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Not just boys fun-Mädchen im HC

Die Welt des Hardcore und ihre Geschlechterkonventionen

 

Marion Schulze ist Dozentin in Gender Studies am Zentrum für das Verständnis der sozialen Prozesse an der Universität Neuchâtel. Sie lehrt Undergraduate- und Graduate-Level-Kurse in Gender Studies und translokalen sub – undpopulären Kulturen. Für ihre Dissertation in Soziologie, untersuchte Marion die Geschlechter-Arrangements in der Subkultur Hardcore.

Für ihre siebenjährige, partizipierende Feldforschung zu Hardcore in Europa, Nordamerika und Japan untersuchte sie geschlechtsspezifische Konventionen, die geschlechtsspezifische Sozialisation und Geschlecht. Dieses Projekt wurde durch Zuschüsse von der Swiss National Science Foundation unter dem Titel „Not Just Boys ‘ Fun“ (1) finanziert. Für viele Mädchen im HC gehört es zu ihrer „Existenzweise“ dazu, aggressiv und wütend zu sein. Damit brechen sie allerdings oftmals mit den Geschlechtervorstellungen anderer und müssen dementsprechend ihre Position als „Mädchen“ beständig neu verhandeln. Genau diese Prozesse zeichnet Marion in ihren Vorträgen nach. Im weiteren Sinne ist ihr Vortrag(2) damit auch eine Einladung, Vorstellungen zu hinterfragen, wie mensch als Mädchen sein „sollte“ und sein „kann“. Marion mischt hier pädagogisch-soziologische Ansichten mit ethnographischen Beobachtungen. Marion beschreibt in ihrem Artikel „Not just noys fun“ das Konzept der „gendered substructure“ von Joan Acker, welches besagt, „dass Organisationen [in diesem Fall die HC-Szene] nicht gender-neutral, sondern auf eine tief eingebundene Substruktur von Geschlechterunterschiede[n] aufgebaut sind.“ Geschlechterdifferenzen werden reproduziert und damit in der Szene etabliert.

Den Ablauf von Konzerten versucht Marion anhand eigener Beobachtungen (etwa einer Bulldoze- und einer Cro-Mags-Show) zu beschreiben und nutzt wiederum diese Beschreibungen um hervorzuheben, dass die aktiven Frauen immer als das Andere stigmatisiert werden. „Bourdieu nennt dies die ‘ernsten Spiele des Wettbewerbs’(3), in denen Männlichkeit unter Männern hergestellt wird.“
Im Artikel verschweigt Marion aber nicht, dass es unter den Showbesucherinnen wohl auch tatsächlich solche gibt, die als „coatracks“(4) dienen. Die Autorin zitiert in diesem Zusammenhang Connell und nennt diese Mädchen „Komplizinnen ihrer eigenen Unterdrückung“.
In einem weiteren Schritt hebt Marion hervor, dass Mädchen allerdings nicht nur die Opfer eines männlich-dominierten Systems seien, „sondern selbst an der Konstruktion von Geschlecht mitwirken“, und zwar sowohl in Form von Reproduktion als auch Umkehrung, Erweiterung etc. Sie resümiert, dass es genau zwei Strategien für Mädchen im Hardcore gäbe: Einerseits die Forderung nach Emanzipation als Frau innerhalb der Szene, andrerseits die Verdrängung der Kategorie Gender aus dem Denken.

Marion, du hast Forschungen und Untersuchungen erstellt, wie Geschlechterbilder und -konstruktionen von Mädchen in der Jugendsubkultur Hardcore gebildet werden. Welche persönlichen Ereignisse/Erlebnisse haben zu diesen wichtigen gender studies geführt?
Ich bin ein hardcore kid; im Hardcore aufgewachsen. Was ich während meines Studiums in wissenschaftlichen Berichten über Hardcore oder auch anderen Forschungen zu Mädchen in „männlich dominierten Subkulturen“ las, passte überhaupt nicht mit meinen eigenen Erfahrungen zusammen. Für mich ist Hardcore kein Ort, an dem ich mich an die Jungen anpassen und unterordnen musste, um akzeptiert zu werden. Für mich ist und war Hardcore auch gerade deswegen einladend, weil Aggressivität, Wut und Hass Motor des Hardcores sind und zwar für Jungen und für Mädchen. Ich wollte hören, wie das andere erleben und sehen. Daraus ist dann eine Ethnographie über die Geschlechterarrangements im Hardcore entstanden. Dafür habe ich eine siebenjährige Feldforschung in Europa, Nordamerika und Japan durchgeführt.
Damit sind die Untersuchungen, die Du hier ansprichst, auch nur ein kleiner Teil meiner Forschung. Das bedeutet unter anderem auch, dass ich, wie Du es schon sagst, eine Geschlechterforschung und nicht Frauenforschung gemacht habe. Anders formuliert: „Wie wird Geschlecht im Hardcore hergestellt?“ ist eine ganz andere Ausgangsfrage als „Was machen Mädchen im Hardcore?“

