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Verweigerung total!

unsplash@ev
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Immer wieder hört und liest mensch von „gerechten Kriegen.“ Mit diesem aus der Antike stammenden Gedankenkonstrukt sollen Kampfeinsätze und bewaffnete Auseinandersetzungen bezeichnet werden, die auf eine gewisse Art und Weise moralisch gerechtfertigt oder notwendig scheinen, um den Frieden zu wahren. Als Beispiel eines „gerechten Krieges“ wird von vielen Politiker*innen und Expert*innen oft der Einsatz der Alliierten gegen Hitler-Deutschland genannt. Andere Stimmen behaupten: Einen gerechten Krieg kann es nicht geben.

Die Auffassung und Lehre von einem „gerechten Krieg“ ist in der westlichen Rechtsgeschichte verankert und in ihrer Auffassung zufolge ein Krieg oder bewaffneter Konflikt zwischen Staaten, der ethisch und rechtlich legitim ist, wenn er bestimmten Anforderungen genügt.
Die Lehre vom „gerechten Krieg“ benennt 7 Kriterien, die erfüllt sein müssen, um einen Krieg rechtfertigen zu können:

  1. Ein gerechter Grund: Wenn z. B. ein Land den Weltfrieden bedroht oder in einem Land schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie ein Völkermord verübt werden.
  2. Eine gerechte Absicht: Ziel eines Krieges muss sein, den Frieden wieder herzustellen oder das Unrecht zu beseitigen. Er darf nicht aus anderen Eigeninteressen geführt werden.
  3. Krieg ist nur als letztes Mittel erlaubt: Wenn alle friedlichen Methoden nicht erfolgreich waren.
  4. Eine begründete Hoffnung auf Erfolg.
  5. Eine legitime Autorität: Eine besonders knifflige Frage ist, wer eigentlich bestimmen darf, ob ein Krieg gerechtfertigt ist. Derzeit ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Gremium, das entscheidet, ob ein Militäreinsatz durchgeführt wird. Doch auch hier bestimmen einzelne Staaten und verfolgen ihre Eigeninteressen.
  6. Verhältnismäßigkeit der Mittel: Das, was durch den Krieg zerstört wird, darf dabei nicht größer sein, als das, was es zu schützen gilt. Krieg darf dabei nur mit Mitteln geführt werden, die nicht selber mehr Unrecht schaffen.
  7. Unterscheidung von Kämpfenden und Zivilisten: Die Zivilbevölkerung sollte nicht angegriffen werden.

Wann ist ein Krieg „gerecht“?

Wie aber, wenn es mit dem Tod eines Einzelnen nicht getan ist? Wenn ein Staat so viel Unheil in die Welt bringt, dass sich ihm andere Staaten mit Gewalt entgegenstellen müssen, weil alle anderen Mittel versagt haben?
Eine weltweite Diskussion mit großem Medienecho haben vor diesem Hintergrund beispielsweise die Terrorangriffe auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 ausgelöst. Uneinig waren Expert*innen vor allem über die Frage, ob der Angriff auf Amerika auch als Angriff auf den Bündnispartner Deutschland und damit als „Verteidigungsfall“ gewertet werden kann. In diesem Fall wäre die deutsche Beteiligung an den darauffolgenden Afghanistan-Einsätzen der USA legitimiert worden. Doch selbst die Frage, ob und inwiefern der gesamte Afghanistan-Krieg im Nachhinein als „gerecht“ bewertet werden kann, ist kaum zu beantworten.

Der vielfach als weiteres Beispiel für einen „gerechten“ Krieg genannte Einsatz der Alliierten gegen Nazi-Deutschland des Dritten Reiches, kann nur eingeschränkt als „gerecht“ gelten. Einerseits durch das Fehlen einer „legitimen Autorität“, andererseits durch die Unverhältnismäßigkeit der Militärschläge gegen Zivilist*innen, beispielsweise im Bombenkrieg auf deutsche Großstädte wie Hamburg oder Dresden, aber auch beim Atombombenabwurf über Hiroshima um die japanische Kriegsbeteiligung zu beenden.

