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Tierbefreiung #106

Tierbefreiung #106
Tierbefreiung #106

Tierbefreiung #106
84 DIN-A-4-Seiten; €4,00.- 
die tierbefreier e.V., Postfach 160132, 40564 Düsseldorf
http://www.tierbefreier.de/
In dieser Ausgabe befasst sich die Redaktion/das Autor*innen-Kollektiv mit der Geschichte des Vereins und der Tierschutz/-befreiungsgeschichte. Des Weiteren wurden für das Titelthema zwei Interviews mit Markus Schaak (die tierbefreier e.V.) und Andreas Bender (ehemals Voice-Magazin), geführt. Darüber hinaus gibt es eine historische Zusammenfassung der Entstehung der Tierbewegung.

Die frühe Bewegungsgeschichte ist eng verknüpft mit dem Schriftsteller, Philosophen, Tierschützer und Pazifisten Magnus Schwantje (1877 - 1959). Magnus entwickelte den Begriff der „radikalen Ethik“. Kernstück seiner Philosophie ist die radikal-ethische Lehre, deren Grundgedanke in der Erkenntnis besteht, dass wir den Antrieb zu allem moralischen Handeln nicht durch ein Gebot der Vernunft, sondern durch das Mitleid empfangen, und dass die Befolgung der sittlichen Gebote mit ihrer Anwendung auf die niedrigsten und hilflosesten Wesen, die Tiere, zu beginnen hat. In seinen Publikationen verurteilte er die Jagd als „Lustmord“. Das eigentlich zentrale Thema war allerdings die Vivisektion. Bis zu seinem Lebensende widmete er sich hauptberuflich der Tierrechtsbewegung. Schwantje sah den Tierschutz als fundamental an und vertrat die Position, dass wer das Recht der Tiere auf Befreiung von allem Leid anerkenne, erkenne damit dasselbe Recht des Menschen an. Der Tierschutz wurde als die radikalste Betätigung des Mitgefühls verstanden und dieses – hier zeigte sich der Einfluss Schopenhauers – als die „Triebfeder zu allem sittlichen Handeln” (Bund für radikale Ethik 1918). Schwantje wies als überzeugter Vegetarier (den Begriff Veganismus gab es noch nicht) hin, dass die Gewohnheit des Fleischessens nicht nur verantwortlich für ein ungeheures Maß gesellschaftlich erzeugter Leiden der Tiere ist, sie bedingt auch eine psychologische Habitualisierung im Dienste kriegerischer Politik .In vielen Schriften bemühte sich Magnus Schwantje um die Verbreitung zutreffender Kenntnisse über die Empfindungs- und Leidensfähigkeit, Emotionen und Intelligenz der Tiere. Die meisten Zeitgenossen, so seine Kritik, hätten hiervon völlig unzulängliche – eben die Ausbeutung erleichternde – Vorstellungen. Sie sahen in den Tieren mehr oder weniger Maschinen oder reine Instinktwesen und billigten ihnen weder Gefühle noch Verstand zu.
In der 2. Phase der Bewegungsgeschichte wird offenbar, wie sich der Tierschutz hin zu einer Tierbefreiungsbewegung entwickelte und Aktivist*innen sich als autonome Tierschützer*innen definierten, die die Befreiung aller Tiere einforderten. Mit dem „Schluss mit Opas Tierschutz“ ging ein veganer Lebensstil einher, eine kreative Protestkultur mit direkten Aktionen und eine damit verknüpfte Orientierung an die englische ALF (Animal Liberation Front).

Gesamteindruck:

Magnus Schwantje formulierte in seinen „radikalen“ Schriften Schritte von der Ethik zur Gesellschaftstheorie und politischen Theorie, die bis heute aus der Moral heraus politische Optionen aufzeigen. Weg vom Tierschutz hin zur Tierbefreiung mit der Forderung, eine befreite Gesellschaft zu schaffen, in der die Ausbeutungsverhältnisse gegenüber Tieren abgeschafft sind. Dass die Aktionen und Aktivist*innen nicht von Repressionen und Klagen befreit sind, belegen die beiden Interviews mit Andreas Bender und Markus Schaak. Ein tragfähiges politisch-ökonomisches Projekt, eine Strategie oder zumindest eine Debatte darüber, wie mensch vom Ist-Zustand zur angestrebten Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung von Mensch und Tier kommt, sucht mensch jedoch leider vergebens. Die Analyse zur Tierbewegungsgeschichte ist dann auch mehr ein „Zwischenergebnis“. Im Editorial schreibt Mirjam Rebhan allerdings davon, in der kommenden Ausgabe eine Auswertung über „den Austausch mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Arbeit für ein Ende aller Tierausbeutung“ abzuliefern, dem ein Treffen der Tierbefreiungsbewegung im Februar d. J., vorausging. Das verspricht aber auch mehr einen theoretischen Ansatz mit Utopien, als praxisnahe alltagsorientierte Handlungsmuster, die in der Bewegungsgeschichte festgeschrieben sind, getreu dem Motto: Solidarität muss praktisch werden!