 

Lag und liegt der Fokus deiner Arbeiten darauf, den Unterschied zwischen der männlichen Sicht auf Frauen und der weiblich erfahrenen Realität zu erörtern, und die männlich dominierten Theorien zu revidieren?
Nein. Es stimmt: Die Theoriemodelle, die zur Verfügung stehen, um Welten wie die des Hardcore zu verstehen, sind fast ausschließlich von Männern entworfen und auch die meisten Bücher und Filme zu Hardcore (ob von Wissenschaftlern oder nicht) sind auch von Männern geschrieben. Klar kommt hier dann oft ein androzentrischer Blick zum Tragen. Mir ging es aber um mehr. Es ging nicht um ein „Geradestellen“ des Blicks von Männern auf Hardcore, indem ich dem eine „Frauensicht“ entgegenstelle. Mir ging es darum Geschlecht nicht auf ein Geschlecht (Frauen oder Männer) zu beschränken, sondern in seiner Gänze nachzugehen: Welche Absprachen gibt es weltweit unter hardcore kids, wie mit Geschlecht umzugehen ist und wie werden diese eingesetzt, verhandelt und standardisiert? Wie wird Geschlecht unter hardcore kids immer wieder hergestellt, wie wird es erlernt? Wer weiß was über Geschlecht und was sind die Ressourcen für dieses Wissen und die gemeinsamen Absprachen? Das sind die Fragen, denen ich in meiner Arbeit nachgegangen bin.

 

In deinen Arbeiten mischt du pädagogisch-soziologische Ansichten mit ethnographischen Beobachtungen. Dienen diese Ansätze eher der Wissenschaft oder den Szeneaktivist_innen?
Ich würde das anders formulieren. Meine Arbeit ist eine Ethnographie der Geschlechterarrangements im Hardcore. Theoretisch baue ich auf die Literatur aus der Geschlechterforschung, Ethnologie, Soziologie, Ethnizitäts- und Globalisierungsforschung auf.
Was das Lesepublikum anbelangt oder wem meine Forschung dienlich ist: Meine Forschung ist zunächst einmal eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit. Es ist eine Dissertation in der Soziologie. Diese werden ausschließlich für eine sehr kleines, spezifisches Publikum geschrieben: Für die/den Doktormutter/vater. Natürlich war mir klar, dass ich meine Dissertation publizieren möchte, und ich habe dies beim Schreiben schon im Auge gehabt. Was wäre die ideale Leserin?
Ich habe irgendwo einmal gelesen, man solle ein Buch schreiben, dass man selber gerne lesen möchte. Das habe ich getan. Ich bin davon überzeugt, dass jeder etwas in dieser Arbeit finden kann. Theoretisch schlage ich Wege vor, wie meiner Ansicht nach produktiver über Geschlecht in Subkulturen gesprochen werden kann, als das bislang der Fall ist und wer wissen möchte, wie das so mit Geschlecht im Hardcore zugeht kann dazu detaillierte Beschreibungen und Analysen lesen. Insofern kann die Arbeit sicherlich für beide Parteien, die Du ansprichst, interessant sein.

 

In deinem Vortrag resümierst du Beispiele, wonach Frauen erst durch HC zum Mädchen wurden und sich als Mädchen identifizieren, dabei Eigenschaften von Männern adaptieren und sich anpassen. Warum lösen HC-sein und Mädchensein innere Konflikte aus und scheinen sich zu widersprechen?
Mir ging es in dem Vortrag um genau das Gegenteil: Gegen genau diese Art der Darstellung von Frauen in Subkulturen (sie müssen männliche Attribute annehmen, zu Männern werden, sich den Männern anpassen) wehre ich mich vehement.

