· 

SIKSA

Fotocredit: Melanie Marsman
Fotocredit: Melanie Marsman

SIKSA ist ein feministisches Duo mit Stimme, Bass, Lyrik und Tanz. Ihre Konzerte vereinen die Energie von Punk, performativer Poesie und zeitgenössischem Tanz. In den Grenzen der Instrumente und der Bühnenpräsenz findet das Duo die Kraft, einen eigenen Weg zu gehen. In dieser Arbeit trifft das Persönliche auf das Politische und das Unausgesprochene auf das Ohrenbetäubende.

Alex, du bist Performerin, Dichterin und Mitbegründerin der punk-feministischen Gruppe SIKSA. In dem Song „Co tam u Ciebie jest?“ / „What's Going On There With You“ singst/sprichst du darüber, dass deine größte Mutprobe darin bestand, 2019 auf die Bühne zu gehen und nicht länger die große Alexandria sein zu wollen. Das passt überhaupt nicht zu deiner extrovertierten Art...
    Alex Freiheit: Warum? Zu der Zeit, als ich diese Platte schrieb, war ich erschöpft. Davor haben wir zwei Alben gemacht, die wir live gespielt haben. Zuerst war es ZEMSTA NA WROGA, dann POSKROMIENIE ZŁOŚNICY.
Kurz gesagt: Das erste Stück handelte von meinen Vergewaltigungserfahrungen, und das zweite davon, wie schwer es ist, im öffentlichen Raum über Gewalt zu sprechen. Dann erschienen zwei Personen auf der Bühne – Alex, das bin ich persönlich, der mit der von mir geschaffenen Figur SIKSA diskutierte. Ich habe mich gefragt, ob es überhaupt etwas ändert, wenn man auf so unverblümte und direkte Weise über Gewalt spricht. Ich wollte zeigen, dass das Konsequenzen hat, und nachdem ich in „Zemsta na wroga“ / „Revenge on the Enemy“ die Heldin gespielt hatte, die sich an ihren Peinigern rächt, wollte ich nicht so tun, als wäre alles in Ordnung mit mir. Das war es nicht. Ich fühlte mich machtlos, ausgebrannt, ich erfuhr so viel Schlechtes über mich, darüber, dass es nicht so sein sollte, Millionen von Meinungen, wie man es besser machen könnte, wie man es poppig machen könnte. Das waren beinahe alles männliche Kommentare.

Über ZEMSTA NA WROGA:

Es ist Mitte des Jahres 2017. Ein Mädchen beschließt, ihre Geschichte zu erzählen. Sie fragt sich nicht, ob es angemessen ist, sie bittet niemanden um Erlaubnis. Sie hat keine Angst, dass man sie als primitiv, als Plagegeist, als Provinzlerin ansehen könnte. Sie hat keine Angst, dass jemand ihre Worte missverstehen und so hart treffen könnte, dass der andere denkt: „Redet die etwa von mir?“ Das Mädchen lässt es unkommentiert, schließlich geht es um ihr Überleben.
Das Album ist ein feministisches Punk-Manifest, das jedoch nicht nur als akustische Form entstanden ist. Wie im Fall von „Stabat Mater Dolorosa“ wird die Musik auch hier visuell als 43-minütiger Film umgesetzt, der in Zusammenarbeit des Duos mit dem Künstler Piotr Macha entstanden ist.


Das Material „Zemsta na wroga“ erforderte von mir das Anlegen eines Schutzschildes. Aber als ich versuchte, dieses abzulegen, war das eine der schwierigsten Erfahrungen, die ich in unserer künstlerischen Arbeit gemacht habe. Und ich wollte diese Panzerung ablegen, weil man mich damals in Polen zu einem Symbol machen wollte, zu einem Denkmal, zu einer Person, die für jemanden spricht. Im Grunde genommen war es genau dasselbe, als Kathleen Hanna auftrat – die Medien haben sich seither nicht verändert. Sie verdrehen meine Worte, benutzen Clickbait und wollen mit mir nur über die Vergewaltigung und meine Eltern sprechen, aber nicht darüber, dass Schauspielerei und Musikmachen auf DIY-Art auch befreiend sein kann. Ich hasse es, wenn sich jemand zum Symbol für eine Sache macht. Ich hatte einfach keine Lust mehr und hatte ein Burn-Out.

