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Gemeinsam gegen die Tierindustrie

Indigene „Frontline Communities“ aus dem globalen Süden kämpfen bereits seit Jahrzehnten gegen die zerstörerischen Praktiken der Tierindustrie. Und auch hierzulande artikuliert sich ein breitgefächerter Widerstand, getragen von unterschiedlichen Akteur*innen, angefangen von Bürgerinitiativen gegen Mast- und Schlachtanlagen hin zu Aktionen zivilen Ungehorsams aus anarchistischen und anderen linken Milieus, seit einigen Jahren vereinzelt auch aus der Klimabewegung heraus.

„Kriminell ist das System Tönnies – nicht der Widerstand dagegen“

Das Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ ist solch ein bewegungsübergreifendes, überregionales Bündnis, das sich im Rahmen einer Aktionskonferenz im Juli 2019 gegründet hat.
Gemeinsam fordert das Bündnis die Abschaffung der Tierindustrie. Die Akteure sind der Überzeugung, dass mensch selbst aktiv werden muss, um einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess voranzutreiben, da die Konzerne und die Regierungen nicht die aus ihrer Sicht erforderlichen Maßnahmen ergreifen werden. Es braucht eine Agrarwende hin zu einer solidarischen und ökologischen Produktions- und Organisationsweise, die nicht auf Kosten anderer erfolgt und nicht am Gewinn orientiert ist.
Die Akteure eint, dass sie gemeinsam etwas gegen die Tierindustrie und ihre Profiteur*innen unternehmen und deutliche Signale für die Abschaffung der Tierindustrie setzen wollen. Dabei richten sie sich mit verschiedenen Protest-Aktionen bewusst gegen zentrale Akteur*innen und Profiteur*innen der Tierindustrie wie bspw. gegen die PHW-Gruppe, Tönnies Holding, Vion Food und Westfleisch, die enorme wirtschaftliche Macht besitzen und einen großen Einfluss auf die gesamte Tierindustrie haben. Gleichzeitig richtet sich der Protest nicht nur gegen diese Konzerne, sondern gegen das gesamte System von Unterdrückung und Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt. Die Aktionen im letzten Jahr waren geprägt vom kollektiven Protest gegen das System Tönnies. So gab es mehrere Besetzungen und Blockaden an den Tönnies-Schlachtfabriken in Rheda-Wiedenbrück und Kellinghusen1.

Foto: Hendrik Hassel
Foto: Hendrik Hassel

Durch die Corona-Pandemie und die vielen Infizierten in den Schlachtbetrieben sind die Bedingungen, unter denen die überwiegend osteuropäischen Beschäftigten arbeiten und wohnen, im letzten Jahr wieder verstärkt ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Rund 100.000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Fleischindustrie – der Großteil von ihnen bei Tönnies, Westfleisch, Vion und Danish Crown. Marktführer mit einem Anteil von 30 Prozent ist Tönnies. Den Arbeiter*innen gegenüber fühlen sich die großen Unternehmen nicht verpflichtet. Denn sie gehen Ketten-Werkverträge mit mehreren Subunternehmern ein, die wiederum Rumänen, Bulgaren oder Polen als Solo-Selbstständige verpflichten. Bei Löhnen und Arbeitszeiten können die Subunternehmer Druck machen und für teils überfüllte und heruntergekommenen Unterkünften einen guten Teil des Arbeitslohns fordern. Bei Tönnies und Vion etwa sind nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) vier von fünf Beschäftigten Werkvertragsarbeiter. Ende Juli 2020 hat das Bundeskabinett strengere Regeln für die Fleischindustrie beschlossen. Der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Berlin vorgelegte Entwurf sieht ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in großen Schlachthöfen vor. Zudem sind mehr Kontrollen geplant, strengere Vorschriften sollen für bessere Unterkünfte sorgen. Es gab und gibt immer wieder SARS-CoV-2-Ausbrüche in Schlachthofbetrieben und Verstöße gegen Hygiene-Auflagen. Die Coronavirus-Krise ist ein weiteres Argument gegen das System Fleischproduktion, gegen die Ausbeutung von Mensch und Tier. Die Tierindustrie befeuert darüber hinaus globale Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen.

