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Welcome to Paradise – oder: Wer stört hier eigentlich die Idylle?

Die Szene könnte aus einem Reiseprospekt stammen:
Strand, so weiß, dass er blendet. Wellen, die im perfekten Rhythmus ans Ufer rollen. Kinder bauen Sandburgen, Paare schlürfen Aperol Spritz. Willkommen in Europas Sommermärchen.

Doch plötzlich – ein Punkt am Horizont. Erst winzig, dann größer. Kein Kreuzfahrtschiff, kein Jet-Ski, sondern ein Schlauchboot. Darin: Menschen, nass, erschöpft, ohne Handgepäck.

Und plötzlich ist sie dahin, die Postkartenidylle. Statt „La Dolce Vita“ regiert der Reflex: Badegäste greifen zu Smartphones, nicht um Hilfe zu rufen, sondern um zu filmen. Manche johlen, manche brüllen. Eine bizarre Jagdszene am Strand – zuletzt geschehen in Spanien, Italien und auf griechischen Inseln – in der Bikini-Patrioten und Badehosen-Hüter die Festung Europa verteidigen, als hinge die Zivilisation an ihrer Liege.

Europa, die Festung im Sonnenöl

Italien unter Giorgia Meloni liefert die Parolen gleich mit: „Die Seegrenze ist die Staatsgrenze“, erklärte sie im Juli 2024, als ihr Kabinett ein Dekret verabschiedete, das NGOs für jede „unerlaubte“ Rettung im Mittelmeer mit bis zu 50.000 Euro Strafe bedroht.
Viktor Orbán in Ungarn winkt dazu mit der Nationalfahne: „Wir verteidigen unsere Kultur“ – was in der Praxis bedeutet, dass Menschen auf der Balkanroute in provisorischen Lagern festsitzen, während Polizisten sie in den serbischen Wald zurückdrängen.

FRONTEX, die EU-Grenzschutzagentur, meldet stolz „über 150.000 verhinderte illegale Grenzübertritte“ in der ersten Jahreshälfte 2025. Was die Statistik nicht verrät: Ein Teil dieser „Verhinderungen“ heißt schlicht, Menschen ihrem Schicksal auf dem Meer zu überlassen.

Deutsche Gründlichkeit trifft auf Grenzfantasie

Friedrich Merz sagte im Juni 2025 im Bundestag, Deutschland müsse „klar signalisieren, dass unkontrollierte Migration nicht möglich ist“ – was gut klingt, bis man begreift, dass „unkontrolliert“ in der politischen Praxis oft „humanitär geboten“ bedeutet.
Polen setzt derweil auf eiserne Härte. Die Regierung Tusk führt zwar eine andere Rhetorik als die PiS-Partei, hält aber an verstärkten Grenzkontrollen zu Belarus fest – trotz Berichten über Pushbacks, bei denen Menschen im Niemandsland zwischen Stacheldraht und Minenfeldern stranden.

Satiremodus: an

Vielleicht sollten wir konsequent sein und an allen Stränden Schilder aufstellen:

  • „Rettung verboten. Bitte nicht die Aussicht stören.“
  • „Selfies mit Booten nur in sicherem Abstand.“
  • „Für Solidarität bitte den VIP-Pass an der Rezeption abholen.“


Oder wir führen eine neue EU-Badeordnung ein:

  • Paragraph 1: Das Mittelmeer dient der Erholung.
  • Paragraph 2: Ertrinken ist nur mit gültigem Aufenthaltsstatus erlaubt.

Der wahre Störfaktor

Es sind nicht die Menschen in den Booten, die die Idylle zerstören. Es sind die Menschen, die glauben, ihre Strandliege sei der letzte Außenposten der westlichen Zivilisation. Es sind Regierungen, die aus Seenotrettung eine Straftat machen. Es sind Behörden, die Menschenrechte wie Saisonware behandeln: Nur verfügbar, wenn es passt.

„Kein Mensch ist illegal“ klingt wie ein alter Slogan, aber er ist aktueller denn je. Wer behauptet, man könne Menschen in Kategorien wie „erwünscht“ und „unerwünscht“ sortieren, hat nicht verstanden, was Menschlichkeit bedeutet – oder will es nicht verstehen.

Willkommen im Zynismus

Europa könnte ein Kontinent sein, der stolz auf seine Werte ist: Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte. Stattdessen wirkt es, als hätten wir sie gegen Strandliegen, Grenzzäune und populistische Wahlversprechen eingetauscht.
Das wahre Paradies liegt nicht am Meer. Es liegt in der Fähigkeit, Menschen in Not aufzunehmen, ohne vorher ihre Nützlichkeit zu prüfen.

Vielleicht sollten wir die Willkommensschilder an Europas Küsten neu schreiben:
„Welcome to Paradise – aber nur, wenn du schon hier geboren bist.“
Der Rest darf sich bitte in die Wellen zurückziehen.