Fred, du zitierst in der Eingangsfrage einen Textauszug aus unserem aktuellen Material, das im September 2022 veröffentlicht wurde. Wir spielen das Material zuerst live. Es wurde zwischen dem 23.08.2019 bis zum 03.10.2020 37 Mal live in Polen, Deutschland, der Slowakei und Frankreich aufgeführt. Und erst wenn wir es fertig gespielt haben, nehmen wir es auf und veröffentlichen das Album. Es ist also genau das Gegenteil von dem, was die meisten Bands machen. Wir nennen es gerne Anti-Promotion, denn die Zuhörer*innen bekommen auf dem Album etwas völlig Neues zu hören. Wir greifen live auch nie zu älteren Songs zurück, das kommt nicht infrage. Das ist ein abgeschlossenes Kapitel, und es wird das aufgeführt, was gerade in uns ist, und deshalb nennen wir es auch Performance – hier und jetzt, nur das, was in unseren Herzen vorhanden ist.


»Meine größte Mutprobe war es, 2019 auf die Bühne zu gehen und nicht so zu tun, als wäre ich die neue Alexandria.«

(aus: Co tam u Ciebie jest? / What's Going On There With You?)


In diesem Zitat steckt ein Hinweis auf die Vergangenheit. Damals dachte ich, dass meine größte Mutprobe darin bestand, auf die Bühne zu gehen und nicht so zu tun, als wäre ich etwas Ikonisches wie der Song „Nowa Aleksandria“ der polnischen Band SIEKIERA. Wir mussten uns „gut gemeinte Ratschläge“ anhören und waren für viel eine Band mit einer Tussi, die rumschreit. Aber wir scheißen auf Erwartungen. Deshalb ist es für mich definitiv ein größerer Akt des Mutes, Schwäche zu zeigen, als so zu tun, als wäre ich eine Kriegerin, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr war.

Fotocredit: Piotr Królikiewicz
Fotocredit: Piotr Królikiewicz

SIKSA ist vieles: Kunstprojekt, Riot Grrrl, Avantgarde. Was sind eure Inspirationen und Einflüsse?
    Alex Freiheit: Ich denke, diese Mischung kommt von allem, was wir beide wirklich lieben. Und wir lieben Kunst, vor allem Musik. Wir mögen, dass Kunst an sich schon Kunst ist, aber wir lieben auch, wie sie Geschichten erzählt, besonders Herstories. Als ich ein Teenager war, bin ich in die Welt der Filme, der Musik geflüchtet und habe ein bisschen Theater gespielt. Als ich auf dem College war, flüchtete ich vor einer missbräuchlichen Beziehung in Besuchen von Ausstellungen, Konzerte und wieder in Filme. Für mich war das alles eine Flucht und ich dachte, dass die reale Welt nicht wirklich existiert, dass sie erfunden und eine schöne Fantasie ist.

Wenn ich versuche, selbst eine Künstlerin zu sein, bin ich immer wieder mit Ablehnung und Hass-Kommentaren konfrontiert, dass dies nicht angemessen, dass ich seltsam sei, dass ich naiv und zu ausdrucksstark sei. Also habe ich meine Persönlichkeit oft tief drinnen versteckt. Manchmal kam sie zum Vorschein und sagte zu mir: ‚Hey, ich bin hier, bitte lass mich raus‘. Und ich tat es in Form von Sticheleien gegen meine Eltern, was meist damit endete, dass ich weinte, mich ritzte, betete oder mit Schuldgefühlen zur Beichte ging. Wenn ich mich gegen meinen Freund auflehnte, ging das nie gut aus, aber manchmal gelang es mir, ihn fertig zu machen. Ich war damals zu schwach, wahrscheinlich war ich damals schon depressiv, aber es wurde nicht so viel darüber geredet wie heute, damit ich mir dessen bewusst wurde und mir selbst helfen konnte.

Das erste Antidepressivum, das ich nahm, war die Kunst. Die eigentliche Dosis war die Begegnung mit Buri, dem Mitbegründer und Bassisten von SIKSA. Ich hatte das Gefühl, dass ich so viel Unterstützung habe, dass ich jetzt alles tun werde, was ich als Teenager immer tun wollte: Ich werde meinen Freund abservieren, ich werde mich an ihm rächen. Ich werde allen, die mir jemals den Mund verbieten wollten, das Maul stopfen. Ich werde dem Klischee des braven Mädchens entkommen. Ich werde alles tun, was in diesem Land nicht akzeptabel ist, und ich bin nicht länger damit einverstanden, wie Menschen und alle Wesen hier behandelt werden. Wenn ich über mich und meine Erfahrungen spreche, bezieht sich das in Wirklichkeit auf die Erfahrungen anderer Menschen, weil es mehr von uns gibt und wir nicht mehr schweigen werden. Wir wollen anderen unsere Fremdheit vor Augen führen. Wir wollen antworten, wir wollen über unsere Rechte sprechen, uns Raum verschaffen und uns ausbreiten.