Wie kam es zu der Idee, das Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie zu gründen?
    Das Bündnis hat sich bei einer Aktionskonferenz im Sommer 2019 gegründet, zu der die Gruppe ‚Animal Climate Action‘ aufgerufen hatte. Es ging darum, Gruppen und Personen zusammenzubringen, um gemeinsam eine Massenaktion gegen die Tierindustrie 2020 zu organisieren.
Die Tierindustrie ist ein Querschnittsthema – es gibt viele Gründe, sie abzuschaffen: Sie heizt die Klimakrise an, beutet Arbeiter*innen aus, quält Tiere, verschmutzt die Umwelt und befördert globale Ungerechtigkeiten. Deshalb geht das Thema auch verschiedene soziale Bewegungen etwas an: Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung, die Klimagerechtigkeitsbewegung, die Agrarwende- und Ernährungssouveränität, Gewerkschaftler*innen, Arbeitsrechtsinitiativen und andere.
Wir haben das Bündnis gegründet, um gemeinsam stärker zu sein: Wir möchten die verschiedenen Kämpfe solidarisch bündeln und vernetzen – und dabei respektieren, dass unsere Beweggründe nicht in allen Punkten identisch sind.

Der Fokus in der Geschichte der Tierbefreiungsbewegung war anfänglich hauptsächlich auf die Befreiung nichtmenschlicher Lebewesen gerichtet. Heute werden hier auch ausbeuterische Aspekte von Mensch und Tier zusammen gedacht. Inwiefern werden diese Komponente in euren direkten Aktionen zusammengeführt?
    Um zunächst einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Wir verstehen uns als ein Bündnis von Gruppen und Einzelpersonen aus unterschiedlichen Kämpfen. Aktivist*innen aus der Tierbefreiungsbewegung sind nur ein Teil dieses größeren Zusammenhangs, der sich gemeinsam für eine klimagerechte, solidarische Landwirtschaft jenseits kapitalistischer Logiken einsetzt. Tatsächlich teilen wir aber den Eindruck, dass die Tierbefreiungsbewegung sich zunehmend in spektrenübergreifende Bündnisse einbringt und begrüßen das.
Wir weisen bei unseren Aktionen mit Bannern, Schildern und unterschiedlichen Redebeiträgen auf die verschiedenen katastrophalen Auswirkungen der Tierindustrie hin. Auch suchen wir immer wieder die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, die zu bestimmten Themen arbeiten – so haben wir z.B. mehrfach mit der Organisation ‚Aktion gegen Arbeitsunrecht‘ zusammengearbeitet. Die Ausbeutung der Arbeiter*innen haben wir auch im Mai 2020 zum Schwerpunktthema von Aktionstagen gemacht.

Tierrechts-Aktivist*innen werden immer wieder/noch kriminalisiert. Welche Methoden, Konzepte, Tipps und Vorschläge sind hilfreich und wirksam, den praktischen Tierrechtsaktionismus aufrechtzuerhalten?
    Das Bündnis ‚Gemeinsam gegen die Tierindustrie‘ organisiert neben legalen Protestaktionen vor allem Aktionen des zivilen Ungehorsams. Das heißt, wir übertreten in einem klar definierten Rahmen bewusst die Grenzen des legalen Protests, um die Wichtigkeit und Dringlichkeit unseres Anliegens deutlich zu machen. Das bedeutet auch, dass wir mit Anzeigen und Gerichtsverfahren rechnen müssen, sodass die Antirepressionsarbeit ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist. Finanzielle Mittel zur Verteidigung von Angeklagten sowie eine mediale und politische Begleitung von Repression sind für uns essenziell. Nur wenn Betroffene von Repression wissen, dass sie mit den juristischen Folgen politischer Aktionen nicht allein gelassen werden, können wir nachhaltig eine widerständige Bewegung gegen die Tierindustrie aufbauen.

Tierrechtsaktivist*innen sind im Zuge ihres Engagements für nichtmenschliche Tiere stets mit potenziell traumatisierenden Ereignissen (Festnahmen, Gewalt), Bildern, Berichten oder traumatisierten Tieren konfrontiert. Das bedeutet Stress und kann zu Traumata führen. Wie ist der eigene Umgang hiermit und wie können Betroffene geholfen werden?
    Wie die Antirepression ist auch die emotionale Arbeit ein wichtiger Aspekt von Aktionsbündnissen. Wir lernen viel von anderen, bereits etablierten Strukturen und wollen eine Kultur aktiver Solidarität und gegenseitiger Achtsamkeit entwickeln. Bei und nach Aktionen organisiert z.B. die Awareness-AG des Bündnisses Rückzugsräume, um Menschen auch in belastenden Situationen zu unterstützen. Unser Ziel ist, auch darüber hinaus Strukturen im Bündnis aufzubauen, die ein langfristiges Engagement ermöglichen.

