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Olchis containern

Ist das Essen oder kann das weg? Supermärkte schmeißen Tonnen an Essen weg. Caro und Franzi retteten Lebensmittel aus Müll-Containern eines Edeka-Supermarkts. Die beiden Studentinnen waren am 4. Juni 2018 bei einem Edeka containern.

An diesem Abend holten sie Gemüse und einige Milchprodukte aus der Tonne. Kurz bevor sie sich auf den Heimweg machen wollten, tauchte eine Polizeistreife auf und nahm ihre Personalien auf. Ihnen wurde vorgeworfen, Lebensmittel von Edeka „gestohlen“ zu haben und wurden des „besonders schweren Fall des Diebstahls“ (§ 243 StGB) angeklagt. 
Am 30. Januar wurden sie vom Richter in der Hauptverhandlung wegen „einfachen Diebstahls an wertlosen Lebensmitteln“ verwarnt.
Zuvor organisierten sie im Ort Kundgebungen und Demos und kämpften zusammen mit vielen UnterstützerInnen, SympathisantInnen für die Entkriminalisierung des Containerns, sowie gegen die massive Lebensmittelverschwendung. Das mediale Interesse an diesem Fall war sehr groß. Genauso groß ist das Interesse, dass Containern nicht mehr bestraft wird.
Auf ihrem Blog1 haben sie die vielen Eindrücke und eine Sammlung von medialen Berichterstattungen über das Containern sowie über die Hauptverhandlung veröffentlicht. Die Berichterstattung erreichte auch Menschen in anderen Ländern, auch einige PolitikerInnen empörten sich, dass die beiden Studentinnen verurteilt worden sind. So gibt der Fall auf vielen Ebenen Anlass zur Diskussion und das Thema Lebensmittelverschwendung findet Einzug in die aktuellen Debatten in/von Politik und Gesellschaft.
Wir haben bei Caro und Franzi nachgefragt.

Kundgebung in Olching
Kundgebung in Olching

«Wir müssen über die Ordnungsmacht des öffentlichen Sektors sprechen, anstatt über freiwilliges Verhalten bei Konsument*innen.»

Caro und Franzi, jährlich werden 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, obwohl ein Großteil davon noch genießbar ist. Das entspricht fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs in Deutschland. Warum schmeißen wir so viel weg?
    Sowohl Handel, als auch Produktion und wir als Verbraucher*innen tragen zur Lebensmittelverschwendung bei. Diese drei Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. Laut WWF-Studie, welche 18Mio. Tonnen Lebensmittelmüll pro Jahr in Deutschland ermittelt hat, stammen knapp 40% aus Privathaushalten, ca. 30% fallen im Einzelhandel und in der Gastronomie an und die restlichen 30% des Lebensmittelmülls werden bei der Produktion verursacht, noch bevor die Produkte überhaupt im Supermarkt landen. Um diese Zahlen in Relation zu sehen: Mit dem Essen, das wir in Europa und Nordamerika wegwerfen, könnten alle Hungernden der Welt dreimal satt werden.
Wir haben eine enorme Überproduktion, Teil des Problems ist die Gestaltung der EU-Agrarsubventionen nach Fläche. Obst und Gemüse ist genormt, das heißt beispielsweise krumme Gurken werden bereits am Anfang der Produktions- und Vermarktungskette aussortiert. Zum Wegwerfen verleitet auch das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Zum einen sind Supermärkte dazu verpflichtet, abgelaufene Lebensmittel aus den Regalen zu nehmen. Zum anderen missverstehen erschreckend viele Verbraucher*innen das Datum nach dem Motto „tödlich ab“. Viele Produkte, wie Tee, Gewürze oder Salz können gar nicht schlecht werden. Auch Milchprodukte, wie Joghurts, sind noch lange nach Ablauf des MHD genießbar. In diesen Fällen ist das MHD nur als Gewährleistung für den Erhalt von Konsistenz und Geschmack zu verstehen. An möglichst kurzen, missverstandenem MHDs hat auch die Industrie ein nicht unerhebliches marktwirtschaftliches Interesse: je kürzer die Haltbarkeit, desto schneller der Ablauf und desto größer der Umsatz.