Meine große Inspiration ist mein Leben, meine Stadt Gniezno, aus der ich komme und in der ich immer noch lebe. Ich lasse mich von Sänger*innen mit starken Stimmen und politischen und sozialen Aktivist*innen inspirieren. Die Menschen, die ich auf meinen Reisen treffe, geben mir Kraft. Ich liebe es, Märchen zu lesen. Ich bin mit männlichem Rap aufgewachsen, und dank Avril Lavigne wurde ich in der Schule nicht mehr beschimpft, weil ich täglich in Turnschuhen lief.

Wann immer wir um die Welt reisen, suchen wir nach Konzerten und Aufführungen, die wir besuchen können. Manchmal lese ich gerne alte Zines und lerne aus der Underground-Vergangenheit. Manchmal hören wir uns Mainstream-Projekte an, aber wir sind uns bewusst, dass der Mainstream den Underground schon immer kopiert hat und dies auch weiterhin tun wird, weshalb wir uns für solche Kunst mit DIY-Vibe interessieren. Wir haben schon gesehen, wie das Theater Ideen klaut, wir haben gesehen, wie polnische Künstler*innen im Ausland für sich als schwarze Protestrebellen und die Stimme der Frauen* werben, aber das nur aus Imagegründen getan haben. Wir sind uns bewusst, dass Menschen aus politischen und sozialen Veränderungen Kapital schlagen, und deshalb wollen wir klar sagen und Grenzen setzen, woher wir kommen und wer wir sind.

Deshalb nutzen wir die Medien nur, wenn wir wollen, und wir nutzen unsere Verbindungen, die wir dank SIKSA haben, auch im Mainstream in Gniezno. Hier betreiben wir seit 6 Jahren einen Ort, an dem Konzerte, Workshops und Treffen mit Autor*innen stattfinden. Anstatt ein Stück mit jemandem aufzunehmen, laden wir lieber nach Gniezno ein, um ein Konzert für Oma und Enkelin, Jugendliche, Erwachsene und ein wirklich sehr unterschiedliches Publikum zu spielen. Unser Ort heißt Latarnia na Wenei und wir laden euch aller herzlich zu einem kleinen Chillout dorthin ein.

Fotocredit: Joren Poisquet
Fotocredit: Joren Poisquet

Wie wichtig sind Protest und Provokation für dich?
    Alex Freiheit: Proteste sind wichtig für mich und haben mich aufgebaut. Kurz nachdem wir SIKSA auf die Beine gestellt hatten, ging ich für sechs Monate in die Türkei und nahm dort zum ersten Mal in meinem Leben an Protesten teil.
Dort sah ich, wie sogenannte Manifa-Proteste von Mädchen und nicht-heteronormativen Menschen organisiert wurden. Dort habe ich zum ersten Mal die Aggression der Polizei zu spüren bekommen. Und dort habe ich Menschen getroffen, die von der politischen und sozialen Situation im Land ausgebrannt waren. Unser Lied „Alper Sapan forever!“ aus dem Album STABAT MATER DOLOROSA handelt von einem türkischen Anarchisten, den ich nach Polen eingeladen habe und was er hier auf der Flucht vor Erdogans Schergen erlebt hat.

Nach meiner Rückkehr nach Polen fing es an, schrecklich zu werden. Im Jahr 2015 war die Gesellschaft bereits stark gespalten, die Medien logen und lügen über Immigrant*innen und LGBTQ+ Menschen. Die einzige richtige Form der Opposition war für mich damals der Protest. Vor allem auf der Straße und in Form von Kunst.

Nach allem, was ich persönlich erlebt habe, und aus der Perspektive von jemandem, die in einer Kleinstadt mit über 20 Kirchen lebt, ziehe ich es vor, meine Energie jetzt für das Positive zu verwenden. Ich werde immer wütend sein, aber das Aufbauen macht mir heute viel mehr Freude, als das Zerstören. Und mit Buri und Freund*innen aus Gniezno habe ich einen inklusiven Raum geschaffen, an dem so viel Spannendes und Gutes passiert. Es kommen verschiedene Menschen zu uns.

