einer religiösen Subkultur vereinbar ist, weil sie linke Ideen, LGBT-Communties und Minderheiten wie bspw. schiitische und Ahmadiyya-Gemeinschaften ausgrenzt/unterdrückt.
Der Begriff ‚islamischer Punk‘ wurde zum ersten Mal in dem 2003 erschienenen Debütroman ‚The Taqwacores‘ des amerikanischen Schriftstellers Michael Muhammad Knight verwendet – ein fiktiver Bericht über das Leben in einer islamischen Punk-WG im vorstädtischen Amerika.
Taqwacore ist ein Kunstwort, das sich aus „Taqwa“, dem arabischen Wort für Frömmigkeit, und „Core“ wie in Hardcore zusammensetzt.
Der Roman beschreibt das Leben in einer fiktiven muslimischen Punk-WG in Buffalo, New York, in der viel gebetet und noch mehr gefeiert wird. Die Bewohner leben ihre eigene Lesart des Islam: Sie kiffen, schmökern im Koran oder tragen beim Sex eine Burka, es treten auch schwule Muslime und ein weiblicher Imam auf.
Einen Vorläufer hatte diese Bewegung in den 90er Jahren in Gestalt der britischen Band Fun-Da-Mental mit ihrem pakistanischstämmigen Frontmann Aki Nawaz. Anders als es der Name suggeriert, handelt es sich bei Fun-Da-Metal nicht um islamische Fundamentalisten. Vielmehr setzte die Band schon früh mit lärmendem Elektro-Fusion-Sound auf plakative antirassistische Botschaften, Schockeffekte und das Spiel mit Stereotypen. Vor allem ihr bislang letztes Album, „All is war“, das 2006 erschien, sorgte in Großbritannien für Schlagzeilen. Weil Fun-Da-Mental darauf die Unmoral des Westens im „Krieg gegen den Terror“ anprangerte und Bin Laden mit Che Guevara verglich, bezeichneten britische Boulevardblätter sie als „musikalische Selbstmordattentäter“.
    Mensch kann „Taqwacore“ als literarische Utopie, als Dokument einer spirituellen Sinnsuche lesen – und als Kritik am religiösen Dogmatismus.
Der Erfolg des Buches war der Startschuss für die Entstehung einer echten Taqwacorebewegung mit Bands und Supporter*innen, gefolgt von einer Low-Budget-Tournee durch Amerika, einem Dokumentarfilm mit dem Titel ‚Taqwacore - The Birth of Punk Islam‘ im Jahr 2009 und einem Film mit dem Titel ‚The Taqwacores‘ im Jahr 2010.
Kourosh Poursalehi, ein damals 16-jähriger Sufi aus der texanischen Metropole San Antonio, las kurz nach Erscheinen Knights Roman und hielt die beschriebene Bewegung für echt. Um Anschluss an die Szene zu finden, vertonte er einige Verse, die der Schriftsteller dem Buch vorangestellt hatte – „Mohammed war ein Punkrocker“ – und schuf damit ironischerweise den ersten realen Taqwacore-Song. Poursalehi gründete schließlich selbst eine Band mit dem ironischen Namen Vote Hezbollah (Wählt Hisbollah).
Das erfolgreiche Buch übte einen enormen Einfluss auf islamische Musiker in den USA aus, die zum Teil schon in Bands waren, zum Teil dann erst Bands gründeten.

