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Pop-Sexismus

Eine Musikband löst sich auf. Die Gründe mögen vielfältig sein und öffentlich dargestellt werden, haben meistens aber den Hintergrund, sich aus „persönlichen und musikalischen Differenzen“ zu trennen und aufzuhören. Vielleicht ist es der bandinterne Streit darüber, ob und wie zukünftig der eigene ‚Stil‘ evaluiert werden soll (Weiterentwicklung), ob sich die Bandkolleg*innen nichts mehr zu sagen haben, ob ein*e Bandmitglied ‚solo‘ weiter machen will (Karriere vorantreiben), wegen mangelndem Erfolg (finanzieller und ideeller Wert). Wie sieht es aber aus, wenn einer Musikband „Sexismus“ vorgeworfen wird oder Sexismus ein Auflösungsgrund ist, weil Bandmitglieder offen sexistisch gegenüber anderen Bandmitgliedern und/oder ihren „Fans“ sind? 

Die Gleichberechtigung der Geschlechter hat sich als gesellschaftliches Leitbild weitestgehend durchgesetzt, obwohl das Ideal in der Realität noch immer nicht erreicht wird. Martin Büsser, Tine Plesch und Johannes Ullmaier diskutierten in „Le douzième sexe“ (Büsser et al. 2000), wie randständig die Auseinandersetzung mit Geschlecht und Sexualität neben der heterosexuellen Norm mitsamt ihren geschlechtsspezifischen Verführungsstrategien in der Popkultur, die sie für das körperbetonteste kulturelle Phänomen der Nachkriegszeit halten, bis dato gewesen ist. Popkultur wurde von ihnen in erster Linie als den gesellschaftlichen Mainstream widerspiegelnd angesehen, als Sammelbecken für den heterosexuellen Sex, geboren aus rein männlicher Perspektive.

Folglich ist die Popkultur männlich geprägt und von patriarchalen Mustern durchzogen. Traditionelle Rollenzuschreibungen sowie Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts, bishin zu sexuellen Übergriffen, sind auch in der Punksubkultur zu beobachten. Toxische Maskulinität sorgt dafür, dass Frauen* sich aus Musikszenen fernhalten. Zudem gibt es ein Problem mit Belästigung und sexueller Gewalt, wie im Rest der Gesellschaft. Die Frage nach den Geschlechterverhältnissen im Punk ist komplex, weil es innerhalb der Punk-Bewegung schnell zu einer Ausdifferenzierung gekommen war: Der Art-School-Punk bzw. Post-Punk bevorzugt nicht nur musikalisch das Experiment, sondern hat seit Bands wie den SLITS und Poly Styrene von X-Ray Spex auch gegen konventionelle Geschlechterrollen und Identitätsmodelle angekämpft – und hieraus sind schließlich auch Riot Grrrls und Queercore hervorgegangen. Ziel der Musikerinnen, die in die Riot Grrrl-Bewegung involviert waren und immer noch sind, ist es, feministische Botschaften zu vermitteln und zumindest die Independent Music von patriarchalischen und sexistischen Strukturen zu befreien; Sexismus zu dekonstruieren und neue und sichere Freiräume zu schaffen.

Mädchen/Frauen* wurden ermuntert, selbst aktiv zu werden, gründeten Netzwerke, Zines, Bands, veranstalteten Lady-Festivals. Frauen sichtbar und erlebbar in ihrem (kreativen) Schaffen zu machen, hat enorm viel mit Empowerment zu tun – es schafft Vorbilder, zeigt, was möglich ist, verändert unsere Wahrnehmung von Normalität und Rollenbildern...und macht Männern* Angst, weil diese Power nicht in ihr femddefiniertes Schema von Frauenbildern passt. In verschiedenen Musikszenen wird Männlichkeit zu weiten Teilen in einer Form konstruiert, inszeniert und kultiviert, etwa als Tough-Guy-Attitüde im Hardcore, in Form martialischer und archaischer Männerbünde im Metal oder Mackertum und unverhohlener Frauenabwertung im Hip Hop – toxische Männlichkeit so weit das Auge sieht.