Indem man verschiedene Künstler*innen einlädt, werden auch bestimmte Inhalte und Gleichstellungswerte vermittelt. Ich habe ein Leben in Blasen gelebt und da ist mir nie etwas Gutes passiert. Ich bin auch sehr empfindlich, wenn es darum geht, Kunst zu begrenzen. Im Durchschnitt verwende ich in meiner Kunst gerne den Trigger-Warn-Slogan, denn die Welt warnt einen nicht davor.

Obwohl ich bei unserem aktuellen Material und dem vorherigen mehr auf Fantasie und die Schaffung alternativer Welten stehe. Sie sind immer nah an der Gegenwart und der gesellschaftspolitischen Situation, aber ich habe mich verändert und deshalb verändert sich auch SIKSA. Noch vor einem Jahr haben wir ein Märchen über eine Maus, Motten, ein Pferd und andere pelzige, geflügelte Kreaturen aufgeführt.

Zurzeit haben wir live das Stück „..and the She-Devil bangs with a bass!“ gespielt, in dem es um eine gewisse Teufelin aus der Vergangenheit geht, die ich auf der Bühne verkörpere. Wir nennen es eher eine Legende, einen Mythos oder sogar ein Weihnachtslied! Die Teufelsfrau übernimmt Geschichten, zündet aus Versehen Kirchen an, ist ungeschickt und träge, hat aber auch eine enorme Fantasie. Sie hat auch große Sprachprobleme, stottert oft. Das ist wie bei mir im Leben. Ich stottere und denke hundert Gedanken in der Minute, bevor ich antworte. Das war bei mir schon immer so. Aus all dem erfindet die Teufelsfrau eine neue Sprache für sich. Die einen halten es für eine Provokation, für einen teuflischen Akt, die anderen wollen aus dieser Sprache Kapital schlagen, sie verkaufen, sie nutzen. Nun, die Teufelin schneidet sich die Zunge heraus. Sie macht also eine kontroverse und provokative Geste.

Ich verstehe nicht, warum es eine Provokation sein soll, sein Herz zu öffnen, seinen Mut zu zeigen und seine Gedankenwelten zu offenbaren. Es ist menschlich. Die Teufelin denkt sich seltsame Wort- und Klangkonstruktionen aus, verwandelt sich in eine Taube und die ältesten Bewohner*innen, die Herstorianer von Star-City – also der Stadt, aus der die Teufelin stammt – singen ihr zu Ehren Weihnachtslieder. Sie sieht zu, wie die leerstehenden Gebäude von den Behörden leergeräumt und von Bauunternehmern übernommen werden und scheißt auf alles. Ist das wahr? Ich fühle mich besser darin, Geschichten zu erfinden, zu erzählen und seltsame Märchen zu erfinden. Vielleicht steckt da mehr Lebendiges drin, und wenn etwas lebendig ist, dann existiert es. Und ich möchte einfach existieren.

Fotocredit: Piotr Królikiewicz
Fotocredit: Piotr Królikiewicz

Künstlerinnen werden vielfach nicht ernst genommen oder für verrückt gehalten. Wie gehst du damit um?
    Alex Freiheit: Du hast völlig recht. Und nachdem ich so viele Jahre lang als geisteskrank, verrückt, besessen bezeichnet wurde, habe ich beschlossen, die Rolle des Teufels zu spielen. Ich zeige mit diesem Material auch, dass Künstlerinnen oft als teuflisch und verrückt bezeichnet werden. Das war in der Vergangenheit so und ist auch heute so. Ich habe nicht die Absicht, das zu ändern, denn es gibt viele Menschen auf der Welt, die ihre Freiheit einfordern, und zu solchen Menschen fühle ich mich hingezogen, sie geben mir Mut. Kürzlich kursierte im polnischen Internet ein Video, das sich viral verbreitete. Es handelte sich um eine reale Situation, die jemand aufgenommen und ins Internet gestellt hat. Es zeigt ein Fenster einer Scheune, aus dem die gutturalen Laute einer Frau ertönen. Einige junge Kerle rufen ‚Komm her, Hure!‘ und filmen, aber in Wirklichkeit haben sie Angst und nähern sich der Frau nicht. Nach einer Weile greifen Polizisten ein, die ebenfalls hilflos sind, weil die Geräusche, die diese Frau von sich gibt, sie erschrecken und sie sich wahrscheinlich irgendwelche Geschichten im Kopf ausdenken, dass sie es mit einer besessenen Frau zu tun haben. Ihre Hilflosigkeit ist entlarvend. Natürlich ist es auch ein sehr trauriges Video, weil diese Frau wahrscheinlich Hilfe braucht, und ich hoffe, dass sich jemand um sie gekümmert hat. Das ist sooo real, das ist kein Kunstwerk oder ähnliches. Aber es hilft mir auch darüber nachzudenken, ob die Frau es vielleicht genau so geplant hat. Dass ihre Waffe diese teuflische Stimme ist und es keinen Schwanz gibt, der sich nicht vor diesen Klängen fürchten würde. Und genau so sehe ich mich und das ist meine Strategie. So sehr „too much“ im Sinne von überdreht für diese Welt zu sein, dass die Welt ein Problem haben wird, nicht ich.