THE KOMINAS sind eine weitere Taqwacore-Band, die 2005 von zwei pakistanischen Amerikanern aus Worcester, Massachusetts, gegründet wurde und Teil des Dokumentarfilms waren2. Ihr tanzorientierter Sound verbindet charakteristisch Punk-Stile von 1977 mit Einflüssen von Psychedelic Rock aus der ganzen Welt (wie der Türkei und dem Iran), Punjabi-Volksmusik, Surf Rock, Reggae, Disco und Dub. Ihre Songs sind oft selbstreferenziell und situativ und fordern die Hörer*innen oft heraus, ihre Annahmen darüber, was es bedeutet, Amerikaner, Muslime oder Punk zu sein, neu zu bewerten. The Kominas wurden auch in Südasien durch Songs bekannt, die sie in Punjabi, Urdu und Hindi veröffentlichten. Einer ihrer erfolgreichsten Hits ist der Song ‚Tunnnnnn‘, eine Neuinterpretation eines klassischen Reggae-Songs: ‚Armagideon Time‘ von Willie Williams. Die Texte von ‚Tunnnnnn‘ sind ein Mashup aus Englisch, Urdu und Punjabi. Der Text proklamiert (auf Urdu): „Wir werden nur trinken, was sie im Irak trinken! Wir werden nur trinken, was sie in Karbala trinken!“
Allerdings ist die Band nicht bei allen beliebt und wird von allen Seiten des politischen, musikalischen und religiösen Spektrums angegriffen. In einem Interview3 mit ‚Vanyaland‘, einer Bostoner Musikzeitschrift, bringt Usmani dies zur Sprache, wenn er erwähnt, wie sie von anti-religiösen pakistanischen Punks dafür kritisiert werden, sich als Muslime zu sehen. Und indonesische Punks warfen ihnen vor, angeblich keine echten muslimischen Punks zu sein.
In einem alten Facebook-Eintrag haben sie öffentlich Stellung zu den Anfeindungen bezogen:
Wenn sich Muslime im Westen oder nach westlichen Maßstäben ganz normal verhalten, gerät dies immer wieder in die Schlagzeilen. Nach dem Motto: «Oh wow, schau‘ Dir diese Muslime an! Sie fahren Skateboard und sind total normal.»; «Hey, diese Muslime da hören Musik und machen sogar selbst welche!»; «Wow, dieser Muslim ist ja ein ganz normaler Scheißkerl (genau wie ich).» Man kann das nennen, wie man will (wir halten es für schäbig, denk' darüber, was Du willst), aber wir wollten dazu eigentlich nur sagen: Ihr könnt uns mal! Wir sind mehr als ein Abziehbild. Schiebt Euch doch Eure Dualismen dorthin, wo ihr wollt!“4
Doch diese ‚Taqwacores‘ sind in Amerika aufgewachsen, haben ihre Wurzeln im Nahen Osten und Südasien und nichts mit den zornigen jungen Männer* und Frauen* gemein, die in Indonesien leben, in einer Gesellschaft, die sich den islamischen Konservatismus zu eigen machte, nachdem der indonesische Ulema-Rat 2005 Erlasse gegen Säkularismus, Liberalismus und Pluralismus erlassen hatte.
Punk Muslime beteiligen sich hier nicht nur an bildungsrelevanten Aktivismus für Straßenkinder, sondern bekämpfen auch die negativen Stereotypen der Punks durch religiöse Aktivitäten, um diese dabei zu helfen, sich wieder in die Mainstream-Gesellschaft zu integrieren. Punk Muslime haben sich auf Surabaya, Bandung und Bogor, Depok und Bekasi in West-Java ausgeweitet. Sie spielen nicht nur Musik, sondern lesen den Koran oder predigen auf der Straße. Weitere islamische Punk-Bands sind The Fourty's Accident (Surabaya), Ketapel Jihad (Depok), Anti-Mammon (Bogor) und Melody Maker (Jakarta). Andere in Jakarta ansässige Bands sind Tengkorak, Kodusa und Purgatory, die den Islam als ideologische Grundlage übernehmen und diese in die subkulturelle Szenen transportieren. Der niederländische Anthropologe Martin van Bruinessen bezeichnet die zunehmende Religiosität der Punks in Indonesien als „konservative Wende“5. Natürlich bringen sie mit ihren politischen Botschaften – und vielleicht sogar allein aufgrund ihrer bloßen Existenz – konservative Kräfte in ihrer Heimat gegen sie auf, fördern aber gleichzeitig auch eine antizionistische Haltung.

Punk und Antizionismus

Ein Aspekt dieses konservativen Punk-Phänomens, der Aufmerksamkeit verdient, ist die dominierende pro-palästinensische antizionistische Haltung unter diesen Gruppen. Es ist vielleicht nicht überraschend, dass Einwohner*innen eines Landes mit muslimischer Mehrheit auf der Seite der Palästinenser stehen und sie unterstützen, aber es ist dennoch interessant zu beobachten, wie konservative Punks sich in diesem heiß diskutierten Konflikt engagieren.