Moralische Rechtfertigung im russischen Angriffskrieg

https://unsplash.com/de/@lighttouchedphotography
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Die russischen Soldat*innen, die in einem von der Uno-Generalversammlung mit deutlicher Mehrheit verurteilten Angriffskrieg in die Ukraine eingefallen sind, bedrohen fundamentale Rechte.
Nimmt mensch an, dass ein Staatsvolk das moralische Recht hat, Soldat*innen einer aggressiven Invasionsarmee von seinem Territorium auszuschließen, begehen diese eine fortdauernde Rechteverletzung, solange sie hier als Teil der Armee anwesend sind. Zweitens ergänzt die Berufung auf die Notwehr um jene auf den sogenannten rechtfertigenden Notstand. Dieser existiert nicht nur im deutschen Strafrecht, sondern hat, wie auch das Recht zur Notwehr, eine moralische Entsprechung.
Im Krieg werden jedoch nicht nur angreifende und verteidigende Soldat*innen getötet, sondern auch Zivilist*innen, also auch Frauen* und Kinder. Das macht die Rechtfertigung von Kriegen schwieriger, als die Rechtfertigung von zielgenauer Notwehr gegen einen ungerechten Aggressor.

Im russischen Angriffskrieg beobachten wir nahezu jeden Tag1, dass ukrainischer Widerstand und Sabotageakte dazu führen, dass der Kreml bzw. die russische Militärstrategen mit noch größerer Brutalität auch gegen ukrainische Zivilist*innen vorgeht, Wohnhäuser zerstört hat. Widerstand kann also in Form eines Verteidigungskrieges den Angreifer zu größerer Brutalität provozieren, den Krieg verlängern und damit auch das Ausmaß und die Zahl der „Kollateralschäden“ erhöhen, das heißt der zerstörten zivilen Einrichtungen und getöteten Zivilist*innen. Kriegerischer Widerstand auch gegen einen ungerechten Angreifer wird von der Theorie des gerechten Krieges nicht automatisch legitimiert.
Kriege können bestenfalls gerechtfertigt werden, aber nicht gerecht sein. Der ukrainische Verteidigungskrieg basiert auf der Annahme der notwendigen nationalen Selbstverteidigung. Bombardierung von Wohnvierteln, Tausende Tote und Hunderttausende Menschen auf der Flucht auf der einen Seite und Waffenlieferungen, Sanktionen und Aufrüstung auf der anderen Seite. Der ukrainische Verteidigungskrieg erscheint somit gerechtfertigt. Opfer von Folter, Vergewaltigung und rücklings Erschossenen auf den Straßen und in den Kellern von Butscha, Hostomel, Borodjanka und anderen Kiewer Vororten oder ukrainischen Städten lassen vermuten, welches Grauen der ukrainischen Bevölkerung droht, wenn die russische Invasion nicht abgewehrt wird. Ist aber ein Krieg deshalb schon „gerecht“? Artilleriebeschuss zerstört Häuser, trifft Menschen auf der Flucht. Jeder zerstörte Panzer, jeder von einer Rakete getroffene Hubschrauber, jedes zum Absturz gebrachte Transportflugzeug ist zwar eine Bedrohung weniger für die Ukraine. Aber in den Maschinen hocken junge Männer, die auch verbrennen oder in den Tod stürzen. Das ist eine humane Katastrophe, nicht nur für die Angehörigen.

Verweigerung total!

Unsplash/ Dea Piratedea
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Krieg kann weder gerecht noch richtig sein. Krieg kann zwar Frieden schaffen, hat aber überhaupt erst dann eine Chance, wenn die Ursachen der Kriege überwunden sind. Es kann nur einen gerechten Frieden geben. Einen Krieg damit zu rechtfertigen, er sei gerecht, dient nur der staatspolitischen Absicht, eigene Ziele zu verfolgen. Dieser Umstand macht es aus vernunftbegabter Sicht notwendig, Widerstand zu leisten. Protest und Widerstand gewinnt an Dynamik, sollten wir uns der Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit erinnern und sie weiterentwickeln. Ich weiß, so einfach, dass Menschen in Kriegsländern protestieren und gewaltfreien Widerstand leisten und damit einen Krieg beenden können, ist es nicht. Ich wünschte, es wäre so einfach. Das Recht NEIN zu sagen, den Dienst an der Waffe abzulehnen ist nicht immer eine einfache Entscheidung. Es ist aber die richtige, vorausgesetzt, dir ist bewusst: Soldaten sind Mörder. IMMER! Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Die Gewissensentscheidung, den Kriegsdienst zu und der Dienst an der Waffe und das damit verbundene Töten, muss und kann dabei jede*r für sich treffen. Kein Staat sollte Menschen zwingen dürfen, ein Leben für ihn aufs Spiel zu setzen. Und erst recht nicht, für ihn zu töten.
In Bezug auf den laufenden russischen Angriffskrieg sei daran erinnert, dass nach den internationalen Menschenrechtsstandards das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch bei situativer Kriegsdienstverweigerung Gültigkeit hat. Am 21.09.2022 verkündete der russische Präsident den Beginn der sogenannten „Teilmobilmachung“. Der Verein Connection2 geht von 150.000 Menschen aus, die Russland wegen Militärdienstverpflichtungen verlassen haben. Die Proteste in Russland mögen überschaubar sein, aber auch deshalb, weil staatliche Repressionen so stark geworden sind, dass mensch es sich zweimal überlegt und Verhaftung, Gewalt, Folter zu vermeiden.