Was regt euch mehr auf: das gleichgültige Konsumverhalten der EndverbraucherInnen oder die Überproduktion der Industrie?
    Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Sie ist aus unserer Sicht eng mit der Fragestellung verbunden: Warum lassen wir überhaupt eine solche Überproduktion und Verschwendung zu? Gründe hierfür sind zu finden in einem Zusammenspiel aus einem fehlenden Bewusstsein für Lebensmittel und marktwirtschaftlichen Interessen.
Mit unserem konkreten Fall konzentrieren wir uns natürlich verstärkt auf die Verschwendung bei Supermärkten. Hieran sind auch wir Verbraucher*innen nicht unerheblich beteiligt. Wer erwartet, dass der Supermarkt zu jeder Tageszeit ein komplettes Sortiment aufweist, braucht sich nicht zu wundern, dass letztendlich viel davon im Müll landet. Auch wäre es sinnvoller, kleine Märkte zu unterstützen oder gar direkt beim Erzeuger Lebensmittel zu beziehen. Doch als Verbraucher hat mensch selten großen Spielraum, sei es aus zeitlichen, finanziellen oder andere Gründen. Wir befinden uns alle in gewissen Strukturen, die wir nicht als Einzelne ändern können. Wenn wir die Lebensmittelverschwendung und den Klimawandel aufhalten wollen, müssen wir ganz grundsätzlich Strukturen verändern. Dazu gehört unter anderem die Abwendung von der Agrarindustrie, welche auf Überproduktion ausgelegt ist. Es ist kein sinnvolles Konzept, darauf zu warten bis der Großteil der Gesellschaft seine Konsumgewohnheiten ändert, wenn gleichzeitig eine riesige Industrie die Konsument*innen mit Angeboten lockt. Wir erleben, wie in den letzten Jahren der Diskurs um Nachhaltigkeit und Klimawandel vor allem auf der Verbraucherebene geführt wird und sehen, wie wenig Erfolg diese Strategie hat. Wir müssen über die Ordnungsmacht des öffentlichen Sektors sprechen, anstatt über freiwilliges Verhalten bei Konsument*innen. Deshalb appellieren wir an die Politik, dass der verlautete Tatendrang in sofortige und grundlegende strukturelle Veränderungen übergeht. Wir können uns keinen weiteren Aufschub erlauben!

Sollte es aber weniger um die Schuldfrage gehen, als mehr den Fokus auf lösungsorientierte Alternativen zu legen? Aber wo sind die Grenzen der bewussten KonsumentInnen?
    Die Grenzen der Konsument*innen im Supermarkt liegen beispielsweise darin, dass mensch sich entscheiden muss zwischen der Biogurke in Plastik, oder der konventionellen Variante in Plastik. Es gibt mittlerweile viele Alternativen, auf die mensch zurückgreifen kann oder Initiativen, um sich zu engagieren. Besonders politisches Engagement scheint uns am sinnvollsten, um Strukturen zu verändern.