 

Wie kommt es zu solchen Beschreibungen und Analysen?
Es wird immer noch und meistens implizit davon ausgegangen, dass Mädchen nicht aggressiv sind, nicht gewalttätig werden können. Wenn dies dann doch passiert, sind diese Verhaltensformen unverständlich, nicht klassifizierbar und werden erklärungsbedürftig. Denn dies können keine richtigen Mädchen sein, da davon ausgegangen, was diese Mädchen machen, machen normalerweise Jungen. Diese Mädchen sind also zu sehr „Junge“. Oftmals wird dann erklärt, diese Mädchen hätten keine andere Wahl, als so zu werden, denn sie müssten sich den von Jungen hergestellten Normen anpassen, sie müssten wie ein Junge werden, um akzeptiert zu werden.
Es wird also sehr selten davon ausgegangen, dass Mädchen dies vielleicht gar nicht so selbst erleben, leben und wahrnehmen. Meine Untersuchung zeigt zum Beispiel auf, dass alle Mädchen, mit denen ich Interviews geführt habe, unter anderem gerade deswegen im Hardcore sind, da sie dort ihre Wut, Hass und Aggressivität ausleben können und dies als Mädchen.
Der Konflikt, den ich in dem Vortrag angesprochen habe ist, dass Mädchen im Hardcore sich bewusst sind, dass sie damit mit konventionellen Geschlechternormen brechen. Sie sind sich darüber bewusst, dass für die meisten Leute (und auch viele hardcore kids) es nicht zusammen passt, rosa und Rosen gut zu finden und gleichzeitig auch Totenköpfe, das Schreien ins Mikrophon und aggressive Musik zu lieben. In ihren Augen stellen sie damit Geschlecht immer mit dem Risiko her, mit den Erwartungen anderer an ihr Geschlecht beurteilt zu werden. Sie müssen lernen, für sich eine Weiblichkeit zu akzeptieren und zu leben, die konventionell nicht akzeptiert ist, ihnen selber und ihrer ‚Existenzweise’ aber entspricht.
Im Grunde genommen geht es hier um die Verhandlung zwischen (a) konventionell geteilten Vorstellungen davon, was ein ‚typisches’ Mädchen sein und machen soll, mit (b) Vorstellungen und ‚Existenz’- und Verhaltensweisen, die sie als hardcore kid und als Mädchen leben und selbstverständlich finden.

 

Wie genau werden Geschlechterdifferenzen reproduziert und damit in der HC-Szene etabliert? Über welche Bilder, Klischees, Regelungen etc. wird Weiblichkeit oder Männlichkeit im Punk/HC konstruiert?
In meiner Arbeit gehe ich davon aus, dass es Hardcore nur gibt, da viele Leute beständig an seiner Existenz arbeiten. Keine Arbeit, kein Hardcore – um da eine Aussage vom Soziologen Bruno Latour zu paraphrasieren. Der Soziologie Howard Becker hat sehr schön aufgezeigt, dass diese Zusammenarbeit (er spricht von kollektiver Aktivität) deswegen so gut und reibungslos funktioniert, da Leute Absprachen untereinander haben. Es wird nicht immer wieder neu entschieden, wie ein Konzert abläuft, wie man tanzt, wie im Hardcore zu singen ist etc.
Dafür gibt es Absprachen. Diese Absprachen gibt es auch dafür, wie mit Geschlecht im Hardcore umzugehen ist und sie sind, wie alle anderen Absprachen auch, in Platten, Büchern und Traditionen eingeschrieben und müssen von jeder/m erlernt werden, der/die am Hardcore teilhaben möchte. In meiner Arbeit habe ich im Detail einige dieser Geschlechterkonventionen auf 150 Seiten besprochen. Deswegen bleibe ich bei dieser knappen Antwort.

 