Asyl für Kriegsdienstverbrecher?

Andrej Medwedjew war in der berüchtigten russischen Söldnertruppe Wagner3 aktiv, desertierte, floh Mitte Januar nach Norwegen und hat Asyl beantragt. In Norwegen demonstrierten daraufhin ukrainische Flüchtlinge gegen Asyl für Kriegsverbrecher. Laut der Menschenrechtsorganisation Gulagu.net hatte sich Medwedjew im Juli 2022 zunächst für vier Monate verpflichtet und wurde zum Kampfeinsatz in die Ukraine geschickt. Bei der Söldnertruppe sei er Zeuge von Hinrichtungen und Bestrafungen von Söldnern geworden, die den Kampf verweigerten oder die Truppe verlassen wollten. Wer desertiert und der Söldnergruppe in die Hände fällt, muss mit dem Tod rechnen. Hinrichtungen werden vor allem in der Wagner-Gruppe praktiziert. Männer wie Jewgenij, die beim privaten Militärdienstleister für den Einsatz in der Ukraine unterschrieben hatten, es sich anders überlegt und sich den ukrainischen Streitkräften ergeben hatten.4
Die Personen, die sich schon vorab dem Zugriff des Militärs entziehen – was aktuell auf viele Männer aus Russland zutrifft – haben sich dem Militärdienst entzogen. Sie haben die Möglichkeiten genutzt, legal ins Ausland zu reisen. Bei einer Rückkehr nach Russland unterlägen sie den Regelungen der Teilmobilmachung. Da sie keine Einberufung erhalten haben, haben diese Militärdienstentzieher für den Grund ihrer Flucht keinen Nachweis und dementsprechend so gut wie keine Chancen auf Asyl.5
Ob russische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland tatsächlich Chancen auf Asyl haben, ist schwer zu sagen. Auch der Verein Connection oder die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl tun sich schwer mit einer Einschätzung, fordern aber vehement einen Asylanspruch ein. Desertieren allein ist kein Grund für Asyl. In dem eben erwähnten aktuellen Fallbeispiel von Andrej Medwedjew wird das deutlich.
 Wenn Soldat*innen aber desertieren, weil sie im Dienst Verbrechen oder menschenrechtswidrige Handlungen ausüben müssten, haben sie nach deutschem und europäischem Recht Anspruch auf Asyl. Der Verein Connection geht mittlerweile von 150.000 Menschen aus, die Russland wegen Militärdienstverpflichtungen verlassen haben. Wie viele russische Staatsbürger*innen insgesamt seit Beginn des Kriegs nach Deutschland gekommen sind, kann auch das Ministerium nicht beziffern, weil an den Grenzen zu den Nachbarländern keine regulären Grenzkontrollen stattfinden.
PRO ASYL und Connection e. V. haben die Bundesregierung bereits im März 2022 in einem gemeinsamen Appell dazu aufgefordert, sowohl russischen und belarussischen als auch ukrainischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren Schutz und Asyl zu gewähren.


Fußnoten:

1. Aktuelle Karten, Grafiken zur russischen Invasion: https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/wie-weit-sind-die-soldaten-aktuelle-karte-der-russischen-invasion-in-der-ukraine/

2. https://de.connection-ev.org

3. Die Wagner-Gruppe, auch „Schattenarmee“ ist eine paramilitärische Organisation und kämpft seit 2022 offen, brutal uns skrupellos mit Russlands Streitkräften im Ukraine-Krieg. Berichten der US-Regierung zufolge befanden sich im Dezember 2022 knapp 50.000 Angehörige der Wagner Gruppe im Kampfeinsatz in der Ukraine. 

4. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-wagner-deserteure-101.html

5. https://www.proasyl.de/news/sie-wollen-nicht-toeten/