LebensmittelhändlerInnen setzen auf Freiwilligkeit, abgelaufene Lebensmittel zu spenden. In einem Rewe-Markt in Bad Brückenau steht seit Anfang 2018 ein eigenes Regal für Produkte mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum, KundInnen können Lebensmittel aus dem „Food-Share-Regal“ kostenlos mitnehmen. Und zwar so viel, wie sie wollen. Und mit Sirplus gibt es in Berlin einen kompletten Supermarkt für ausrangierte Lebensmittel. Lassen sich die Verhältnisse mit Freiwilligkeit grundlegend und dauerhaft ändern?
    Diese Eigeninitiativen von Supermärkten sind eine super Sache. Filialleiter*innen oder Mitarbeiter*innen sehen ja tagtäglich die enormen Mengen, die weggeworfen werden. Hieraus ist die logische Schlussfolgerung, dass man diese noch weitergibt. Manche Supermärkte argumentieren ja leider dagegen, weil sie sagen, dass die Menschen dann nur noch zum „Food-Share-Regal“ gehen und der Supermarkt dadurch finanzielle Einbußen hat. Wir schätzen die Lage eher anders herum ein. Supermärkte, die Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung umsetzen, werden beliebter. Außerdem löst eine solche Initiative noch viel mehr aus. Die Lebensmittel landen nicht mehr in den meist unzugänglichen Tonnen, sondern werden für den Verbraucher sichtbar. Dies trägt das Thema Lebensmittelverschwendung noch mehr in den alltäglichen Fokus der Menschen.
Allgemein sind wir jedoch der Ansicht, dass Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung nicht auf Freiwilligkeit beruhen dürfen. Ein paar Märkte werden Initiative zeigen, insgesamt ist das System jedoch träge. Wir müssen jetzt handeln und es braucht klare Vorschriften. Aus diesem Grund haben wir eine Online-Petition ins Leben gerufen, in der wir fordern, dass Supermärkte dazu verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel weiter zu verteilen, wie es auch schon in anderen EU-Ländern der Fall ist. Mittlerweile sind es über 100.000 Unterschriften geworden.

Kundgebung in Olching
Kundgebung in Olching

Während das umfängliche Wegwerfen essbarer Lebensmittel aus Profitgründen erlaubt ist, steht das Retten genießbarer Lebensmittel, das sogenannte Containern, unter Strafe. Was waren eure Erfahrungen im Strafprozess gegen euch?
    Am 30. Januar fand die Hauptverhandlung statt. Wir bekamen eine Verwarnung wegen einfachen Diebstahls an wertlosen Lebensmitteln, aber keine Strafe. Der Richter bestätigte uns während der Gerichtsverhandlung mehrmals ehrenwerte Motive. Die Staatsanwaltschaft München II hielt bis zuletzt an der Verurteilung wegen besonders schweren Falls des Diebstahls fest. Zuletzt sah der Richter den Tatbestand des einfachen Diebstahls als erfüllt und sprach uns schuldig. Die ausgesprochene Verwarnung beinhaltet eine Auflage von jeweils 8 Sozialstunden bei der Tafel. Außerdem stehen 15 Tagessätze a 15€, also 225€ unter Vorbehalt. Wenn wir uns in den nächsten zwei Jahren nichts zuschulden kommen lassen, dann müssen wir diese 225€ nicht zahlen. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, das bedeutet auch, dass wir erst mal das schriftliche Urteil abwarten werden, bevor wir eine juristische Einschätzung vornehmen können.
Die Tatsache, dass es nach diesem Urteil erlaubt ist, noch genießbare Lebensmittel in enormen Mengen wegzuschmeißen und sich gleichzeitig Menschen vor Gericht verantworten müssen, diese aus Mülltonen geholt zu haben, ist sehr absurd. Wir fragen uns welches „öffentliche Interesse“ durch die Staatsanwaltschaft verfolgt wird. Für wen gibt es ein Interesse uns der Lebensmittelrettung zu bestrafen? Denn wir machen die gegenteilige Erfahrung. Unserer Einschätzung nach liegt das öffentliche Interesse in Maßnahmen gegen die enorme Lebensmittelverschwendung. In den letzten Monaten haben wir so viel Solidarität und Unterstützung erfahren, nicht nur unser enger Freundeskreis hatte immer ein offenes Ohr für uns, sondern auch Menschen, die wir unter Umständen niemals kennengelernt hätten, zeigten sich solidarisch.
Häufig drücken Polizist*innen ein Auge zu, wenn sie Containerer „erwischen“, in einigen Fällen wird die strafrechtliche Verfolgung fallen gelassen. Doch es kommt immer wieder und heute nicht weniger als in den letzten Jahren zu Strafverfolgungen. Alleine wir wissen zurzeit von 5 weiteren Fällen, in denen ein Strafverfahren bevorsteht und es sind sicherlich einige mehr. In Hannover müssen sich am 26. März zwei Brüder wegen der Wegnahme von weggeworfenen Lebensmitteln und dem Vorwurf des schweren Diebstahls vor Gericht verantworten. Wir möchten uns hier solidarisch mit allen anderen Menschen zeigen, die wegen Lebensmittelrettung kriminalisiert werden und ihnen unsere volle Unterstützung anbieten.