Foto: Hendrik Hassel
Foto: Hendrik Hassel

Welche Außenwirkung hat bspw. eine Blockadeaktion gegen die Tierindustrie in der Presse und/oder in der Öffentlichkeit und wie ist euer Umgang mit der Presse?
    Unsere Aktionen erhalten ein unterschiedlich starkes mediales Echo. Sehr erfolgreich war in dieser Hinsicht unsere Blockadeaktion im Juli 2020: Nicht lange vorher war bekannt geworden, dass sich über 1.500 Arbeiter*innen des Tönnies-Schlachthofs in Rheda-Wiedenbrück mit Corona infiziert hatten. Das Thema war schon ziemlich groß in den Medien, der Schlachthof vorübergehend geschlossen. In dieser Zeit haben wir eine symbolische Blockade des Schlachthofs durchgeführt und gefordert, dass der Schlachthof geschlossen bleibt.
Damit haben wir offenbar einen Nerv getroffen: Die Bilder der vom Dach des Schlachtbetriebs hängenden Transparente gingen durch alle relevanten deutschen Medien und kamen sogar in die Tagesschau um 20 Uhr. Auch international wurde über die Aktion berichtet, etwa in der New York Times und in rumänischen Zeitungen. Das freut uns besonders, da viele Werkvertragsnehmer:innen bei Tönnies aus Rumänien stammen. Auch aus der Öffentlichkeit bekamen wir viel Zuspruch für diese Aktion.
Eine gute Pressearbeit ist für uns sehr wichtig, da wir auf diesem Wege unsere Botschaften in die Gesellschaft tragen können. Natürlich finden wir einige Medien besser als andere und es gibt auch Zeitungen, mit denen wir nicht reden würden, aber grundsätzlich sind wir um ein gutes Verhältnis zu den Medien bemüht.

Die Tierschutzszene ist beim Protest gegen die Tierhaltung gespalten. Mit der Blockade des Tönnies-Schlachthofs in Kellinghusen2 bspw. sind nicht alle einverstanden. Das Blockieren der Schlachtbetriebe„schaffe unnötiges Leid“ heißt es bspw. vonseiten des Tierschutzvereins Düsseldorf. Was entgegnest du darauf?
    Wir sehen da tatsächlich eine Art moralisches Dilemma: Ziel einer Blockade ist es, den Schlachtbetrieb in diesem Schlachthof aufzuhalten, u.a. um die hier verübte systematische Gewalt an Tieren zu stoppen. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Tiere, die während der Unterbrechung des Schlachtbetriebes in Transportern „angeliefert“ werden, möglicherweise noch länger in diesen Transportern verharren müssen. Wir haben darüber viel nachgedacht und diskutiert und uns am Ende doch für die Blockade entschieden. Denn wir denken, dass es solche Aktionen braucht, um Bewegung in die Debatte zu bringen und auf diese Weise dazu beizutragen, dass weniger und schließlich gar keine Tiere mehr in der Tierindustrie leiden müssen.
Wer uns vorwirft, unnötiges Tierleid zu verursachen, verdreht eigentlich die Situation: Jeden Tag stehen Millionen von Schweinen allein hierzulande entsetzliche Qualen aus. Das interessiert an einem normalen Tag kaum jemanden. Auch der „Schweinestau”, bei dem wegen Corona-Ausbrüchen an Schlachthöfen immer mehr Schweine in den Ställen warten müssen, wird meist nur als Problem für die Tierhalter*innen diskutiert. Lange Fahrt- und Wartezeiten in Transportern sind bei Schlachthöfen an der Tagesordnung. All die gutgemeinte Tierschutzarbeit der vergangenen Jahrzehnte hat am Leid der Schweine in der Tierindustrie leider wenig geändert.
Wir hoffen, dass wir dabei helfen können, eine starke und mutige Bewegung aufzubauen, die tatsächlich die Industrie schwächen und die politischen Bedingungen verschieben kann. Dabei müssen wir über die Aktionsformen natürlich weiter diskutieren. Das Statement vom Tierschutzverein Düsseldorf hat aus unserer Sicht aber einfach der Abwehrpropaganda von Tönnies und Co. in die Hände gespielt.