Brauchen wir mehr politische, radikale Akteure in der Popkultur?
    Alex Freiheit: Ich schaue mir lieber etwas Abstraktes, Eskapistisches an. Politische Geschichten interessieren mich heutzutage überhaupt nicht mehr. Ich bevorzuge Geschichten, Details, kleine Erzählungen, persönliche Aussagen, anstatt zu versuchen, für die Gesellschaft zu sprechen. Vielleicht war ich für viele so. Ich bereue nichts von dem, was ich früher getan habe, aber ich ziehe es vor, den She-Devil zu spielen und Musik zu machen. Denn allein die Tatsache, dass ich Musik mache, ist ein politischer Akt und eine Opposition zu vielen Dingen. Opposition kann auch für einen selbst angenehm sein. Das heißt nicht, dass ich mich jetzt weniger im gesellschaftspolitischen Leben engagiere. Ich mache nur kein endloses politisches Manifest.

Welche Erfahrungen hast du mit gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen gemacht und welche Strategien dagegen hast du entwickelt?
    Alex Freiheit: Es ist furchtbar schwer und langwierig, über dieses Thema zu sprechen. Ich habe früher in vielen beschissenen Einrichtungen oder Branchen gearbeitet. Ich habe weniger verdient als Männer, obwohl ich besser war. Ich habe alles getan, um nie wieder so zu arbeiten. Ich bin ein Punk und ich muss nicht mit einem beschissenen Chef oder einer beschissenen Hierarchie arbeiten. Ich habe lieber kein Geld, als etwas gegen meinen Willen zu tun. Ich dachte immer, wenn ich endlich anfange, Kunst zu machen, wird es anders sein.
Ich habe eine sehr schlechte Erfahrung mit der Arbeit im Theater gemacht. Ich habe allein als Darstellerin gearbeitet oder mit Buri als Darsteller. Wie auch immer, die Musik, die wir für die Aufführung „KASPAR HAUSER“ mit unserem Freund Konstanty Usenko gemacht haben, ist zum Anhören und auf der CD erhältlich. Uns gefällt, was wir gemacht haben. Aber dadurch, dass ich mit einem Regisseur gearbeitet habe, der von mir starke, brechende Gesten verlangte, der bestimmte Erwartungen an mich hatte, die ich nicht erfüllen wollte...und ich merkte, dass ich nur seine Marionette sein sollte…Dieser Mensch wird gerade für seine Leistungen ausgezeichnet, er ist der jüngste Theaterregisseur in Polen. In den Medien schwärmen alle davon, dass er so wunderbare Dinge tut. Ich könnte kotzen!
Die Wahrheit ist, dass er angesagte Themen aufgreift wie Krieg, Diversität. Aber hinter der Fassade verbirgt sich ein toxischer Charakter. Wenn ich früher erfahren hätte, was für ein Manipulator er ist, wie er nur auf Beifall aus ist, wie er seine Größe auf solchen Themen aufbauen will, würde ich mir das nie mehr antun. Generell nehme ich derzeit Medikamente gegen Depressionen. Unser Hund, der uns fast von Anfang an bei SIKSA begleitet hat, ist kürzlich gestorben, ich habe Burnout, Überarbeitung und Workaholismus erlebt. Ich dachte, dass mir das in der Kunst nicht passieren würde, dass es nur Menschen betrifft, die in Unternehmen arbeiten.
Wie gehe ich damit um? Neulich waren wir im Urlaub und sind in den Bergen gewandert. Es gibt alte ungeschriebene Punk-Regeln: Wenn du dich irgendwo schlecht fühlst, scheiß drauf und komm nie wieder zurück, scheiß drauf und geh in den Wald und hör den Vögeln beim Singen zu. Verirre dich irgendwo zwischen beschissenen Clubs, wo keine Tourist*innen hingehen. Kümmere dich um dich selbst und um deine Liebsten. Nimm Medikamente, wenn sie dir helfen. Und höre viel Musik oder mache deine eigene. Letzten Winter hätte ich fast alles aufgegeben. Ich fing an, SIKSA für meine psychische Gesundheit verantwortlich zu machen. Es war ein Irrglaube, dass ich mich nur auf eine andere Art und Weise verletzen wollte. Meinen Schutzengel, meine Leidenschaft und meine Freiheit zu töten. Ich bin froh, dass ich das durchgestanden habe. Ich glaube, die Drogen haben mir am meisten geholfen.