Meist findet mensch beim Containern viele Exemplare einer Sache, weswegen es durchaus Sinn hat, sich mit anderen Leuten zusammen zu tun und eine Kooperative zum Austausch von containerten Sachen aufzubauen. Es gebe demnach auch die Möglichkeit des Foodsharings und/oder eine ehrenamtliche Mitarbeit bei den Tafeln. Warum ist gerade Containern eure bevorzugte Aktivität?
    Unter Freund*innen und Mitbewohner*innen kann schon ganz gut verteilt werden, mensch  kann auch ganz gut Lebensmittel einfrieren oder einlagern. Foodsharing ist groß geworden und wir befürworten sehr, dass sie das Thema Lebensmittelverschwendung in das Bewusstsein unserer Gesellschaft getragen haben. Außerdem ist es gut, wenn die Sachen erst gar nicht in der Tonne landen, wo man sie wieder rausfischen muss. Wir haben uns in den letzten Wochen auch bei der Brucker Tafel engagiert, um einen Einblick zu bekommen. Auch die Tafeln finden wir unterstützenswert. Allerdings beruhen solche Kooperativen zwischen Supermarkt und Verteiler immer auf Freiwilligkeit. Sie machen es den Supermärkten auch einfacher, so wird den Supermärkten viel Arbeit und Müllkosten abgenommen. Wir sind der Meinung, dass wir auf verschiedenen Ebenen agieren und alle an einem Strang ziehen müssen, dabei sind alle Mittel, die der Lebensmittelrettung dienen und dabei keinen Schaden anrichten, legitim. Ein Blick in die Tonne schockiert und bewegt Menschen. Nicht umsonst sagen manche, dass das Containern ihre Haltung zum Leben verändert hat. Etablierte Strukturen werden der enormen Verschwendung nicht mehr Herr. Diese Erfahrungen teilen sowohl Foodsharer*innen und ehrenamtliche Tafelmitarbeiter*innen.

Der Kauf einer Bio-Gurke ist noch kein ausreichendes Statement zum Machteinfluss großer Konzerne. Durch Eigenproduktion oder Einstieg in eine Solidarische Landwirtschaft kann ich zwar wie einige Gleichgesinnte ein Stück weit aus dem globalen Lebensmittelmarkt aussteigen, allgemeinverbindlich ändern tut sich dadurch nichts.
Auch wir bekommen unser Gemüse weitestgehend aus einer SoLawi und auch aus dem eigenen Anbau. Es gibt auch einige weitere Alternativen, wie beispielsweise Foodkoops, die immer mehr Anklang finden. Wir sind schon der Meinung, dass es wichtig ist, diese Alternativen auszubauen, direkte Beziehungen zwischen Produzierenden und Verbraucher*innen zu schaffen, sowie ein größeres Bewusstsein für regionale, saisonale und ökologische Lebensmittel. Gleichzeitig schafft es die Möglichkeit, aus der zerstörerischen globalen Wertschöpfungskette auszusteigen. Lebensmittel sollten nicht zum Zwecke der Gewinnmaximierung in einzelnen Weltregionen intensiv und in Monokulturen angebaut und im großen Maß global gehandelt werden. Dies hat mitunter verheerenden Folgen für Umwelt und Gesellschaft. Wir glauben dagegen, dass Konzepte mit regionaler Perspektive wie Ernährungssouveränität und Ernährungssicherheit ein Teil der Lösung sind. Ein grundlegendes Problem sehen wir ebenfalls in der derzeitigen Gestaltung der Subventionen: Je größer die Flächen, desto mehr Einnahmen. Demnach ist es für einen landwirtschaftlichen Betrieb erstrebenswert, große Flächen zu bewirtschaften, bzw. immer weiter zu wachsen. Überproduktionen sind hier also vorprogrammiert. Zwar gibt es einen gesonderten Topf (die sogenannte zweite Säule) mit 1,3 Milliarden Euro für die Entwicklung des ländlichen Raumes. Hierin werden auch Kriterien der ökologischen Lebensmittelproduktion berücksichtigt. Diese ist jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, insgesamt werden kleine und ökologische Betriebe stark benachteiligt. Ab 2020 sieht die EU eine Neuregelung der EU-Agrarsubventionen vor; entschieden wird darüber aber bereits 2019. Zur Diskussion steht der Ausbau der zweiten Säule. Es ist dringend Zeit für Veränderungen im Hinblick auf eine gemeinwohlorientierte und ökologische Landwirtschaft.

