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Ich bin ein Klischee

Mit 14 Jahren wurde mir bewusst: Ich bin ein Klischee! Mit dieser Erkenntnis fiel es mir leichter, mich als Punk zu definieren. Und entsprechend zu kleiden: Iro, Lederjacke mit Patches, Schriftzügen, gefärbte domestosgetränkte Jeans und Springerstiefel...und oft mit der einen oder anderen Dose Bier in der Hand. Dazu ausschließlich Deutschpunk auf dem Plattenteller und im „Ghettoblaster“ für unterwegs. Ein klassisches Abziehbild eines Punk wie aus dem Lexikon im Punker-Einmaleins.

Heute, 39 Jahre später, hat sich gar nicht so viel geändert. Ein Punk mit Ganzkörper-Tattoos und Saison-Iro (von Mai bis Oktober). Auf der Straße mit der Sid-Vicious-Schnute und seit einigen Jahren auch mit Hund in Begleitung unterwegs. Aber ohne Dosenbier in der Hand, ohne Kippe im Mund und ohne Leder auf der Haut. Da habe ich meine ethisch-moralischen Prinzipien. Heute ist mein Anti eine Frage der Haltung, um Krisen zu bewältigen oder meinen inneren Frieden zu finden. Scheiße, das hört sich schon wieder voll hippiemäßig und esoterisch an.
Was liebt ein Punk nach der Allgemeindefinition der Gesellschaft denn so? Oder anders formuliert: Was macht ihn/sie zum Mittelpunkt der Empörung? Es geht um die Zerstörung scheinheiliger Tabus und Ideologien, nicht um sachliche Kritik, Verbesserungsvorschläge oder gar das Angebot einer „neuen“ Moral. Punk hat keine Lösungen anzubieten, keine Visionen für die Zukunft, zumindest nicht solche, die irgendjemand real miterleben möchte. Das sind bekannte Fremd-Definitionen, die ein Punk (also mich) in eine Schublade steckt. Zusammenfassend: Punk ist ein destruktives Subjekt, das in ein Arbeitslager zur Umerziehung oder schlimmeres gehört. Pöbeln, Pogen, Betteln und Gewalt. Was soll mensch auch mit Punk diskutieren oder ins Gemüt reden?! Es hilft doch alles nichts. Bei dem übermäßigen Konsum oder Gebiss von Dosenbier allerdings auch kein Wunder, wenn die Kommunikation nicht mehr so flüssig ist wie der Gerstensaft in der Blutlaufbahn. Hinzu kommt eine klischeebeladene Anti-Haltung: Irgendwie gegen alles sein, ohne genau zu wissen warum. Ich habe kein Smartphone, weil ich kein „Handypunk“ sein will. Gegen Bullen, Nazis, Kapitalismus, Bundeswehr. „Unser Nein ist das Ja zum Nichts des Ganzen“ wussten schon ...BUT ALIVE.  Philosophie und Punk schließt sich eben nicht aus. Dafür lese ich immer noch gerne Fanzines und höre Punkplatten. Schuster, bleib bei deinen Leisten, ya know, Digger? Alte Gewohnheiten und Komfortzone. „I'm a cliché, live next door“ schrie bereits Poly Styrene von X-RAY-SPEX ins Mikro Mitte der 70er Jahre. Und BOSKOPS sinnierten „Du bist was du denkst, du denkst, was du bist!“ Ein Klischee zu sein, kann auch Spaß machen. Und es macht so vieles einfacher. Das Schubladendenken macht vieles einfacher, zumindest wenn die Erwartungen erfüllt werden. Ansonsten hagelt es Sanktionen und Ausschlüsse. Kommen wir zur Fragestunde, die zugegebenermaßen an alte Dr. Sommer-Rubriken in der BRAVO erinnert:

„Am Freitag hatten wir in der Schule eine kleine Diskussion:
Mein Mitschüler meinte, dass alle Punks bunte Haare hätten, kaputte Klamotten tragen würden und arbeitslos werden. Ich kenne aber einige, die ganz normale Frisuren haben, normale Kleidung gemixt mit ein paar Punk-Accesources tragen und auch ganz normalen Berufen nachgehen. Die Punkband „Billy Talent“ trägt doch auch ganz normale Sachen und die haben auch ganz normale Frisuren (Von dem, was man so in den Interviews hört, sind sie auch vom Charakter her nett). Wie seht ihr das? Kann man auch ein Punker sein, wenn man ganz normal rumläuft, sich an die Gesetze hält (seiner Meinung nach, würde das keiner von ihnen tun) und auch so, einer ganz normalen Arbeit nachgeht?“

Beste Antwort hierauf von Tobias Scheiße (HAMMERHEAD):

„Ich bin Punkrocker und schmeiße mit Mülltonnen.“

Und bevor du jetzt anfangen solltest, zu überlegen, wie klischeefrei du bist, sei doch einfach dein eigenes Klischee. Denn auch, wenn du dich noch so sehr anstrengst und bemühst: Ein Klischee zu leben ist versöhnlich, ganz ohne Entschuldigung. Probier es doch mal aus. Und mach bloß keine Kompromisse.