Die Subchaos-Zines6 von Herausgeber Mas Aik sind hierfür Beispiel. Subchaos Zine #11 enthält ein Manifest mit dem Titel ‚Kenapa kami peduli Palestina?‘ (Warum sollten wir uns für Palästina interessieren?), geschrieben von der muslimischen Hardcore-Punkband The Fourty's Accident. Es überrascht vielleicht nicht, dass Mas Aik auch der Sänger dieser Band ist. Unter den zehn Gründen, die sie in ihrem Manifest angeben, erwähnen sie die Verpflichtung, muslimische Brüder und Schwestern von der Tyrannei zu befreien, und behaupten weiter, dass Israel eine Quelle von Aggression und Schaden ist7. Das Zine enthält auch die Texte für jeden Song auf dem neuen Album von The Fourty's Accident.

Drei Beispiele sind hier aufgeführt:

«Started in 1940s/Israel started looking for problem; Invades the land of Muslims/Killing and robbing without mercy; We really hate Israel/We want to kick that fascist!»
➭Song: ‚Israel is A Fascist Nation That We Must Hate Together and Forever‘

«Equality, empiricism, nihilism, anti-authority/Pluralism, liberalism, feminism, multiculturalism...Beware! Of westernization behind of your life!
Beware! Of postmodern culture behind of your life!»
☞Song: ‚Beware of Postmodernism Behind of Your Life‘

«Sure you know what we’re talking about/A religion that some of you believe in/I say that you’re in the good choice/’Cause all of your problems can be solved by this/Islam is the right choice!»
☞Song: ‚It’s Not Difficult to Choose Islam as Solution for All of Your Problems‘


Das Subchaos-Zine Nr. 14 enthält einen Meinungsbeitrag zur Infiltration des Judentums in der Punkszene sowie einen Bericht mit dem Titel „Jüdisch verstehen“, in dem nicht nur jüdische Menschen als Faschisten und Rassisten bezeichnet werden, sondern auch behauptet wird, die jüdische Doktrin sei die „Wurzel von“ Rassismus “8. Diese Zine-Serie scheint einen erheblichen Kontrast zu der überwiegenden Mehrheit der linken und progressiven Zines zu bilden. Nichtsdestotrotz ruft es eine fundamentale Punk-Haltung hervor – eine, die von Natur aus nicht entschuldigend und provokativ ist – und verkörpert sie in Form und Inhalt. Es sollte jedoch beachtet werden, dass Subchaos sich auf jedem Zine-Cover als „aufgeschlossenes Medium durch Offenbarung“ bezeichnet.

87,2 Prozent der indonesischen Bevölkerung sind Muslime. Die Bandbreite reicht von strenggläubig bis moderat. Familie und Traditionen werden in vielen Regionen Indonesiens großgeschrieben. In einem Land, in dem es keine oder nur wenig staatliche Unterstützung gibt, ist man bei Krankheit und Alter auf den Nächsten angewiesen.
Die Punks reagieren mit Solidaritätsbekundungen mit der Bevölkerung. Man will nicht nur anecken oder provozieren, sondern bemüht sich um einen gemeinsamen Konsens.
Ein Punkkonzert zu unterbrechen, um die Gebetsstunde nicht zu stören, geschieht aus Respekt und Rücksichtnahme. Viele der Bandmitglieder und Fans sind selbst praktizierende Muslime und sehen keinen Widerspruch. Im Gegenteil – zu seinem Glauben zu stehen ist für viele AnhängerInnen der alternativen Musikszene Ausdruck ihrer Unabhängigkeit vom „westlichen antireligiösen Diktat“.

Frauen* werden diskriminiert

Frauen* leiden weiterhin unter Formen von Diskriminierung, sexueller Belästigung und dem fremdefiniertem Urteilsvermögen männlicher Kollegen innerhalb der Punkszene und in verschiedenen Bereichen der Underground-Musikgemeinschaft. Das soll nicht heißen, dass Frauen* in der Punkszene von Java fehlen: Im Gegenteil, es gibt verschiedene Beispiele für Punkmusikerinnen, Tätowiererinnen, Zine-Macherinnen und Mosh-Pit-Tänzerinnen, ganz zu schweigen von einer Handvoll feministischer Anarcho-Punk-Kollektive.

Ein Beispiel dafür ist die Band Voice of Baceprot, übersetzt „Laute Stimme“, dreier Teenagerinnen aus Westjava. Harte Riffs, dröhnende Gitarren und ein gnadenloses Schlagzeugspiel stehen im starken Kontrast zu den drei Musliminnen. Im Song ‚The Enemy on Earth Is You‘ scheuen sie nicht vor Gesellschaftskritik zurück, stolz tragen sie ihren Hijab auf der Bühne.