Sind Männer in den Subkulturen Punk/HC das privilegierte Geschlecht?
Was würde das bedeuten? Dass es Männer im Hardcore leichter haben als Frauen? Leichter für was? Akzeptiert zu werden? In Bands zu spielen? Bei Gesprächen ernst genommen zu werden? Ein Fanzine herauszubringen? Eine Show zu organisieren? Auf eine Show zu gehen? Es ist wichtig da genau hinzuschauen, denn die Antwort fällt je nach Situation unterschiedlich aus. Ich nehme hier einmal das Beispiel in Bands zu spielen und zu tanzen, denn da sind Männer, was ihr Geschlecht anbelangt, öfter im Vorteil gegenüber Frauen.
Wenn Du dem folgst, was hardcore kids zu Frauen in Bands sagen, dann gibt es da zwei gegensätzliche Erzählungen.
Zum einen: als Frau ist es doppelt so schwer im Hardcore als für Männer. Das bedeutet – ohne jetzt auf diese Argumentation im Detail einzugehen -, das eigene Geschlecht wird effektiv für Frauen in manchen Situationen zu einem Zusatzgewicht. Eine andere Erzählung ist, Frauen hätten es (zunächst) einmal leichter als Männer: der Frauenbonus. Ich habe das mit Theorien aus der Professionsforschung verglichen. Dort wird für Frauen, die in Positionen in der Chefetage aufsteigen möchten, von einer Glasdecke gesprochen – einer unsichtbaren Barriere. Vom Glasaufzug wird hingegen von Männern in Frauenberufen gesprochen. Männer steigen dort wesentlich schneller auf als ihre Kolleginnen. Im Hardcore hingegen stehen beide Erzählungen – es ist leichter und es ist schwieriger – nebeneinander und das für Frauen. Diese beiden Erzählungen können insofern verbunden werden, da das Aufsteigen vielleicht zunächst schnell verlaufen mag, aber danach Frauen, die in einer Band sind oder die tanzen oft auf Barrieren, die mit ihrem Geschlecht zu tun haben.
Auf der anderen Seite heißt das aber auch nicht, dass es für Jungen immer einfach(er) ist. Auch hier gibt es Konventionen. Zum Beispiel die dominante Männlichkeit des tough guy. Was tun, wenn Du als Mann dünn und ohne Muskeln bist, Gewalt verabscheut, nicht gerne tanzt, aber trotzdem gerne beatdown/tough guy hxc/moshcore (wie auch immer du das nennen magst) hörst? Was tun, wenn Du in einer tough guy Band singst und Du weißt, viele denken, Du gingest respektlos mit Frauen um und würdest Dich in jede Schlägerei sofort einmischen und Du lebst genau das Gegenteil? Davon habe ich einige Geschichten gehört. Nicht umsonst gibt es viele Fotos, in denen sich Jungen in Szene setzen und sich über ihre nichtvorhandenen Muskeln lächerlich machen.

 

Was begünstigt eine männerdominierte Struktur und welche negativen Eigenschaften können sich hieraus entwickeln?
Mir ist der Begriff „männerdominierte Struktur“ nicht ganz klar. Wenn es bedeutet, es sind numerisch mehr Männer als Frauen im Hardcore (Struktur), dann war das keine Frage, die mich interessiert hat, denn sie beinhaltet schon eine Wertung und zwar, dass die numerische Dominanz von Männern sich negativ auf Frauen auswirkt. Zudem sind die meisten Frauen, mit denen ich Interviews geführt oder gesprochen habe, gerade deswegen im Hardcore, da es numerisch dort mehr Männer gibt. Sie sagen, sie kommen besser mit den Umgangsformen unter Männern aus. Außerdem: Hardcore wäre nicht mehr Hardcore, wenn dies nicht der Fall wäre. Wieso heben hardcore kids die Unwichtigkeit von Geschlecht für die Teilhabe am Hardcore hervor, wenn die numerische Proportion von 1:3 doch recht bestechend ist? Oder: Wie erklären sich hardcore kids, dass es so wenige Frauen im Hardcore gibt? – das sind für mich spannendere Fragen.

 

Auf Punk/HC-Konzerten sind Frauen oft „nur“ Freundinnen von irgendwem, die sich nicht wirklich „rantrauen“. Sind das Vorurteile oder hast du das auf Konzis ganz anders wahrgenommen?
Mir ging es nicht darum herauszufinden, wie weit das richtig ist. Ja, es stimmt: Es wird immer wieder von den „Freundinnen von“ gesprochen. Wenn ich zum Beispiel gefragt habe: Wer ist denn das Mädchen da? Ich habe die hier noch nie auf Konzerten gesehen“, ist die Antwort meistens: „Ach, das ist nur die „Freundin von x“. Mich hat vielmehr interessiert, warum ständig über diese „Freundinnen von“ gesprochen wird. Warum scheint dies wichtig? Wofür dient das? Warum ist es ein Begriff (eine Kategorie), die alle, sobald sie im Hardcore sind, kennen und sofort einzusetzen wissen? Zusätzlich taucht sie zumeist nicht allein auf, sondern im Zweigespann mit dem „aktiven, realen, echten Mädchen“. Schaut man sich das genauer an, sieht man, dass die Kategorie der Freundin von hilft, Grenzen zu ziehen, wer und was Einlass in den Hardcore hat und wer und was nicht. Hardcore hat keine materiellen Grenzen wie Mauern um sich. Grenzziehungen zu einem Außen müssen symbolisch gezogen werden. Ein Mittel von etablierten Männern wie Frauen dies zu tun, ist Frauen als „Freundin von“ zu labeln. Das Label kann im Umkehrschluss auch wie eine Bedienungsanleitung gelesen werden, wie sich im Hardcore als Frau zu verhalten ist, um akzeptiert zu werden. Dazu gehören (auch für Männer) das Aktivsein für den Hardcore; etwas für den Hardcore tun, der Szene zurückzugeben. Die „Freundin von“ hingegen ist nicht am Hardcore interessiert, nicht daran interessiert für Hardcore aktiv zu werden, am Hardcore teilzuhaben, sondern ist an den Jungen interessiert, die im Hardcore aktiv sind. Zudem wird mit dem Label der „Freundin von“ meistens eine Frau beschrieben, die in ihrer Kleidung durch sexuelle Reize besticht – Ausschnitt, Absätze etc. Dies sind abermals Zeichen, dass sie nicht am Hardcore teilhaben möchte. Was aber vor allem mit dem Ausschluss dieser Weiblichkeit passiert, ist die Möglichkeit der sexuellen Anziehung aus vielen Situationen herauszuhalten. Die Vorstellung von einigen ist, ein Junge kann einfacher ein Mädchen als hardcore kid akzeptieren, wenn er nicht ständig durch ihr Dekolleté abgelenkt wird, denn so signalisiert das Mädchen auch nicht ihr Interesse am Hardcore, sondern an dem im Hardcore involvierten Jungen.