Waren die Blockade- und Protestaktionen nur von kurzfristigem Erfolg gekrönt? Wie können diese Aktionen langfristig und nachhaltig erfolgreich sein?
Einzelne Protestaktionen sind gewöhnlich immer nur von kurzfristigem Erfolg gekrönt. Es ist die Summe der Aktionen und Ereignisse, die am Ende den nötigen Druck ausmacht: Demos und Blockaden, Diskussions- und Aufklärungsveranstaltungen, Bücher und Artikel, Gespräche mit Politiker:innen, Wandel im Konsumverhalten der Bevölkerung. All das erzeugt Druck, und der muss über einen langen Zeitraum aufrechterhalten bleiben. Oft können wir vorher auch gar nicht abschätzen, welchen Effekt eine einzelne Aktion hat. Und natürlich müssen wir sehen, dass die politische Gegenseite ihre Interessen ebenso vertritt. Es ist ein langes und zähes Ringen.

Zivilcourage und jede Form von Protest gegen herrschende Ungerechtigkeiten werden erschwert, wenn die Interessen von Tier-Industrien offensichtlich Priorität haben und die Politik sich dahingehend beeinflussen lässt. Keinem anderen Wirtschaftsverband wird ein so großer und unmittelbarer Einfluss auf die Politik zugeschrieben wie dem Deutschen BauernVerband (DBV). Trotz zunehmendem zivilgesellschaftlichem Protest ändert die Politik nichts an die ausbeuterischen Maßnahmen. Wie können Bündnisse wie eure dazu beitragen, dass sich hieran etwas ändert?
    Indem wir größeren Druck aufbauen als der Bauernverband! Die Tierindustrie kann ja nur in der gegenwärtigen Form existieren, weil es eben derzeit keinen breiten Widerstand gegen sie gibt, die Regierung kann sie nur so fördern, wie es derzeit geschieht, weil das nicht von weiten Bevölkerungsteilen als Skandal wahrgenommen wird. Wenn wir diese Wahrnehmung verschieben und größeren Widerstand mobilisieren, können auch politische Rahmenbedingungen verändert werden. Und so wenig wir die herrschende Politik gutheißen, zeigt das Beispiel des Verbots von Werkverträgen in der Fleischbranche auch, dass gesellschaftlicher Druck auch gesetzliche Veränderungen bewirken kann.

Naturzerstörung, Klimawandel, Tierversuche, Massentierhaltung – es gibt viele Gründe, einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Natur und Tieren zu fordern. Es scheint aber unmöglich, dass sich in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem und ihrer Verwertungslogik etwas ändern wird. Wie sieht dein Idealbild von einer Gesellschaft aus?
    Wir fordern die Enteignung der Fleischkonzerne und die Umstellung der Anlagen in ökologisch verträgliche und solidarische Pflanzenproduktionsstätten unter der Selbstverwaltung der Arbeiter*innen. Die Abschaffung der Tierindustrie sehen wir als wichtigen als Teil einer umfassenden Agrarwende. Statt eines kapitalistisch organisierten Ernährungssystems wollen wir eine solidarische und ökologische Produktions- und Organisationsweise, die nicht auf Kosten anderer fühlender Individuen erfolgt und nicht am Gewinn orientiert ist. Wie das konkret aussehen kann und auch, mit welchen politischen Maßnahmen wir dorthin gelangen könnten, diskutieren wir im Bündnis. Es wird sich erst noch zeigen, zu welchen Punkten wir eine gemeinsame Bündnisposition finden und wo wir auch mit Absicht eher allgemein bleiben, um anschlussfähig für verschiedene Positionen und Utopien zu sein.

Es gibt ja in Europa mit bio-veganer Landwirtschaft und SoLaWis Lösungsansätze wie das Ausbeutungsverhältnis von Mensch und Tier beendet werden kann. Wie bewertest du diese zukunftsweisende Gegenkonzepte zur herrschenden Tierausbeutung in der konventionellen und in der biologischen Landwirtschaft?
    Wir finden sowohl bioveganen Anbau als auch Solidarische Landwirtschaft tolle und zukunftsweisende Praktiken. Sie sind leider derzeit noch Nischen. Das muss sich ändern – das geht durch Projekte und Organisierung von unten, wichtig sind aber auch die politischen Rahmenbedingungen. Derzeit wird die Tierindustrie auf verschiedenen Wegen jährlich mit vielen Milliarden Euro aus öffentlichen Geldern unterstützt. Dazu werden wir bald eine Studie herausgeben. Dieses Geld muss umgeschichtet werden, um die Agrarwende voranzubringen und u.a. solche Projekte zu fördern.


Fußnoten: