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OSTSAARZORN #3

OSTSAARZORN #3
Fachjournal für Punk
Schwerpunkt: Punk & Jewishness
96 DIN-A-5-Seiten; Spende
ostsaarzorn@gmx.de
Tobias Grosz ist Fanzine-Macher und Soziologe aus Neunkirchen/Saar. Seit einigen Jahren ist er Mitherausgeber von „Ostsaarzorn – Das Fachjournal für Punk“, das anlässlich des letztjährigen „Oy Vavoy Kulturfestivals“ eine Sonderausgabe zum Thema „Jewishness im Punk“ produziert hat.

»Kein Holocaust – kein Punk«, hat der amerikanische Musikjournalist Steven Lee Beeber einmal das Verhältnis von Punk und jüdischer Identität provokant zusammengefasst. In der Tat hatten viele der New Yorker Punks der Siebziger einen jüdischen Familien-Background, der wiederum Einzug gefunden hat in ihre Musik; Textzeilen wie »Eat kosher salami« von den Ramones oder Songs wie »Dachau Disney Disco« von Suicide zeugen davon. Das Redaktionskollektiv hat in der neu aufgelegten Sonderausgabe das Verhältnis von Punk und Judentum, aber auch die Relevanz von Punk als identitätsstiftendes wie auch identitätsdestruierendes Medium untersucht. Zudem wird ein Blick auf „Jewishness im Punk“ in der Gegenwart geworfen.  Außerdem wird der Frage nachgegangen, inwiefern Punk als Medium sowohl einer kritischen Erinnerung an die Shoah als auch als Reservoir von Strategien und Methoden dienen kann, die für eine innovative Antisemitismusprävention genutzt werden können. Hier ist v.a. an die herrschaftskritischen Impulse von Punk zu denken. Punk hat eine lange Tradition, etablierte gesellschaftliche Normen und Narrative zu hinterfragen. Durch die Ablehnung von Autorität, Hierarchie und Konformität kann Punk dazu beitragen, dominante Geschichtserzählungen kritisch zu hinterfragen und alternative Perspektiven auf die Shoah zu bieten. Punk hat oft eine enge Verbindung zur politischen Aktivität und bietet eine Plattform für politischen Widerstand und soziales Engagement. Durch die Verwendung von Musik, Kunst und Texten können Punk-Bands und -Künstler*innen die Shoah thematisieren und Menschen dazu ermutigen, sich aktiv für Gerechtigkeit und Erinnerung einzusetzen. Indem Punk als Medium genutzt wird, kann er dazu beitragen, eine Gemeinschaft aufzubauen, die sich mit der Erinnerung an die Shoah und der Suche nach Gerechtigkeit solidarisiert. So viel zur Theorie. Als Orineteirungspunkte dienten dem Kollektiv die Facbücher „Oy! Oy! Oy! Gewalt“ von Michael Croland sowie „The Heebie Jeebies im CBGB’s“ von Steven Lee Beeber.
Im Wesentlichen sind die Artikel und Interviews von folgenden Überlegungen geprägt:

  1. Ausdruck von Individualität und Nonkonformismus: Der Punk ist geprägt von einer anti-autoritären Haltung und einem starken Individualismus. Jüdinnen/Juden in Deutschland könnten sich durch diese Subkultur empowert fühlen, da sie ihnen eine Möglichkeit bietet, sich gegen gesellschaftliche Normen und Erwartungen zu stellen.
  2. Kritik am Establishment und politischer Aktivismus: Punk ist oft mit politischen Inhalten und Aktivismus verbunden. Für Jüdinnen/Juden in Deutschland könnte dies bedeuten, dass sie punkige Ausdrucksformen nutzen, um auf antisemitische Strukturen und Diskriminierung aufmerksam zu machen. Sie könnten sich aktiv gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen.
  3. Solidarität innerhalb der Subkultur: Die Punk-Szene ist oft von einer starken Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung geprägt. Jüdinnen/Juden könnten in dieser Subkultur auf Menschen treffen, die ihre Erfahrungen verstehen und mit ihnen solidarisch sind. Dies könnte ein sicherer Raum für den Austausch von Erfahrungen und gemeinsame politische Aktivitäten bieten.
  4. Identitätsbildung: Durch die Teilnahme an der Punk-Community könnten sich Jüdinnen/Juden mit einem starken Gefühl der Zugehörigkeit und Identität verbunden fühlen. Durch das Einbringen ihrer jüdischen Geschichte und Kultur könnten sie dazu beitragen, Stereotype und Vorurteile zu bekämpfen und eine pluralistischere Gesellschaft zu fördern.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Überlegungen auf individuellen Erfahrungen und Perspektiven basieren und nicht alle Jüdinnen/Juden in Deutschland betreffen. Die Bedeutung von Punk als Widerstandspraxis kann von Person zu Person unterschiedlich sein.
Im Interview erzählt Elianna Renner von jüdischen Frauen in der Schweizer Hausbesetzer*innenszene, von ihrer band RE-SISTERS, fragt aber auch: „Warum sollen jüdische Menschen/Punks in den Mittelpunkt gestellt werden?“

Gesamteindruck:

Der gemeinsame Nenner ist Punk. In Verbindung mit dem Judentum. Es ist immer wichtig, für Gerechtigkeit einzustehen und Diskriminierung entgegenzutreten, unabhängig von der kulturellen Bewegung oder Subkultur, der man angehört. Insofern ist der hier nachgewiesene Antisemitismus im Punk und HC Teil von Provokation, Unwissenheit, selten aus Überzeugung.
Im Wesentlichen sind die beiden erwähnten Fachbücher zum Thema schon die Referenz einer analytischen Grundlage zum Thema „Punk & Jewishness“. Diese Sonderausgabe indes ist eine gelungene und zeitlose Ergänzung mit gut recherchierten Artikeln, die die Widersprüchlichkeiten von RAMONES bis DAILY TERROR entlarvt und je nach Attitüde und Perspektive auch begründet/entschuldigt.