Trotzdem werden maskuline Normen in Punk-Räumen reproduziert und verstärkt, wodurch die Szene für Frauen* immer wieder problematisch – und manchmal unsicher – ist. Dieses Problem geht weit über Indonesien hinaus, da viele Frauen* im Punk weltweit gezwungen sind, um einen Platz in der Szene zu kämpfen. Der soziale Druck in Indonesien, kulturelle und religiöse Standards aufrechtzuerhalten, ist für junge Frauen* wohl restriktiver und trägt möglicherweise zur Unzugänglichkeit des Punk bei. Von ihnen wird erwartet, dass sie islamische Tugenden wie Bescheidenheit verkörpern: Die Teilnahme an der Punkszene würde einer solchen Tugend widersprechen. Darüber hinaus kann der Umgang mit Alkohol den Ruf einer jungen Frau beeinträchtigen, ein Trend, der in Punk- und Metalszenen auf Bali zu beobachten ist. Trotz ihrer geringen Anzahl sollte den weiblichen Akteuren, die in subkulturellen Räumen zirkulieren, größere Aufmerksamkeit gewidmet werden, um die Berichte über Punk-Erfahrungen über Geschlechtergrenzen hinweg zu diversifizieren.

Fazit:

Islam/Muslim Punk kann ein Ausgangspunkt sein, um über die Krise der indonesischen Identität aufgrund jahrhundertelanger politischer Instabilität und autoritärer Herrschaft nachzudenken. Für einige javanische Jugendliche könnte die Teilnahme an der muslimischen Punk-Bewegung als ein Weg gesehen werden, die tiefe Sehnsucht nach einer kollektiven nationalen Kultur mit dem Wunsch nach individueller Entscheidungsfreiheit in Einklang zu bringen. Trotz seiner rebellischen Haltung hat Punk von Großbritannien bis heute immer ein gewisses Maß an Konformität unter den Supporter*innen impliziert. Punk bietet die Möglichkeit der individuellen Freiheit, aber die Entscheidungsfreiheit wird folglich gegen die sozialen Umstände abgewogen und begrenzt. Bezogen auf Indonesien muss berücksichtigt werden, wie die Geschichte des Landes die Art und Weise, wie Jugendliche Identität schaffen, unweigerlich verkompliziert hat und wie sie dennoch eine Balance zwischen dem Kollektiv und sich selbst erreicht hat.
Für manche ist Punkrock eine Religion und Religion eine Popkultur. Für andere sind diese Behauptungen einfach blasphemisch.
Islamische Punks offenbaren etwas Größeres als die Rebellion von Teenagern. Unabhängig davon, ob sie an der muslimischen Punk-Bewegung beteiligt sind oder andere Wege gefunden haben. Um Punk und Islam in ihrem täglichen Leben zu artikulieren, schaffen sie alternative Räume und beeinflussen/benutzen ein neues Publikum für religiöse Darbietungen. Da die rechtsgerichtete und antiliberale Politik bspw. in Java immer mehr mit Popkultur und Religion verflochten ist, dürfen wir das Potenzial dieses neuen religiösen Lebensstils und der Macht des Punk-Proselytismus nicht unterschätzen.


Fußnoten:

1. Hikmawan Saefullah, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universitas Padjadjaran und ehemabesuchenliger Punkrockmusiker in der Underground-Musikszene von Bandung, promovierte am Asia Research Center der Murdoch University über den Aufstieg von Punk-Muslimen in Indonesien.

2. Ein Teil des Films handelt davon, wie "islamische" Punkbands gemeinsam mit Knight in einem alten Schulbus auf Tournee durch die USA fahren, der andere Teil beschreibt eine Reise Knights nach Pakistan, wo er verschiedene Sufi-Schreine sowie seine alte Madrassa besucht und die "Kominas" trifft, die sich damals gerade für zwei Jahre im Land aufhielten.

3. http://www.vanyaland.com/2014/10/28/interview-kominas-muslim-punk-band-taqwacore-bridging-gap-consciousness-cultures/2/

4. "Kominas"-Facebook-Seite vom 13. Juni 2015

5. https://muse.jhu.edu/book/23185

6. https://subchaoszine.wordpress.com/

7. Subchaos 2012: 15–17

8. Subchaos 2016: 2–4