Fotocredit: Natalia Ławska
Fotocredit: Natalia Ławska

Wie nutzt du SIKSA, um Widersprüche und Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen?
    Alex Freiheit: Ich glaube, ich habe in anderen Fragen schon ein wenig darüber gesprochen. SIKSA ist eine Musikband. Aber wir behandeln das Thema etwas breiter. Im Moment möchte ich bei Konzerten mit den Leuten tanzen und sie nicht mit dem belasten, was sie aus dem Internet kennen. Wie schon erwähnt, ich erzähle Märchen und singe abgefuckte ‚Weihnachtslieder‘, erzähle von She-Devil's Herstories und spiele die Kuhglocke. Ich sehe mich eher als Zirkusartistin, die keine bestimmte Technik beherrscht, denn als jemand, dessen Aufgabe es ist, über Ungerechtigkeiten zu sprechen. Ich spreche selbst Recht und tue, was mir gefällt, mit Stimme und Worten, mit polnischer und abstrakter Sprache, und ich mag es, wenn Menschen miteinander tanzen. Zurzeit bin ich daran interessiert, verschiedene sprachliche Erzählungen und formale Mittel in einer so begrenzten Form wie Gesang und Bassgitarre zu verwenden.

Deine Rhetorik gleicht einer Poetry-Slam-Veranstaltung mit musikalischer Untermalung. Wie hat dich Poetry-Slam beeinflusst?
    Alex Freiheit: Ich bin bei ein paar Slams aufgetreten, habe ein paar organisiert. Was mir daran wirklich gefiel, war, dass sie etwas völlig anderes waren als typische Poesieabende. Zurzeit bin ich nicht in diesem Bereich tätig. Es sind zu viele heterosexuelle Dichter dabei. In Poznań gibt es jedoch eine Initiative namens SLAMKA, die weibliche Version des männlichen Wortes SLAM. Da muss ich unbedingt hingehen, denn ich finde es gut, dass nicht-heteronormative Menschen, Mädchen, dort eine Stimme haben. Ich liebe Poesie, deshalb sehe ich mich auch als Poetin. Ich denke, Rap hat der Poesie viel gebracht und wie Musik Poesie im Allgemeinen verwendet. Auch der Punkrock hat seine Vorzüge. Warum also nicht all diese Dinge kombinieren: Rap, Punkrock, gesungene Poesie? Ich denke, in diesem Sinne ist Poesie für mich inspirierend. Aber ich liebe es auch, sie zu lesen. In letzter Zeit ist mein Favorit Zuzanna Ginczanka. Sie galt als eine der talentiertesten Dichterinnen der Zwischenkriegszeit. Ihre Gedichte sind wunderschön, aber es ist schwer zu erklären, worum es darin geht. Ich denke, dass es in der Poesie um Gefühle geht, um Berührung. Und ich liebe es, zu fühlen und berührt zu werden.

Warum habt ihr das Album ‚Siksa. Stabat Mater Dolorosa‘ komplett visualisiert?
    Alex Freiheit: Wir machen keine Videoclips zu unseren Songs, vielleicht für zwei oder drei. Außerdem hatten wir die Idee, mit Piotr Macha zusammenzuarbeiten, der ein Maler und visueller Künstler ist. Wir waren sehr neugierig darauf, wie wir zusammenarbeiten können, und es gefiel uns sehr gut. In diesem Video treten unsere Freund*innen auf. Also war es eine großartige Gelegenheit, mit diesen Talenten zu arbeiten. Die Idee war auch, das Video nicht online zu stellen, und das haben wir auch nicht getan. Wir schickten den Film an Kunstzentren, Galerien, Clubs, kleine Kinos und Squats und fragten die Leute, ob sie ihn umsonst zeigen wollen. Wir sind Kinoliebhaber*innen und uns gefällt die Idee, dass sich irgendwo auf der Welt Menschen an einem Ort treffen und der Film ohne unsere Anwesenheit gezeigt werden kann.