In „Not just boys fun“ schreibst du, dass es unter den Showbesucherinnen wohl auch solche gibt, die als „coatracks“ dienen und nennst diese Mädchen „Komplizinnen ihrer eigenen Unterdrückung“. Was meinst du damit?
Ich habe mich hier auf die Soziologin Raweyn Connell bezogen. Sie geht davon aus, dass sich mehrere Männlichkeiten und Weiblichkeiten in einem System von Machtbeziehungen entgegenstehen. Die hegemoniale Männlichkeit ist für sie die Männlichkeit, die alle anderen Männlichkeiten wie Weiblichkeiten unterdrückt. Einige der unterdrückten Männlichkeiten und Weiblichkeiten akzeptieren nach Connell ihre Unterdrückung und arbeiten somit an ihrer eigenen Unterdrückung mit. Heute – den Artikel habe ich vor 6 Jahren geschrieben – würde ich das so nicht mehr formulieren.
Coatrack ist für mich eine Kategorie, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung unter Frauen und Männern im Hardcore karikativ verdeutlicht: Zu tanzen ist der Job der Männer und nicht der der Frauen. Was mir an der Formulierung von Connell nicht mehr passt, ist, dass dort davon ausgegangen wird, Frauen seien passiv und wüssten nicht, dass sie so ihre eigene Unterdrückung fortführen. Diese Idee geht für mich nicht auf. Die meisten Frauen im Hardcore sind sich über Ungleichheiten sehr bewusst und manche entscheiden sich bewusst dafür nicht am Tanzen teilzuhaben – genauso wie einige Männer das tun. Zum anderen ist der Theorierahmen von Connell sehr machtzentriert. Es geht um Konflikte, Unterdrückung, Rebellion. Ich habe mich viel mehr auf das Gemeinsame, die Zusammenarbeiten, die Beteiligung Aller konzentriert, was bei Connell und auch in anderen Theorieansätzen völlig untergeht.

 

Wie wirkt frau selbst an der Konstruktion von Geschlecht mit?
Diese Frage ist gut, denn sie nimmt Frauen als MitarbeiterInnen am Hardcore ernst. Genauso spannend ist allerdings die Frage, wie „Mann“ selber an der Konstruktion von Geschlecht mitwirkt. In den Sozialwissenschaften wird spätestens seit den 1970ern davon ausgegangen, dass Geschlecht nicht biologisch festgelegt ist (heutzutage noch weniger, da z.B. jede/r mit einer Operation und der Einnahme von Hormonen das ‚biologische’ Geschlecht ändern kann). Es wird hingegen von Geschlecht als sozialer Konstruktion ausgegangen. Das bedeutet, Geschlecht und vor allem der Glaube an allein zwei Geschlechter (Frau und Mann) und die damit hergestellten Differenzen sind sozialer Natur, also von Menschen selber gemacht. Zimmerman und West haben deswegen geschrieben, das Geschlecht herzustellen Arbeit ist: es muss beständig etwas getan werden, damit der Glaube an zwei und nur zwei Geschlechter aufrecht gehalten werden kann und diese klar voneinander unterschieden werden können. Mit der alltäglichen Arbeit an Geschlecht trägt jede/r dazu bei, dass es Geschlecht überhaupt erst gibt.
Es sind in dem Sinne nicht nur Frauen, sondern auch Männer – aber auch alle die sich nicht einordnen wollen, die an Geschlecht und unseren Vorstellungen davon wie Mann/Frau (nicht) sein sollten mitarbeiten. Dies passiert in fast jeder sozialen Situation – auch denen des Hardcore – und fängt schon damit an, dass wir uns mit Namen adressieren, denen wir ein Geschlecht zuweisen.