Beim bewussten Konsum steht das gute Produkt im Mittelpunkt. Es bietet mir die vermeintliche Möglichkeit, meinen Beitrag direkt am Supermarktregal zu leisten.
Wo liegen dann die Möglichkeiten des bewussten Konsums?
    Wenn man ehrlich ist, sagen diverse Siegel und Kennzeichnungen nicht viel über die Nachhaltigkeit eines Produktes aus und macht mensch nicht unbedingt zu bewussten Konsument*innen. Nicht zuletzt durch den Film „Die Grüne Lüge“ wissen wir von Greenwashing. So bleibt einem nichts anderes übrig, als selber nachzulesen, welche Inhaltstoffe in Produkten enthalten sind und nach Produktionsweisen zu recherchieren. Auch hier muss man Eigeninitiative zeigen, wenn man sich nicht an der Nase herumführen lassen will. Zwei kleine Beispiele: ein veganes Produkt ist nicht unbedingt nachhaltig, wenn es Palmöl enthält. Bio-Tomaten aus Spanien im Winter, noch dazu in Plastik verpackt sind ebenfalls alles andere als nachhaltig oder fair gehandelt.

Aber mit meiner Produktwahl sage ich noch nicht, in welchem Wirtschaftssystem bzw. in welcher Gesellschaft ich leben will. Wie ist eure persönliche Utopie gestaltet?
    In unserer Utopie ist das Containern überflüssig, da keine noch genießbaren Lebensmittel mehr in der Tonne landen. Das Konzept von Tafeln reicht jedoch nicht aus, gewissermaßen wird ein „Zwei-Klassen-System“ geschaffen. Gut verdienende Bürger*innen können sich im Supermarkt die Lebensmittel leisten und auswählen, die sie bevorzugen und häufig auch hochwertig sind. Gering verdienende Bürger*innen sind zumeist gezwungen, mehr auf ihren Geldbeutel zu schauen als auf die Lebensmittelqualität. Sozialhilfeempfänge*innen müssen sich mit dem zufriedengeben, was es gerade bei der Tafel gibt. Dies sind meist Waren niedrigerer Qualität. Wir wünschen uns eine „richtige Sozialpolitik“ und Verteilungsstrategie von Lebensmitteln, wo niemand mehr auf Almosen angewiesen ist.

