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Applaus, Applaus!

Ich wusste Bescheid. Die Nordwestbahn hatte aufgrund von Gleisarbeiten den Bahnverkehr auf „meiner“ Linie am Wochenende eingestellt. Es gab einen Schienenersatzverkehr und es wurden Busse eingesetzt. Endlich wieder Abenteuer, Abwechslung und eine schöne Fahrt in die ländliche Provinz. Vorbei an Flora und Fauna. Mit mir waren noch vier weitere Fahrgäste eingestiegen.
„Fährt der Bus nach Osnabrück?“, fragte eine aufgeregte Person von draußen in Richtung Busfahrerin.
„Nein, wir fahren nach Bremen!“, antwortete sie in einem harschen, aber bestimmten Ton.

Ich suchte mir einen freien Platz am Fenster.
Dann ging es auch schon los. Ich kannte die Strecke von Wildeshausen nach Brettorf, Ganderkesee in Richtung Delmenhorst, die mit dem Bus zu fahren ist, wenn der Zug mal ausfällt. Nur dieses Mal war etwas anderes. Wir fuhren noch einmal komplett um die Stadt. ‚Etwas umständig‘, dachte ich im Stillen, aber freute mich auf den Komfort im Bus. Keine neon-weiße Beleuchtung wie früher im Klassenzimmer, als es wieder hieß: Hefte raus, Klassenarbeit!“, sondern dezent grün-schimmernde Beleuchtung mit Wellness-Charakter, gute Belüftung und reichlich Sitzkomfort für die langen Beine. Bei zunehmender Dunkelheit in Richtung Brettorf, fuhren wir eine Landstraße, bis die Busfahrerin in einen Waldweg abbog. ‚Hm, das ist aber eine seltsame Strecke zum Bahnhof‘, wunderte ich mich und hatte Bedenken, dass die Busfahrerin von der 'richtigen’ Route Kenntnis hatte, mit dem Navi fuhr oder ‚frei Schnauze‘. Die Straße wurde enger. Oben peitschten Äste an die Decke, Kastanien und Eichen knallten aufs Blech. In Brettorf am Bahnhof angekommen, ganz ohne Ein- oder Ausstieg, fuhr die Busfahrerin den kompletten Weg zurück auf die Bundesstraße, wobei wir am schnellsten parallel zur Bahnschiene zum nächsten Bahnhof nach Ganderkesee hätten fahren können. Aber ich vertraute der Busfahrerin. Was blieb mir auch anderes übrig. Die junge Frau mit dem Reisekoffer vor mir starrte unentwegt auf ihr Smartphone, ging dann aber nach vorne zur Busfahrerin und fragte, wann wir denn in Bremen ankommen würden?
Die Busfahrerin machte Licht und antworte nach einer kleinen Pause: „Um 20 Uhr 45!“
In Ganderkesee stiegen zwei weitere Personen ein und wir fuhren über die Autobahn weiter in Richtung Delmenhorst. ‚Komische Strecke‘, dachte ich so bei mir. Die Busfahrerin konnte offenbar meine Gedanken lesen, fragte sie doch direkt im Anschluss mit lauter Stimme, ob einer an Bord sei, der sich auf dieser Strecke auskennen würde und wie wir von Delmenhorst nach Bremen kommen würden.
„Und ich dachte mir schon in Wildeshausen, dass das aber eine abenteuerliche Route ist. Dann komme ich mal nach vorne“, antworte ich als erster und einziger, hilfsbereit und sozial wie ich nun mal bin. Fortan leitete ich die Fahrerin souverän wie ein Fahrlehrer von Straßenkreuzung, über Ampeln und Geheimabkürzungen sicher nach Bremen-Neustadt, wo ich sagte: „Da vorne an der Ampel kannst du mich rauslassen. Ich spring’ dann raus. Dann brauchst du nicht noch wieder rechts abbiegen und einmal rumfahren. Du fährst dann einfach geradeaus über die Ampel weiter und kommst direkt zum Hauptbahnhof.“ Als die Tür aufging und ich ausstieg, vernahm ich ein „Danke“ und einige Fahrgäste applaudierten wie nach der Landung des Flugzeuges, um Dank und Anerkennung auszusprechen. Und auch ich war froh, weder auf einem einsamen Feldweg in Brettorf gestrandet, noch in die Weser gelandet zu sein, nur, weil die Fahrerin sich nach dem Navi gerichtet oder ihr Chef ihr eine Route vorgegeben hat, die absolut keinen Sinn ergibt. als ich mit nur 20-minütiger Verspätung die Tür zur Arbeitsstelle aufschloss, kam mir schon ein aufgeregter Mitarbeiter entgegen und fragte, wo ich denn bliebe. Wenn der wüsste, was ich gleich zu erzählen habe.