 

Kennst du konkrete Situationen, gibt es Beispiele, wo Frauen „Stopp, das will ich nicht, da müssen wir was ändern!!!“ sagen und selbst aktiv werden?
Du meinst die Geschlechterverhältnisse im Hardcore und nicht etwa die Abrohdung des Regenwaldes für Palmöl? Wie du es formulierst hört es sich zudem fast so an, als würden Mädchen immer auf die Männer warten, damit sie diese Situation ändern.
Ja, sicherlich. Aber was heißt aktiv werden? Denn das kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen und Art und Weisen geschehen. Ich habe z.B. wenige solche konkreten Situationen vor allem auf Konzerten gesehen. Ein Beispiel gebe ich in meinem Artikel, wo ein Mädchen auf einer Bulldoze Show in London das Mikrophon in die Hand nimmt und sagt: „Wir wollen auch tanzen. Nimmt auf uns Rücksicht“. Es gibt auch viele andere Sichtbarmachungen von Frauen, um Änderungen herbeizuführen: Sampler allein mit Bands in denen Frauen spielen oder Internetseiten, die sich Frauen im Hardcore verschrieben haben. Dann auf individueller Ebene gibt es Frauen, die – ohne das groß publik zu machen und in dem sie einfach ihr Ding machen – sich nicht nur verbal, sondern physisch verteidigen. Aber es kann auch ein Mädchen sein, dass sich sagt: Ich tanze und vielleicht nehmen sich dann andere Mädchen daran ein Beispiel. Eine Sängerin hat mir in diesem Sinne bspw. gesagt, sie hoffe, Leute dächten bei ihren Auftritten: „Oh, Mädchen können das auch!“.
Davon abgesehen, ist die Frage wieder sehr einseitig. Genau diese Handlungen/Überlegungen können auch von Männern ausgehen. Nur weil der numerische Großteil im Hardcore Männer sind, bedeutet das nicht, dass alle Männer mit dem einverstanden sind, wie das so im Hardcore mit Geschlecht abläuft. Ich denke da an 7 Seconds oder Good Clean Fun als bekannte Beispiele. Genauso bedeutet das nicht, dass alle Frauen Hardcore als geschlechterungerecht erleben.

 

Wie werden Verstöße gegen sexistische, diskriminierende Vorstellungen im Punk/HC geahndet oder sanktioniert?
Auf unterschiedliche Arten. Es gibt konkrete Ausschließungen und diese werden auch oft von Jungen gemacht. Das heißt, einzelne Personen boykottieren Bands und gehen nicht auf deren Konzerte oder Konzerte werden von den OrganisatorInnen abgesagt. Es gibt auch Ansagen vor Liedern wie „Diese Art von Männern hat im Hardcore nichts zu suchen“, denen können auch physische Auseinandersetzungen vorgehen oder folgen.
Eine ganz andere Art damit umzugehen, und das ist womöglich der heutigen Größe von Hardcore geschuldet, ist das Ausblenden. Es wird einfach gesagt: „Das ist nicht mein hxc“. Es wird sich dann von dieser Art von Hardcore abgewandt und sich auf andere Bands konzentriert, ohne dass die „unerwünschte“ Band Sanktionen erfährt. Kann dann noch von Ahndung gesprochen werden? Ich weiß es nicht.
Eine andere Frage ist auch, ab wann ein Verhalten als ein sexistisches, diskriminierendes Verhalten definiert wird. Da gibt es sicherlich unterschiedliche Auffassungen. Das letzte Strife Video „Carry the Torch“(5)ist dafür ein phantastisches Beispiel. Es sind nur Männer zu sehen und die Hauptstory wird durch eine Art Kreuzung von Wikinger und Rambo verbildlicht, der die „Fackel“ der alten Generationen trägt und deren Weisheiten an die neue Generation überliefern soll. An wen wird dieses „ewige Licht des Hardcores“ gereicht? Natürlich an einen kleinen Jungen. Ist das Video diskriminierend, sexistisch? Grundsätzlich, finde ich, dass genau solche Diskussionen im Hardcore über die Jahre wesentlich weniger geworden sind. Es scheint da Wellen von Wichtigkeit zu geben. Ich bin, wie gesagt, ein hardcore kid der 1990er. Da war es nicht selten, Leute mit „End sexism“ T-Shirts auf Shows zu sehen und diese Fragen wurden sehr diskutiert und ein entsprechendes Verhalten geahndet. Dann der backlash in den 2000ern. Auch wenn recht verhalten und in recht keiner Anzahl, gibt es da Bandmitglieder, die in Interviews von „tour sluts“ reden, Sänger, die sich wie Zuhälter präsentieren oder Bands, die Eigenwerbung mit nackten oder leichtbekleideten Frauen machen. Und jetzt neuerdings das Erinnern an die „alten Werte“ und das erneute Wichtigmachen von Politik und damit auch Geschlechterpolitik im Hardcore.