JedeR hat das Gefühl etwas zu tun aber nichts verändert sich. Ist das nicht frustrierend? Was oder wer hilft euch in eurem Vorgehen?
    Im Moment haben wir sehr stark das Gefühl, dass unsere Gesellschaft etwas ändern möchte. Wir haben mit unserem Fall auf einen Nerv getroffen, anders können wir uns das große öffentliche Interesse sonst nicht erklären. Allerdings müssen wir jetzt handeln. Frustrierend wird es, wenn keine Änderungen geschehen. Der Klimawandel hat bereits heute drastische Auswirkungen, wir haben keine Zeit mehr zu vergeuden.
Bereits beim ersten Vernetzungstreffen kamen Menschen aus unterschiedlichen Ecken zusammen, mit einem gemeinsamen Ziel. Zusammen haben wir die ersten Schritte geplant und in den letzten Monaten umgesetzt. Sehr viele solidarische Menschen haben uns unterstützt und zwei Kundgebungen in Fürstenfeldbruck organisiert. Hierbei gab es beispielsweise einen mobilen Essensstand, der mit gerettetem Essen die Menschen versorgte und begeisterte. Dank einer Soli-Party, welche Freunde für uns organisiert haben und Spendenaufrufen, haben wir mittlerweile genügend Geld, um das (erste) Verfahren und Aktionen zu bewerkstelligen. Wahrscheinlich bleibt sogar genug übrig, um weitere Container-Menschen zu unterstützen. Es besteht der Wunsch nach einem festen Netzwerk. Mit engagierten Menschen aus verschiedenen Bereichen diskutieren wir rund um das Thema Lebensmittelverschwendung. Dieser Austausch ist sehr fruchtbar. So sind auch weitere Vernetzungstreffen geplant. Dabei soll nach dem Gerichtstermin der Fokus nicht mehr auf unserem Fall liegen, sondern es soll Raum geschaffen werden für Austausch, Vernetzungs- und Handlungsmöglichkeiten zum Thema Lebensmittel.
Immer mehr Politiker*innen verschiedener Parteien suchen das Gespräch mit uns. Auf lokaler Ebene ist hier ein erster öffentlicher Kühlschrank in unserer Kleinstadt Olching im Gespräch.
Seitdem die mediale Aufmerksamkeit im Zuge unseres Gerichtsprozesses noch viel größer geworden ist, nehmen bundesweit immer mehr Politiker*innen Stellung zu unserem Fall und bringen das Thema Lebensmittelverschwendung wieder in den aktuellen Diskurs. So erhoffen wir uns einen konstruktiven Austausch mit der Politik und eine unverzügliche Gesetzesänderung.

Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des eigenen Lebensstils ist deutlich anschaulicher und einprägsamer als die Befassung mit ökologischer Steuerreform, Wachstumszwängen und Machtkonzentration. Das böte doch Anknüpfungspunkte für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel. Wie könnten wir also mehr entsprechende Bildungs- und Gesprächsangebote ausweiten?
    Dem Thema Lebensmittel sollte wieder mehr Platz im Alltag eingeräumt werden. Gerade in Schulen kann hier gut angesetzt werden. Anstatt des typischen Kantinenessens gibt es die Möglichkeit, dass Schüler*innen gemeinsam für Schüler*innen kochen, und zwar mit saisonalem und lokalem Gemüse. Dazu sollte auch ein Bezug zu Anbau und Produktion von Lebensmitteln hergestellt werden. Ein großflächiger Gemüseanbau mag gerade an städtischen Schulen den Rahmen der Möglichkeiten sprengen, jedoch würde alleine der Anbau von Topfpflanzen, beispielsweise Kräutern, erste Bezugspunkte für den Wert von Lebensmitteln schaffen. Natürlich sollte auch entsprechendes Infomaterial, wie Dokumentarfilme, mit in den Unterricht mit einfließen. Hier gibt es viele Anknüpfungspunkte, die mensch nicht unbewegt lassen. Es ist wichtig, dass Bildungseinrichtungen eine solche Bewusstseinsentwicklung fördern. Denn Beispiele, wie die freitäglichen Klima-Schulstreiks „Fridays for Future“2 nach dem Vorbild der Schwedin Greta Thunberg oder die Kampagne „Bye, bye plasticbag“3 einer indonesischen Schülerin, zeigen uns eindrucksvoll, in welchem Maße junge Menschen wirklich etwas bewegen können. Globale Klimapolitik darf nicht in den Händen alter weißer Männer und trägen Strukturen liegen. Wir wollen unsere Zukunft aktiv gestalten, denn wir jungen Menschen werden noch die nächsten Jahrzehnte auf dieser Erde leben.

Fußnoten: