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Sexarbeit im Lovemobil

Wendy im Lovemobil
Wendy im Lovemobil

 Prostitution – Ein Beruf im Blickpunkt der moralischen Instanzen

Trotz allgemeiner Liberalisierung, jahrelangen Geschlechterkampfes und sexueller Revolution im Zusammenhang mit dem erstarkten Feminismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Sex und Sexualität ein Tabubereich geblieben. Daran hat auch das „Prostitutionsgesetz“1 wenig geändert. Der Sex und die Sexualität gehören nach Ansicht der Mehrheit der Gesellschaft in den Privatbereich jeder Person, der unangetastet bleibt, weswegen auch der Handel und der Einkommenserwerb mit Sex als Verstoß gegen gewisse Normen angesehen wird.

Dennoch wird die Prostitution als fest verankerte gesellschaftliche Institution bezeichnet und gilt als ältestes Gewerbe der Welt. Direkt von diesem Urteil betroffen sind alle, die aktiv mit der Prostitution zu tun haben, also hauptsächlich die Prostituierten und die Zuhälter. Die gesellschaftliche Ausgrenzung führt die Prostitution in eine Art Subkultur, ausgelöst durch die herrschende Kultur der Gesellschaft.

„Die Prostitution gehört zur Gesellschaft, wie die Kloake zum herrlichsten Palast.“ (Thomas von Aquin)

Jedes Individuum einer Gesellschaft wird früher oder später, gemäß dem Fall, es isoliert sich nicht völlig gegenüber jeglichem Kontakt ab, mit anderen Individuen seiner Gesellschaft konfrontiert. Im Zuge einer Kontaktaufnahme kommt in allen Bereichen bei einer ungezwungenen Kommunikation auch die Frage nach der persönlichen Vorstellung gegenüber dem Kommunikationspartner. Will mensch weiterhin etwas außer dem Namen von der Person erfahren mit der mensch interagiert, fällt zumeist als nächste Frage, die nach der Tätigkeit, die die Person beruflich ausübt. Wobei dabei immer ein gewisses Bild mitschwingt, das sich innerhalb von Sekunden in dem Kopf unseres Gegenübers aufbaut, was er sich aus seiner persönlichen Erfahrung und aus verankerten Normen und Werten, erlangt durch seine Sozialisation, zusammensetzt (Fremddefinition). Hieraus resultiert das Klischee, das einem jeden Beruf von einer Gesellschaft zugeordnet wird, entsprechend der Konformität oder der Abweichung von den in der jeweiligen Gesellschaft manifestierten Normen und Werten. Dieses Klischee kann zum einen überwiegend positive Konnotationen enthalten, zum anderen aber auch überwiegend negative Konnotationen oder beides im ungefähr gleichen Maße. Dies ist bei der Beurteilung und Sympathielenkung gegenüber der Person mitunter entscheidend. Eine andere Wirkung hat man zu erwarten, wenn man sich mit dem Namen vorstellt und entweder die Worte anfügt, ‚ich bin Bankkauffrau‘ oder wenn mensch hinzufügt, ‚ich bin Prostituierte‘. Die Reaktion auf letztere Worte beschreibt die Prostitutionsforschung2 mit fast einhelliger Meinung als negativ im Sinne von einer daraus resultierenden abwertenden Ansicht des Gegenübers zur Prostitution.
Anfang August 2012 parkten 4 Sexarbeiterinnen ihre „Lovemobile“ an einem öffentlichen Parkplatz an der B75, nahe Wildeshausen. Sexuelle mobile Dienste sind im Landkreis nichts Neues. Aber auch gegen diese Art der Prostitution regt sich öffentlicher Widerstand ein.
Auch hier liegt es auf der Hand, dass der öffentliche Raum nicht mit „unmoralischen Angeboten“ gestört werden möge. Gemeinden und Kommunen wehren sich gegen ein Dienstleistungsgewerbe, das heftige Kontroverse auslöst. Den Stammkunden mag das egal sein. Und die selbständigen Unternehmerinnen stellen jeden Morgen aufs Neue ihre Holzherzen an die Straße. UNDERDOG machte 2012 einen Ortstermin und sprach mit einer der Sexarbeiterinnen.


Im Gespräch mit ‚Wendy‘

Hure, Nutte, Prostituierte. Es gibt viele Fremddefinitionen? Wie definierst du deinen Beruf?
Wendy: Prostituierte. Ich mag das Wort ‚Nutte‘ nicht. Das klingt asozial. Hure ist altmodisch. Prostituierte hört sich seriöser an.

Wie kamst du auf die Idee, deinen Beruf auszuüben. Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis?
Wendy: Für mich war dieser Beruf interessant. Ich habe Leute kennengelernt. Ein Mädchen, die hatte auch einen Freund, die sind auf meine Arbeit gekommen. Ich war zu dieser Zeit im Catering tätig. Die haben mich gefragt, ob ich nicht mal schnelles Geld verdienen möchte. Ich lebte zu diesem Zeitpunkt noch bei meinen Eltern. Ich habe mich dann dafür entschieden. Ich habe also in der Woche im Catering gearbeitet und dann am Freitag, das Wochenende über – manchmal auch am Sonntag – als Prostituierte gearbeitet. Ich habe also einen "normalen" Lohn gehabt und noch was extra dazuverdient.

Wie alt warst du damals?
Wendy: 18.

Arbeit und das Private kannst du gut trennen?
Wendy: Ja, das kann ich gut trennen. Wenn man die Trennung nicht ziehen kann, sollte man diese Arbeit sein lassen. Bei mir ist das genauso wie bei dir. Du nimmst ja auch nicht die Arbeit mit nach Hause, sondern willst abschalten und ein Privatleben führen. Es gibt Kunden, die sagen: „Kann ich nicht mal zu dir nach Hause?“ Nein, gibt es nicht. Hier ist die Arbeit und zu Hause ist mein privater Bereich.

Welche Art der Prostitution war das?
Wendy: Schaufenster-Prostitution. Das war in Holland, in Arnheim.

Du hast da also im Schaufenster posiert?
Wendy: Genau. So wie in Amsterdam3

Warum hast du dir das „Liebesmobil“ als Arbeitsplatz ausgesucht?
Wendy: Schnelles Geld. Gegenüber Schaufenster-Prostitution oder im Club...da musst du Hälfte-Hälfte machen...(schüttelt den Kopf), Nee.

Und heute bist du selbständig?
Wendy: Genau. Ich bin selbständige Unternehmerin. Habe meinen Beruf als Gewerbe angemeldet, zahle Steuern. Die können mir alle nicht ans Bein pinkeln. Ich habe keinen Mann, keinen Freund, keinen Zuhälter...aber eine tolle Freundin, die zu Hause wartet. Hier habe ich Männer, zu Hause habe ich eine Frau.

Wie haben Eltern, Freundinnen darauf reagiert?
Wendy: Ich komme aus einem netten, reichen Elternhaus. Meine Eltern haben von Anfang an gewusst, was ich mache. Meine Mutter hat einen eigenen Laden, mein Papa hat einen eigenen Laden. Meine Eltern haben sich getrennt, meine Mutter hat neu geheiratet. Die sind alle selbständig, sind vermögend. Aber ich wollte nicht von ihnen und ihrem Geld abhängig sein. Die wissen, was ich mache und sagen: „Respekt. Wenn du es machst, mache es richtig.“ Wenn meine Mutter mitbekommt, dass ich für jemanden arbeite, dann will sie mich wegholen. Meine Eltern waren aber auch ein wenig enttäuscht. Ich könne viel mehr aus meinem Leben machen. Ich sei intelligent. Ich bin jetzt erst 25. Ich kann noch so viel in meinem Leben erreichen. Ich weiß, dass ich das alles auch anders erreichen kann, mit einem anderen Job. Aber das möchte ich jetzt noch nicht.

Respekt ist in deinem Beruf sehr wichtig. Gibt es Ausgleiche, die du dir suchst?
Wendy: Ich mache Fitness. Als ich mit der Schaufenster-Prostitution anfing, hatte ich ja 2 Jobs. Am Montag und Mittwoch hatte ich noch Handball-Training. Und am Sonntag waren meist die Vereins-Spiele. Das habe ich alles unter einem Hut bekommen.

Wie ging es dann weiter? Du bist dann nach Deutschland gekommen?
Wendy: Ja, ich habe dann im Eros-Center in Bielefeld gearbeitet und anschließend in einem Privat-Haus in Oldenburg.

Welche Schwierigkeiten, Probleme musstest du bislang bewältigen?! Es gibt ja auch viel öffentlichen Druck?!
Wendy: Meinst du, Probleme mit Kunden?
Zum einen das und zum anderen von den Behörden, den Kommunen, der Polizei, dem Ordnungsamt etc.
Wendy: Früher haben wir an einem anderen Ort, Parkplatz gestanden. Die Gemeinde hat den Zugang zum Parkplatz zugeschüttet.

Wie? Das durften die einfach machen? Das ist doch öffentlicher Raum?
Wendy: Die Gemeinde hat dieses Areal aufgekauft. Der eigentliche Grund war, dass neben diesem Parkplatz eine Haltestelle für ein Schulbus war. Und das Argument war eben, dass dort auch viele Kinder vorbeigehen.

Gab es denn von eurer Seite öffentliche Gegenmaßnahmen?
Wendy: Ja, wir haben in den lokalen Zeitungen eine Stellungsnahme abgegeben und über die wahren Hintergründe aufgeklärt. Gut, dadurch dass die Gemeinde das Gelände aufgekauft hat, können wir nichts unternehmen. Aber uns war wichtig, dass wir unsere Meinung öffentlich kundtun. Wir lassen uns nicht diskriminieren.


„Wenn ich gute Arbeit mache, kommen die Kunden auch gerne wieder.“


Prostitution ist immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft. Wie könnte das Image verbessert werden?
Wendy: In der Gesellschaft gibt es eine Doppelmoral. Prostitution wird ‚geduldet‘, hat aber keinen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Außerdem verbirgt sich hinter der gesellschaftlichen Verurteilung der Prostitution eine gesellschaftliche Doppelmoral, wenn man bedenkt, dass täglich ca. 1 Million Freier in Deutschland die sexuellen Dienstleistungen von geschätzten 400.000 Frauen in Anspruch nehmen. Prostituierte werden stigmatisiert. Es gibt auch kaum positive Berichte über unseren Beruf. Und wenn, dann sind das Meldungen über Opfer von  Frauenhandel. Aber nicht jede Prostituierte, nicht jede Migrantin in der Prostitution ist Opfer von Frauenhandel!

Was tust du selbst dafür, das Image zu verbessern? Du machst ja einen seriösen Eindruck und posierst hier nicht halb nackt auf der Straße wie das Klischee von einer Straßenprostituierten?
Wendy: Nee, das möchte ich auch nicht. Ich bin einfach ein normaler Mensch. Ich mache meinen Job, habe auch Spaß daran. Ich arbeite gut und vernünftig. Und so lange es mir Spaß macht, übe ich den Beruf aus!

Am Anfang standet ihr hier mit vier Lovemobile, richtig?
Wendy: Ja, jetzt arbeiten wir nur noch zu zweit. Eine ist zurück in die Tschechei, die andere arbeitet wieder im Club. Ich habe mich entschieden, hier zu bleiben und mir gefällt's hier auch.

Fühlst du dich denn hier sicher? Und wie gehst du mit Gefahren um?
Wendy: Also, ich präge mir die Kunden gut ein: Aussehen, Kleidung, äußere Merkmale. Dann notiere ich mir die KFZ-Kennzeichen. Letztens hatte ich einen Kunden, ein LKW-Fahrer aus Litauen. Der wog 150 Kilogramm und lag auf mir und ging nicht mehr runter. Ich habe es dann irgendwie geschafft, mich zur Seite zu drehen und habe dann vor Wut die Schiebetür vom Wohnmobil aufgemacht und seine Klamotten rausgeschmissen...

150 Kilo? Da brauchst du ja fast einen Kran...
Wendy: Ich habe auch einen guten Kontakt zur Polizei. Es wird nach dem Anruf etwas dauern, bis die Polizisten hier sein können, aber hier in Wildeshausen fahren viel Polizisten Streife...

Ja, die sind hier sehr präsent! Kommen die auch, um dich zu kontrollieren?
Wendy: Nö, ob alles in Ordnung ist, führen Gespräche. Klar, die gucken schon, ob der Platz von uns sauber gehalten wird.

Gab es trotzdem schon Situationen, in denen du Angst hattest, in denen du Hilfe von Außen benötigt hast?
Wendy: Nein. Wenn man Angst zeigt, hat man verloren. Ich bin ein starkes Mädchen. Zur Verteidigung habe ich Pfeffer-Spray, musste ich aber noch nie einsetzen. Ich lass aber auch nicht jeden Kunden ins Wohnmobil rein, ich sag' auch mal Nein.