 

LOKALMATADORE definieren ihre Musik als „Männer Rock and Roll“. Ein klassisches Beispiel, wie Rollenbilder reproduziert und Machtverhältnisse gefestigt werden. Bands wie DIE KASSIERER relativieren den Sexismus-Vorwurf mit Formen der Satire und Kunst. Warum haben diese Bands so große Handlungsfreiräume und werden weniger boykottiert?
Ich drehe das mal provokativ anders: Endlich mal eine Band aus Männern, die sich über Geschlecht definiert. Sonst sind es immer Frauen, die als Sprecherinnen für die Geschlechterungerechtigkeiten im Punk/Hardcore herhalten müssen (Anmerkung: Ich schreibe hier auch Punk, da Lokalmatadore und Kassierer für mich das sind). Ein Blick in alle Bücher über Hardcore reicht. Werden, wenn überhaupt, Frauen interviewt, dann immer nur um zu berichten, wie es als Frau im Hardcore so ist oder war. Ich habe bislang noch nie ein Interview gelesen, wo ein Mann gefragt wird, wie es als Mann denn so im Hardcore ist und für die meisten Männer, mit denen ich Interviews gemacht habe, war es auch schwierig diese Frage zu beantworten. Für die Mädchen jedoch nicht. Sie sind die Versuchstiere, ob Hardcore sein Versprechen gegenüber der Verbannung des Sexismus einlöst. Es ist so, als wenn sie keine anderen Stories zu erzählen haben, da sie ihre ganze Zeit im Hardcore mit dem Kampf gegen ihre eigene Unterdrückung verbringen.
Vielleicht wird diese Band jetzt dann auch mal zu ihrem Mannsein befragt? Und wie es denn so ist als Mann im Punk zu sein? Das wäre ein Novum.
Zu der anderen Frage: Satire ist eine akzeptierte Konvention, um homophobe oder sexistische Aussagen abzuschwächen. Denn genau diese Aussagen, können zu Sanktionen oder zum Ausschluss führen. Wenn ich sie dann als Scherz verkaufe, ist das akzeptiert, da es ja nicht ernst gemeint war und so einfach entschuldigt werden kann. Im Hardcore passieren diese Aussagen aber nur in bestimmten Situationen – meistens im backstage und da bleiben sie dann auch. Ich habe noch keine Band sexistische Aussagen auf der Bühne sagen hören (was extremst selten passiert), ohne dass das geahndet wurde und sich der Saal halb räumte.
Was die Handlungsfreiräume anbelangt, kann ich gar nicht so viel dazu sagen, da die beiden Bands, die Du nennst, für mich Punk machen. Dort weiß ich nicht gut genug, wie so etwas gehandhabt wird. Ansonsten gilt hier sicherlich auch, was ich oben schon erwähnt habe: Punk ist groß; es gibt viel Auswahl. Wenn der „mainstream punk“ einem nicht gefällt, hört man sicherlich crust punk und es würde mich wundern, wenn die Leute dort so etwas akzeptieren würden.

 

Marion, warum sind eigene Freiräume für Genderqueer wichtig und notwendig? In diesen geschützten Räumen können Ideen entwickelt werden, aber wie können diese Ideen hier gesellschaftliche Prozesse beeinflussen?
Was ist Genderqueer? Freiräume wo? Wieso geschützt? Sind genderqueer keine gesellschaftlichen Prozesse? Ich halte die Gegenüberstellung von einer Gesamtgesellschaft und kleineren, unterdrückten Einheiten wissenschaftlich nicht mehr für aktuell (wenn sie es je war). Das entspricht für mich nicht der gesellschaftlichen Realität.
Wenn Du allerdings damit meinst, dass sich Leute in Orten zusammen finden, die sie als Freiräume empfinden, da sie sich akzeptiert fühlen, so sein können wie sie sind, sind diese Orte sicherlich überlebenswichtig für viele. Ob das drag balls sind oder Hardcore Konzerte. Ein Zusammenhaltsgefühl und das Gefühl nicht alleine zu sein, eine (zweite) Familie zu haben, gibt natürlich auch Stärke und kann dann auch motivieren, etwas an den sozialen Situationen und Welten zu ändern, in denen man sich nicht willkommen fühlt.