In den 1990er-Jahren war die linksautonome Comedy-Gruppe Heiter bis Wolkig mit einem Vergewaltigungsvorwurf sowie dem Vorwurf eines sexistischen Programms konfrontiert. Am 10.09.05 wurden ein „Vergewaltigungsversuch“ und eine sexuelle Belästigung des Boxhamsters-Sängers Martin Coburger nach einem Konzert in Aurich öffentlich gemacht. Die geforderte öffentliche Stellungnahme von Martin Coburger blieb aus, als Reaktion nahm die Band kurzerhand das Gästebuch von ihrer Homepage.
Wolf Down haben ihre politische Haltung immer klar artikuliert und sich offen politisch engagiert. Gitarrist Tobias wurde von zwei Frauen beschuldigt, sexualisierte Gewalt gegen sie ausgeübt zu haben, wörtlich wird ihm sogar Vergewaltigung vorgeworfen. Auch der Drummer Sven wurde als „schwerer Sexist“ bezeichnet. Die 2014 aus „privaten Gründen“ ausgestiegene Sängerin Larissa  hatte in ihrer siebenjährigen Beziehung mit Sven auch  Missbrauch erfahren und die Band schließlich aufgrund „unerträglicher Erfahrungen“ verlassen. Wolf Down hat sich nach diesen Sexismus-Vorwürfen aufgelöst. Aufarbeitung und Reflexion der Täter: Fehlanzeige.

Auf der Suche nach dem Selbst

DEUTSCHE LAICHEN
DEUTSCHE LAICHEN

Die queer-feministischen Punx von Deutsche Laichen haben mit und mit „Emanzenlesbenschlampe“, „Von Mackern und Pumas“, „My cunt my business“ auf ihrer ersten LP ausführlich gegen Sexismus, Mackertum gepöbelt.

WAR ON WOMEN
WAR ON WOMEN

War On Women ist eine feministische Hardcore-Punk-Band. 2010 in Baltimore gegründet, verfassen WOW eingängige und konfrontative Songs, die Vergewaltigung, sexuelle Belästigung auf der Straße, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede, Transphobie und andere relevante soziale Fragen thematisieren.
War on Women's Musik sticht in einem hypermaskulinen Genre heraus, das seit langem von rein *cis-männlichen Bands dominiert wird. Auf ihrem selbstbetitelten Debüt-Album schreit Sängerin Shawna Potter nach ungleicher Bezahlung und thematisiert die Geschlechter-Einkommenslücke und die Femizide in Juárez, Mexiko.
Einflussreiche Punk- und alternative Bands wie The Slits, Hole, Bikini Kill und L7 sind Beispiele für „großartige Bands, die in den letzten 40 Jahren Hardcore, intensive Outsider-Musik mit Frauen* gemacht haben, die sich mit Frauenfragen und Gleichstellung befasst“, sagt Brooks Harlan, einer der beiden Gitarrist*innen der Band. Aber weil „Geschlechterpolitik bis vor kurzem kein so aktuelles, kontroverses Thema war“, fügt er hinzu, wurden diese Bandtypen „immer als eine Art VorreiterIn angesehen“.
Für Frauen* können Live-Hardcore-Shows physisch gewalttätige und einschüchternde Orte sein und es ist oft sicherer, in der Nähe des Rückens zu stehen, um nicht von um sich schlagenden Gliedern und fliegenden Körpern getroffen zu werden. Aber diese Anordnung – Männer meistens vorne, Frauen hauptsächlich hinten – kann manchmal dazu führen, dass Frauen* buchstäblich wie Kleiderständer behandelt werden.
WAR ON WOMEN will das ändern. Shawna macht live auf der Bühne Ansagen für Frauen*, Queers und Femmes, dass sie ihren Platz beanspruchen, und dass sie das gemeinsam tun und zusammenarbeiten sollen.

Brauchen wir also mehr QueerFemPunk-Bands, mehr Riot Grrrl, um der Funktionalisierung von Körperteilen, Geschlecht als Objektivierung, einem männlichen Körperkult, Diäten/body shaming, Stereotypen und häufig auch rassistische Schönheitsideale entgegenzutreten? Die andauernde Gender-Debatte im Sinne einer Infragestellung gängiger Geschlechterbilder und männlich-weiblicher Verhaltensmuster ist die Forderung nach einem Überdenken unseres Umgangs mit anderen Menschen, also die Frage danach, inwieweit anerzogenes Verhalten und die Allgegenwart heterosexistisch geprägter Kultur dazu geführt haben, dass wir Menschen des anderen Geschlechts anders begegnen als Menschen des jeweils eigenen. Der feministische Ansatz und der progressiv-liberale Umgang mit Queerness sollte immer mitgedacht werden: Reflexion, Perspektivenwechsel und Solidarität sind dabei wichtige Denk- und Handlungsschritte, um Politisches zu ästhetisieren und die dadurch um eine emotionale Rezeptionsebene in der Figur der Wütenden oder der Euphorisierten ergänzt werden.