Wo ziehst du die Grenze?
Wendy: Ich verzichte dann lieber aufs Geld. Wenn die zu stark alkoholisiert oder mit Drogen zugedröhnt sind. Mir braucht keiner was vormachen. Ich komm aus Holland, ich seh' das ganz genau. Ich sage nicht direkt NEIN, gehe eher taktisch vor. „Ich habe keine Zeit, ich habe gleich einen Termin!“ oder: „Ich mache jetzt Pause!“ Ich gebe dem Kunden keine direkte Angriffsfläche, dass die sich nicht gleich angepisst fühlen.

Das ist ja auch Präventivarbeit. Wenn du direkt NEIN sagst, rufst du gewalttätige Reaktionen hervor. Hast du eigentlich viele Stammkunden?
Wendy: Ja. Wenn ich gute Arbeit mache, kommen die Kunden auch gerne wieder.

Warum glaubst du leisten sich die Kunden den Service ‚Sex gegen Geld‘ von dir?
Wendy: Zu Hause haben sie eine Frau, aber keinen Sex, keine Abwechslung mehr. Ich bin froh, dass wir da sind. Wenn es unseren Beruf nicht geben würde, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe zunehmen würden, sehr groß.

Siehst du dich auch oft In der Rolle als ‚Sozialarbeiterin‘?
Wendy: Ja, als soziale Helferin für Männer in Not, hahaha. In Holland hatte ich so viele Kunden, die zu mir kamen, mir Geld gaben für eine halbe Stunde, nur um zu quatschen. Die haben mich nicht angefasst. Hier im Liebesmobil ist das eher seltener. Ich habe einen Kunden, der zahlt 200 Euro. Der raucht ein bisschen was, ein wenig Zärtlichkeiten und soziale Wärme. Ich höre auch gerne und richtig zu. Bei mir geht das nicht ins eine Ohr rein, ins andere raus. Ich merk' mir die Leute und ihre Geschichten.

Prostitution als Hobby, Frauen, die aus der finanziellen Not heraus arbeiten. Glaubst du, dass Prostitution ein falsches Bild von Abenteuer repräsentiert?
Wendy: Also, dir muss klar sein, dass du für das ‚schnelle Geld‘ auch hart arbeiten musst. Schließlich arbeitest du mit deinem Körper. Und wenn du das psychisch nicht aushältst, solltest du es gleich sein lassen. Manche Frauen drehen echt ab, lassen sich gehen. Ich habe mir Ziele gesetzt, will bis 30 so arbeiten und dann ein bürgerliches Leben führen. Meine Freundin hilft mir dabei. Ich brauche Struktur in meinem Leben. Ich will endlich einen Führerschein machen. Derzeit lasse ich mich immer noch durch die Gegend fahren. Ich möchte meiner Partnerin einen Führerschein schenken. Ich möchte einfach auch mal für mich und meine Partnerin da sein, ein normales Leben führen. Ich arbeite jeden Tag von 10 Uhr bis 22 Uhr und habe eigentlich kein Privatleben. Da sehne ich mich nach ein bisschen Normalität und einem bürgerlichen Leben.


Fußnoten:

1. Das Prostitutionsgesetz (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten – ProstG) ist ein aus drei Paragraphen bestehendes Bundesgesetz in Deutschland, das die rechtliche Stellung von Prostitution als Dienstleistung regelt, um die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern.
https://www.gesetze-im-internet.de/prostg/BJNR398310001.html

2. Die gesellschaftliche Debatte über Prostitution wird in den Medien überwiegend unter moralischen Gesichtspunkten geführt. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter selbst kommen selten zu Wort, es wird meist über sie statt mit ihnen gesprochen. In Talkshows werden einzelne Personen aus dem Milieu eingeladen, die die jeweils gewünschte Position unterstützen – meist der gierige Bordellbetreiber oder die ausgestiegene Prostituierte. 

3. In dem von den Niederländern ‚Wallen‘ genannten Rotlichtbezirk Amsterdams mieten Prostituierte für paar hundert Euro pro Tag die Fenster, um sich den Kunden anzupreisen.


Film über Wendy im Lovemobil