 

Gibt es in der Subkultur HC Erfahrungswerte, inwieweit Männer sich auf Kritik einlassen, und ihr gefestigtes Geschlechterbild reflektieren und ändern?
Haben alle Männer gefestigte Geschlechterbilder? Haben alle Frauen das nicht? Die Frage ist mir zu einfach und steckt alle Männer und alle Frauen in einen Topf. Als wenn Frauen, weil sie Frauen sind, für Geschlechterfragen offen sind und Männer, weil sie Männer sind, das nicht sind.
Mir haben viele Männer gesagt, Hardcore habe sie mit neuen, anderen Geschlechterbildern konfrontiert und sie haben sich erst mit ihrer Teilhabe am Hardcore mit Sexismus auseinander gesetzt oder auch das Ernährer-Hausfrauenmodell hinterfragt. Wenn Du also mit Erfahrungswerten meinst, ob mir Männer in Gesprächen gesagt haben, dass ihre Teilhabe am Hardcore ihre Geschlechterbilder verändert hat, dann: ja. Wie weit das generalisierbar ist und auf alle Männer zutrifft, kann ich nicht sagen, auch wenn andere Forschungen (ich denke an die von Ross Haenfler) (6)ähnliches aufzeigen.

 

In deinem Aufsatz forderst du die Emanzipation als Frau innerhalb der Szene? Welche Voraussetzungen müssen hierfür gegeben sein und welche Konzepte können diese umsetzen?
Nein. Ich fordere WissenschaftlerInnen auf, die AkteurInnen, für die sie sich interessieren, ernster zu nehmen als ihre wissenschaftlichen Theorien und zuzuhören und zu beschreiben, bevor sie – mit ihren wissenschaftlichen Brillen – (ver)urteilen. Wenn ein/e ForscherIn davon ausgeht, dass Frauen nicht aggressiv sein können, da sie so sozialisiert worden sind, dann erstaunt es nicht, dass Mädchen als passive Teilnehmerinnen in Subkulturen dargestellt werden, die sich Jungen unterordnen müssen.
Mir liegt es dementsprechend fern, Handlungsanweisungen zu geben und Leuten, die es oft besser wissen, Rezepte in die Hand zu geben, ihr Leben zu leben. Das ist eine wissenschaftspolitische Entscheidung. Wenn aber was ich beschreibe, einen Aha-Moment auslöst und irgendwer dadurch aktiv wird, weil sie/er etwas besser verstanden hat, dann ist dies auch gut.
Hardcore ist für mich eine Welt, an der jede/r soviel Sprachrecht hat, dass wenn ihr/ihm etwas nicht passt, sie/er es ändern kann. Wenn wer etwas ändern möchte, weil einen etwas stört, OK: dann TUE was. Das ist doch Hardcore (zumindest für mich und da spreche ich als hardcore kid): Sei aktiv! Denke kritisch. Änder’ das was dich stört. Nicht morgen, sondern jetzt. Wenn nicht wer, als Hardcore selber, ist dafür eine bessere Lehrerin? Und dieses Zine ist ein perfektes Beispiel dafür und ich bin froh, dass ich daran teilhaben konnte.
Danke Fred, für Deine spannenden Fragen.

 

Anmerkungen:
(1) Not Just Boy’s Fun. Mädchen im Hardcore. In: Gabriele Rohmann (Hrsg.): Krasse Töchter. Mädchen in Jugendkulturen. Berlin 2007. S. 91-105.)
(2) Vortrag als MP3:
http://www1.uni-hamburg.de/QUEERAG/podcast/schulze_m_hc_2012_CCohnemusik.mp3
(3) zitiert wird hier der Aufsatz „Die männliche Herrschaft“, Irene Dölling und Beate Krais (Hrsg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt a.M. 1997. S. 203, in denen Männlichkeit unter Männern hergestellt wird.
(4) coatracks bezeichnet in diesem Zusammenhang Mädchen als Kleiderständer, die den Rucksack ihres Freundes halten, während dieser tanzt.
(5) http://www.youtube.com/watch?v=1fTzR2FKwJg
(6) Ross Haenfler ist US-amerikanischer Soziologie-Professor und Autor, u.a. „Straight Edge- Clean living Youth, Hardcore Punk and social change“.